Viele, viele Probleme und der doppelte Hammer

SwissMediaForum - Am ersten Tag des Branchentreffens in Luzern stand der Umgang der Medien mit künstlicher Intelligenz im Zentrum des Programms. Nicht zu überhören war der Ruf nach Regulierung.

von Nick Lüthi

Frühmorgens, kurz vor sechs, auf der Redaktion eines Lokalradios irgendwo in der Schweiz. Ein Journalist bereitet sich auf die ersten Nachrichten des Tages vor. Eigentlich drängt die Zeit. Doch er liest immer noch in Ruhe die lokale Zeitung von vorne bis hinten und entscheidet sorgfältig, welche Artikel er zusammenfassen und als Nachricht präsentieren will. Er kann sich Zeit lassen, weil ihm künstliche Intelligenz hilft. Die ausgewählten Artikel füttert der Radioredaktor ChatGPT und erteilt der KI-Anwendung den Auftrag, die langen Texte auf die Länge einer Radionachricht zusammenzufassen. Danach bleibt nur noch die Übersetzung des hochdeutschen Kondensats in Mundart. Und dann ab auf Sendung.

Das Beispiel ist nicht erfunden, und es zeigt: Künstliche Intelligenz ist heute Teil der journalistischen Praxis und hilft, redaktionelle Abläufe zu vereinfachen.

Was im Kleinen ganz unspektakulär daherkommt, wirft beim Blick aufs grosse Ganze grundsätzliche Fragen auf; Fragen, die am Donnerstag beim SwissMediaForum im Zentrum der Debatten und Diskussionen standen. Insgesamt herrschte ein warnender Ton, und es dominierte eine kritische Sicht.

«Ein Tsunami, der sich über die Medien ergiesst»

Noch vor dem eigentlichen Veranstaltungsbeginn, bei der Versammlung des Verlegerverbands am Vormittag, gab Verbandspräsident Andrea Masüger den Ton an. Er sprach von einem «Tsunami, der sich über die Medien ergiesst».

Spätestens seit den gigantischen Flutkatastrophen von 2004 im Indischen Ozean und vor Japan wissen wir, welch zerstörerische Kraft ein Tsunami entfalten kann. Um den absehbaren Schaden abzumindern, hilft ein Frühwarnsystem. Genau das fehle beim heranrollenden Techno-Tsunami. Innerhalb der Branche beschäftige sich niemand mit dem heraufziehenden Sturm, äusserte sich Masüger irritiert.

Die künstliche Intelligenz als existenzielle Gefahr für das Mediengeschäft darzustellen, dient dem Verleger auch dazu, seine Forderung nach rechtlichen Schutzmechanismen zu wiederholen. «Die Suchmaschinen, welche journalistische Inhalte ohne Vergütung nutzten, sind erst der Anfang. ChatGPT und andere Chatbots zeigen bereits die nächste Stufe der Ausbeutung», sagte Andrea Masüger am SwissMediaForum. Die Verleger sehen die gleiche Problemstellung: Suchmaschinen und KI nutzen Medieninhalte für ihr Geschäftsmodell, und diese Nutzung sollen sie abgelten.

Leistungsschutzrecht auch für KI

Demnächst wird der Bundesrat eine Vorlage für ein sogenanntes Leistungsschutzrecht in die Vernehmlassung geben, das die Entschädigung von Medienverlagen einführen soll. Für die Verleger ist eine solche urheberrechtliche Bestimmung nicht nur auf Suchmaschinen zu beschränken, sondern soll auch auf künstliche Intelligenz angewendet werden.

Diese Forderung blieb am SwissMediaForum unwidersprochen. Dabei gibt es durchaus Punkte, die sich kontrovers zu diskutieren gelohnt hätten. Etwa die Frage nach den Auswirkungen auf den Journalismus. Widerstehen Redaktionen der Verlockung, möglichst Google gefallen zu wollen? Oder wird die Abhängigkeit von Suchmaschinen umso stärker, wenn sie als neue Einnahmequelle dienen?

Für ihre Forderung nach einer rechtlichen Regulierung von Suchmaschinen und KI erhielten die schweizerischen Verleger am SwissMediaForum argumentative Unterstützung von Thomas Höppner. Der Professor und Rechtsanwalt mit Fachgebiet Kartellrecht und Immaterialgüterrecht gilt als einer der Väter des Leistungsschutzrechts in Deutschland.

Abhängigkeit von Google, Meta, Microsoft

Auch Höppner zeichnete kein vorteilhaftes Bild der neuen Technologie und strich das Bedrohungspotenzial für Medienunternehmen heraus; KI schaffe «viele, viele Probleme», sagte Höppner. So sei etwa die Markteintrittshürde für Fake-Medien in den Keller gesunken mit der Einführung von KI-Anwendungen wie ChatGPT. Dadurch leide das Vertrauen in Medien noch mehr als bisher schon. Und sich der Sache einfach zu entziehen, gehe auch nicht. Was wiederum die Abhängigkeiten von den bekannten Tech-Giganten wie Google, Microsoft oder Meta verstärke, die auch bei KI den Ton angeben.

Auf eine Frage aus dem Publikum, ob denn Regulierung nicht ein Kampf gegen Windmühlen sei und sich die Medienunternehmen besser nach neuen Geschäftsmodellen umsehen sollten, antwortet Höppner, dass es kaum Alternativen gebe zum Geschäftsmodell mit Abos und Werbung. Und der Vergleich hinke mit der Musikindustrie, die sich neu erfunden habe. «Für die Presse gibt es keine Spotify-Lösung», so Höppner.

«KI ist nicht nur Gefahr»

Einen pragmatischen Umgang mit künstlicher Intelligenz pflegt Ringier. Ladina Heimgartner, CEO der Blick-Gruppe, sieht KI als eine Art Hammer: «Damit kann man etwas bauen oder etwas zerstören.» Um das destruktive Potenzial zu mindern, plädiert auch Heimgartner für die gesetzliche Regulierung der Technologie. «Ich bin aber nicht bereit, KI nur als Gefahr zu sehen», sagte die Medienmanagerin. «Wir haben keine Angst vor Technologien. Wir müssen sie nutzen.»

Als Anwendungsfall nennt die Blick-Chefin ein ihr bekanntes Medien-Start-up in der Slowakei, dass sich zum Ziel gesetzt hat, die durchschnittliche Produktionszeit für einen journalistischen Artikel von heute 52 Minuten auf 15 Minuten zu senken mithilfe von KI-Anwendungen. Also genau das, was heute auch der eingangs genannte Radioredaktor schon macht, wenn er Zeitungsartikel mit ChatGPT zusammenfassen lässt – und damit gleichzeitig die KI mit Medieninhalten füttert, wofür die Verlage gerne Geld sähen.