22.11.2019

Journalismustag 19

Wie man sich gegen Hass im Internet wehrt

In einem Referat gab der Journalist und Rufmord-Betroffene Richard Gutjahr Einblick, wie es ist, im Internet eine Hetzkampagne zu erleiden. «YouTube ist die Petrischale des Terrors», sagte Gutjahr und kritisiert damit die Social-Media-Plattformen hinsichtlich ihrer Verantwortung
Journalismustag 19: Wie man sich gegen Hass im Internet wehrt
Richard Gutjahr referierte am Journalismustag über «Hass und Hetze im Internet» (Bilder: Melissa Schumacher)
von Loric Lehmann

Von einem Shitstorm kann man völlig unvorbereitet und aus heiterem Himmel getroffen werden. Dies musste der ARD-Journalist Richard Gutjahr vor drei Jahren auf ungeheuerliche Weise erleben. Während des Lastwagen-Attentats am 14. Juli 2016 in Nizza war er zufällig ferienhalber in der Nähe, worauf er in journalistischer Manier zum Ort des Geschehnisses eilte, um live vor Ort zu berichten. So weit so ungewöhnlich. Eine Woche später, war er zurück an seinem Arbeitsort in München, wo just ein Amokläufer in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums neun Menschen erschoss. Wieder eilte Gutjahr an den Tatort und berichtete über den Vorfall.

Diese beiden Ereignisse reichten, um den Journalisten zur Zielscheibe von Verschwörungstheoretikern und Antisemiten zu machen. In YouTube-Videos, Posts auf Facebook und Twitter wurden er, seine Frau und seine Tochter bezichtigt, Teil einer internationalen Verschwörungsbewegung zu sein, der «New World Order». Diese will angeblich durch inszenierte Terrorakte die Weltherrschaft erlangen. Dass Gutjahr bei den beiden Attentaten vor Ort war, wurde als Beweis dargestellt. Ausserdem stammt seine Familie aus Israel, was ebenfalls die Anhängerschaft beweisen sollte, da diese dem Zionismus nahe stünde.

«Solange geklickt wird, interessiert das nicht»

«Es gab einen Blogpost, in dem ein Troll über 33 Mal den Namen meiner Tochter erwähnte.» Darin wurde die junge Frau als Schlampe, Lügnerin und Unaussprechlicheres bezeichnet. Nun, drei Jahre später, hole sie dieses schlimme Erlebnis immer noch ein – zum Beispiel, wenn sie sich um einen Job bewerbe.

«YouTube ist die Petrischale des Terrors», sagte Richard Gutjahr und kritisiert damit die grossen Social-Media-Plattformen hinsichtlich ihrer Verantwortung in solchen Fällen. Als er die mehrdeutigen Posts und Kommentare auf Facebook der Plattform melden wollte, verwies diese auf die freie Meinungsäusserung. «Solange geklickt wird, ist es YouTube oder Facebook ganz egal, ob zur Gewalt gegen eine Person aufgerufen wird.»

Auch von den staatlichen Instituitionen fühlte sich Gutjahr im Stich gelassen. «Das Internet ist nicht fassbar für unser Rechtssystem. Mir sagte mal ein Anwalt, wenn mich jemand auf der Strasse so beleidigt hätte, könnte ich ihn belangen. Im Internet ist das ganz anders», so der Journalist.

Wie man sich gegen einen Shitstorm wappnen kann

Im zweiten Teil des Referates gab Gutjahr einige Tipps, wie man sich am besten vorbereitet. Ein wichtiger Punkt ist es laut Gutjahr, eine Rechtsversicherung abzuschliessen. «Denn wenn ein Shitstorm einen trifft, dann wird man hart und schnell getroffen.» Da hätte man keine Zeit mehr, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Deshalb wäre es wichtig, juristisch gewappnet zu sein. Denn damit könne man sich wehren und Gerichtskosten stiegen nicht ins Unermessliche.

Zweiter Punkt: «Screenshots machen.» Nur mit der richtigen Dokumentation von Hassreden im Internet könne man vor Gericht beweisen, dass man von jemandem im Netz getrollt werde. «Dabei ist es wichtig den Namen der Person, das Profilbild sowie den Kontext der Beleidung adäquat abzulichten.» Denn je nach Kontext ändere sich die Beleidigung – und könne im Zweifelsfall vor Gericht nicht als solche gedeutet werden. Jemand habe mal gepostet, man solle Gutjahrs Tochter «folgen». In Zeiten von sozialen Netzwerken und Followern könne das alles Mögliche bedeuten. Genau dies wüssten die Trolle. Gutjahr staunte, wie kommunikativ versiert und perfid diese Hetzer teilweise agierten. «Die verbraten ihr ganzes Potential für Hass. Mit solchen Strategien könnte man in der PR viel Geld verdienen.»

Als Drittes solle man bei Beleidigungen sofort reagieren: Am besten einen Screenshot des Posts machen und gleich unter dem entsprechenden Post antworten. «Damit beugt man vor, dass die Person den Post später löscht.» Und man zeige, dass man sich nicht alles gefallen lässt.

«Als letzter und wichtigster Punkt: Nicht verstecken.» Oft habe man das Bedürfnis sich zurück zu ziehen, so Gutjahr, der am Journalismustag vom Donnerstag in Winterthur von MAZ-Studienleiter Frank Hänecke befragt wurde. Besonders wenn man merke, dass Institutionen wie Polizei und Rechtsystem nicht helfen. Diese seien oft selber völlig überfordert mit der Digitalisierung. Deshalb: «Niemals zulassen, dass diese Leute Macht über einen haben.» Genau das sei ja deren Ziel.

Konflikt mit dem Publikum

Für Aufsehen sorgte in der anschliessenden offenen Fragerunde ein Zuschauer, der sich selber als «investigativer Bürgerjournalist» bezeichnet. Nach einigen Anmerkungen, wollte er wissen, wie er Zugang in diese «New World Order» bekäme. Nach einigen wütenden Ausrufen aus dem Publikum konfrontierte Gutjahr diesen Zuschauer: «Leute wie Sie sind der Grund, warum man gegen meine Familie monatelang gehetzt hat.»



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