08.01.2003

Thomas Borer-Fielding

"Warum ich klage!"

Der ehemalige Schweizer Botschafter Thomas Borer will nach dem Sieg über Ringier nun vor einem Gericht in Dallas mit einer Millionenklage gegen deutsche Boulevardmedien vorgehen. Ein Novum: Erstmals legt sich ein Einzelner mit praktisch allen wichtigen Medien eines Landes an. Und ein Unterfangen, das in der Branche vielerorts auf Unverständnis stösst, aber auch für Verunsicherung sorgt. Borer hat für "persönlich" seine Gründe für die angekündigte Klage zusammengefasst:
Thomas Borer-Fielding: "Warum ich klage!"

Sie werden sich fragen, warum wir gegen die Verlage Burda (Bunte), Milchstrasse (Max) sowie die beiden TV-Stationen RTL (Exklusiv) und Sat.1 (Akte) in den USA rechtlich vorgehen. Die Antwort ist einfach: Diese Medien haben unsere Persönlichkeitsrechte auf übelste Weise und mit grosser Hartnäckigkeit verletzt. Sie haben unter anderem Personen bezahlt, um diese zu negativem Verhalten uns gegenüber zu motivieren. Sie haben damit auch nicht aufgehört, nachdem ich mich mit dem Schweizer Verlag in einem Vergleich geeinigt habe. Gutes Zureden und Interventionen meiner deutschen Anwälte haben keine Wirkung erzielt. Um meine Familie zu schützen, bleibt nur der Weg über die USA, um die Verlage zu stoppen. Das liegt vor allem daran, dass unser Medienrecht den Betroffenen nur ungenügenden Schutz bietet.

Immer wieder wird an die Selbstverantwortung der Medien, an die Ethik der Verleger und Journalisten appelliert. Man verlangt eine qualitätsorientierte Ausbildung der Journalisten und die Umsetzung der Grundsätze der Corporate Governance. Zum Beispiel wird eine straffe interne Kontrolle im Verlag mit scharfen Sanktionen gefordert. All dies ist notwendig, aber nicht ausreichend. Derartige Aufrufe erfolgen regelmässig nach einem Skandal der Medien, haben vielleicht für einige Tage, bestenfalls Wochen Wirkung und geraten in Vergessenheit. Eine wirksame Kontrolle der Medien kann letztlich nur durch eine Verstärkung der presserechtlichen Instrumente erzielt werden. Insbesondere muss die Pressefreiheit auf politische, wirtschaftliche und wichtige gesellschaftliche Zusammenhänge beschränkt werden. Das Privatleben von Individuen muss sakrosankt werden. Die gegenwärtigen Mittel, die einem Individuum oder einem Unternehmen gegen die Medien, zum Beispiel bei unwahren Berichten, Verletzung der Persönlichkeit oder Rufmord, zur Verfügung stehen, sind völlig ungenügend.

Kaum Eindruck auf fehlbare Journalisten

Die Berufung an den Presserat ist zwar eine schöne Einrichtung. Aber leider macht die Sanktion – Veröffentlichung des Urteils – kaum Eindruck auf fehlbare Journalisten oder Medien. Gewisse Zeitungen werden ja in schöner Regelmässigkeit wegen immer gleicher Sachverhalte verurteilt. Mitunter zieht man sich durch eine Berufung an den Presserat den Zorn der betroffenen Journalisten auf sich, die sich später rächen.

Auch die Gegendarstellung gemäss Artikel 28g Abs. 1 ZGB ist zahnlos. Eine Wirkung könnte nur erzielt werden, wenn der Betroffene – ohne weitere Bedingungen einhalten zu müssen – umgehend seine Sicht der Dinge im verletzenden Medium darlegen dürfte, und zwar auf der gleichen Seite, im gleichen Umfang und in der gleichen Grösse. Aber auch dies würde nur mediengewandten Personen helfen.

Die übrigen zivil- und strafrechtlichen Instrumente machen auf die Medien wenig Eindruck, weil sie für den Betroffenen aufwändig, zeitraubend und teuer sind, die Medien aber nicht mit schmerzhaften Sanktionen bestrafen. Die Schadenersatz- und Schmerzensgelderurteile sind in der Schweiz und in Deutschland zu gering, um Wirkung zu haben. Eine gute Sensationsgeschichte spielt durch die erhöhte Auflage die Kosten für eine Persönlichkeitsverletzung leicht ein. Hier würde nur eine "Produkthaftung für Skandalgeschichten" mit hohen Schadenersatz- und Schmerzensgeldzahlungen bei den Verlagen Eindruck machen.

Am eigenen Leib schmerzhaft erfahren

Wer wie ich die Macht der Medien am eigenen Leib schmerzhaft erfahren hat, dem kann man vorwerfen, er sei nicht mehr objektiv genug, um über die Macht der Medien nachzudenken. Daher sei klargestellt: Es geht mir nicht um Journalistenschelte. In meinem persönlichen Schicksal gab es Journalisten, die mir schwer geschadet haben, aber es gab auch viele Journalisten, die mir gerade in schwieriger Zeit sehr viel geholfen haben. Dabei erscheinen mir die Journalisten in vielem als Gefangene eines Systems, das sie selber nicht mehr beherrschen und aus dem sie sich nicht befreien können. Zudem gibt es den Journalisten nicht. Es macht einen grossen Unterschied, für welches Medium er arbeitet (arbeiten muss).

Es gehört zu den gern gepflegten Mythen, dass der Journalismus in unserer Demokratie im Ausnahmezustand seinen öffentlichen Auftrag erfüllt, also in Krisensituationen gründlich recherchiert und erfolgreich Skandale aufdeckt. Diesen Mythos hat der Mainzer Publizistikwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger in seinem Buch "Die Kunst der Skandalierung und die Illusion der Wahrheit", Olzog Verlag München 2001, gründlich zerstört. Er hat eine ganze Reihe von deutschen Skandalen nochmals beleuchtet, um herauszufinden, welche Rolle die Medien dabei gespielt haben. Es sei vorweggenommen: Das Ergebnis ist wenig schmeichelhaft für die so genannte vierte Gewalt. "Die Wahrheit geht während des Skandals in einer Welle krass übertriebener oder gänzlich falscher Darstellungen unter."

Keine Wahrheit bei der Skandalierung

Viele Medien bedienen sich zur Auflagesteigerung der Skandalierung von Ereignissen. Dabei kommt es nicht auf Wahrheit an, sondern auf Wirkung. Stets geht es zwar in der Medienberichterstattung um "objektive Tatsachen". Oft fehlen den Journalisten aber die tatsächlichen Fakten oder die Fachkenntnisse – gerade zu Beginn eines angeblichen Skandals. Man arbeitet dann mit Annahmen, die nur zu gerne als Fakten und Vorwürfe dargestellt werden. Oder man stellt Vermutungen in den Raum, lässt aber klar erkennen, dass diese wohl zutreffen. Man dramatisiert und übertreibt. Es geht nicht um die Richtigkeit, sondern die Stimmigkeit der Information mit dem etablierten Schema. Die Wahrheit geht in einer Welle krass übertriebener oder gänzlich falscher Darstellungen unter. Erweist sich im Skandal die zentrale Behauptung später als falsch, wird auf andere Sachverhalte verwiesen, die das Verhalten der Angeprangerten skandalös erscheinen lassen.

Gemäss Kepplinger weisen alle Skandale und Kampagnen totalitäre Züge auf. Sie zielen auf die Gleichschaltung aller, weil die öffentliche Abweichung einiger den Machtanspruch der Skandalierer in Frage stellen würde. Die grossen Skandale sind die demokratische Variante von Schauprozessen. Der Angeklagte hat dabei kaum eine Chance. Alle rechtsstaatlichen Grundsätze, für deren Geltung wir jahrhundertelang gekämpft haben, sind ausser Kraft gesetzt.

Ein Beispiel ist die BSE-Infektion in Deutschland. Die Medien zeigten wochenlang Ekel erregende Bilder von kranken oder toten Tieren. Sie wiesen auf das grauenhafte Schicksal von Menschen hin, die an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit leiden. Sie erheben Anklagen und fordern Rücktritte. Die entscheidende Frage nach der Wahrscheinlichkeit, dass jemand an dieser Krankheit erkrankt, wurde kaum gestellt. Laut Kepplinger hätte die Antwort darauf lauten können: "Es ist gefährlicher zu heiraten als Rindfleisch zu essen, weil man eher vom eigenen Lebenspartner ermordet wird, als dass man durch Rindfleisch ums Leben kommt."

Die Motivationen für die Aufdeckung des Skandals sind unwichtig. Ob man niedere Motive hat, zum Beispiel einen politischen Konkurrenten aus dem Wege räumen, die Auflagezahlen der Zeitung steigern, den eigenen Journalistenruhm mehren oder wirklich hehren Beweggründen wie der Gerechtigkeit und der Tugend zum Sieg verhelfen will, ist nicht erheblich. Die Aktivisten, die einen Skandal vorantreiben, sind meist zutiefst von der Richtigkeit und moralischen Notwendigkeit überzeugt. Und natürlich dient ihre Aktivität ihrer Karriere und ihrem Ruf.

Vorwürfe, gestützt auf anonyme Zeugen

Im Skandal erscheint den Medien alles erlaubt, was normalerweise unzulässig ist, gegen Gesetze oder journalistische Berufsnormen verstösst. Im Skandal werden illegal beschaffte Informationen veröffentlicht. Im Skandal werden Informanten für ihre Aussagen bezahlt – und es wird kaum hinterfragt, ob sie die Aussage nur machen, damit sie Geld bekommen. Im Skandal werden schwere Vorwürfe, gestützt auf anonyme Zeugen, erhoben. Diese Regelverletzungen bleiben meist ungeahndet. Sie werden gerechtfertigt mit dem Interesse der Allgemeinheit. Die Mediengerichtshöfe der Moral haben keine Prozessordnung.

Die Welt liefert leider zu wenig wirkliche Skandale. Daher muss der Journalist sie produzieren, das heisst, er muss aus kleinen Fehlern Skandale machen. Es ist in der Marktgesellschaft auch ein Markt für Enthüllungen entstanden. Mit der Skandalpresse und dem investigativen Journalismus haben moderne Gesellschaften einen Enthüllungsmarkt geschaffen. Dieser ist hochgradig kommerzialisiert und professionalisiert. Scheckbuchjournalismus zieht ein. Medienleute zahlen Geld für reisserische Informationen. Daher ist es logisch, dass auch bald frei erfundene "Tatsachen" produziert und verkauft werden. Auf diese Weise gehen Verlage vor allem in meinem Fall vor. Aber wenn Geld bezahlt wird, bleiben doch nicht nur Moral und Ethik auf der Strecke, sondern auch die Glaubwürdigkeit und die Wahrheit.

Die erfolgreichen Skandalierer unter den Journalisten geniessen hohes Ansehen. Sie bewegen etwas, üben reale Macht aus. Sie beschreiben und erklären die Welt nicht nur, sie verändern sie. Daher werden sie von anderen Journalisten bewundert und nachgeahmt. So hat der neueste Skandal schon den Fuss in der Tür, bevor sie sich hinter dem vorigen schliessen kann. Skandale folgen sich immer schneller, werden immer mehr. Die Verderbtheit, die sie anzeigen, wird immer grösser – scheinbar wenigstens. Wir alle wissen natürlich, dass es in der modernen Welt nicht immer weniger Tugend gibt und wir alle immer verruchter werden. Oder dass unsere Ansprüche an die Moral in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind – im Gegenteil. Was uns gestern noch verwerflich erschien, sehen wir heute doch in vielerlei Hinsicht als zulässig.

Klage über den Niedergang der Moral

Trotzdem hebt natürlich mit jedem neuen Skandal unweigerlich die Klage über den Niedergang der Moral an. Dies selbst ist ja ein hoch moralischer Vorgang, der belegt, dass die moralischen Reflexe trotz des moralischen Verfalls noch bei einigen, vor allem bei Journalisten, funktionieren. Indem diese die fortschreitende Unmoral anprangern, fördern sie den Fortschritt der Moral – so wenigstens ihre Argumentation. Sie tragen zur moralischen Regeneration bei. Skandaljournalismus und Thesenjournalismus waren ursprünglich eine Eigenheit der Boulevardpresse. Sie sind aber mittlerweile auch in Qualitätstiteln gang und gäbe. Erst nach dem Ende von Skandalen erscheinen in Qualitätszeitungen gelegentlich distanzierte Analysen. Sie erreichen die Massen jedoch nicht und hinterlassen insgesamt wenig Spuren. Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt gemäss Kepplinger "am Ende nicht das, was erwiesen ist, sondern das, was sie vorher überall massenhaft gelesen, gehört und gesehen hat".

Behebung der Missstände



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