TV-Kritik

Erinnerungen an Elisabeth Schnell

Mit Elisabeth Schnell starb die letzte Legende des Schweizer Radios. Am Samstagabend ist die Grand Dame von Funk, Bühne und Fernsehen nach einem erfüllten Leben in ihrer geliebten Ferienwohnung, in einem über hundertjährigen Chalet im Berner Oberland, sanft eingeschlafen (persoenlich.com berichtete). Erst vor zweieinhalb Wochen hatte sie mit früheren Kolleginnen und Kollegen vom Studio Zürich und von der Theaterbühne leicht vorzeitig auf ihren 90. Geburtstag vom 22. Januar angestossen. Dies in der «Schmiden», mitten im Zürcher Niederdorf. Dort ist Elisabeth als Einzelkind aufgewachsen. Ihre Eltern, wie schon ihre Grosseltern, waren Pächter des Zunfthauses.

Als ich vor 50 Jahren im Radiostudio Zürich Sepp Renggli besuchte, meinen väterlichen Begleiter in den Journalismus, begegnete ich auch Elisabeth Schnell. Später sahen und trafen wir uns regelmässig. Im Theater etwa. Oder beim Einkaufen und anschliessenden Kaffee am Zürcher Kreuzplatz. «Du darfst mich ruhig küssen und umarmen», sagte sie mir einst auf der Strasse, und lachte dabei: «Zuhause habe ich niemanden, der das macht.» Ich habe mich jahrzehntelang gerne daran gehalten. Elisabeth war mit ihrem Beruf «verheiratet», blieb zeitlebens ledig und kinderlos. Sie erfreute sich an ihren Gottenkindern.

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Schnell hatte schon als Mädchen davon geträumt, Schauspielerin zu werden. Auf Wunsch ihrer Eltern machte sie zuerst das Handelsdiplom, erst danach folgte das Theaterstudium. Sie spielte an den Stadttheatern Luzern, Chur und im Zürcher Schauspielhaus. Mit dem Kabarett «Kikeriki» des unvergessenen Cés Keiser gastierte sie unter anderem im berühmten «Kommödchen» in Düsseldorf. Für ihren Lebensunterhalt arbeitete Elisabeth damals auch als Reiseleiterin, tippte Manuskripte ab oder pflegte als grosse Tierfreundin Hunde. 1954 wurde sie vom arrivierte Regisseur Franz Schnyder zum Film geholt, für die Rolle des Anneliesli in «Uli der Knecht». Wie damals so viele Schauspielerinnen und Schauspieler, landete Schnell schliesslich bei Radio und Fernsehen.

«Das ist der Schweizer Landessender Beromünster» – mit dieser Ansage fing Elisabeth Schnell 1954 als 24-Jährige beim Radio an. Stundenlohn: ein Fünfliber. Wenige Jahre später machte sie auch «Television». Die Zürcherin war mit «Ratatouille» die erste Quizmasterin der Schweiz, moderierte beim Schweizer Fernsehen ferner das Format «Schweizerwandern» und die Weihnachtssendung am Heiligen Abend. Ausserdem war sie die erste Frau im TV-Team von «Reporter unterwegs». Doch ihre grosse Liebe galt immer dem Radio. Und der Bühne.

Elisabeth Schnell wurde die bekannteste Radiofrau der Schweiz. Mit ihrer wohlklingenden, unverkennbaren Stimme und dem gepflegten Züritüütsch begleitete sie Generationen. In der damaligen Männerwelt beim Radio benötigte Elisabeth viel Durchsetzungsvermögen. Und dieses hatte sie auch. «Wir könnten doch auch in der Nacht senden», schlug sie Ende der 1960er-Jahre ihren Chefs vor. Diese lachten darüber. Und zeigten Widerstand. Doch Schnell kämpfte unentwegt weiter – und erreichte ihr Ziel: Am 4. Juli 1969 ging der von ihr erfundene «Nachtexpress» erstmals über den Sender. Das – einst vierstündige – Musikformat am Freitagabend wurde ein Riesenerfolg, ist längst Kult und läuft bis heute rosig. Zum Schmunzeln: Als erste Mitarbeiterin durfte Schnell den Hund mit ins Studio nehmen. Die schriftliche Bewilligung von Studiodirektor Gerd Padel enthielt einen Vorbehalt: «Solange sich der Hund nicht unbotmässig benimmt.»

«Frau Beromünster» Elisabeth erfand und betreute neben dem «Nachtexpress» noch weitere Hörer-Hits. So die morgendliche Sendung «Im Auto durch die Schweiz». Diese moderierte sie alternierend mit damaligen Radio- und Fernsehstars wie Ueli Beck, Mäni Weber, Charles Raedersdorf, Robert Brendlin oder Max Rüeger. Untrennbar mit ihrem Namen und ihrer Stimme verbunden waren auch «Espresso» und «Kafichränzli». Schon während der Radiozeit und nach der Pensionierung stand sie immer wieder auf der Bühne in Lustspielen und Musicals wie «Ciao Ticino», «Wachtmeister Rösli», «Sexy Sepp», «Huusfründe» und «Die Kleine Niederdorfoper» nebst Erich Vock, mit dem sie besonders gerne spielte. Ebenso mit ihrem Radio- und Bühnenkollegen Ueli Beck. 2010 wurde den beiden der Ehren-Prix-Walo verliehen.

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«Das gesprochene Wort war mein Beruf», hatte Elisabeth gerne gesagt. Und: «Bücher waren mir immer wichtig, ebenso Zeitungen wie auch das Kolumnenschreiben.» Das hatte sie jahrelang für das Tagblatt der Stadt Zürich getan. Einer meiner Lieblingssätze daraus: «Lernen Sie Englisch, wenn Sie Deutsch verstehen wollen!» Die charmanten Texte mit Gedanken über die Unzulänglichkeiten des Alltags sind in zwei Büchern erschienen.

Liebe Elisabeth, ich habe mich jetzt dem gewidmet, was du immer gerne getan hast. Ich habe in Erinnerungen geschwelgt. Angesichts deiner Liebenswürdigkeit, deinem hellen Interesse an Menschen, deinem trockenen Humor und deinem Schalk in den Augenwinkeln hatte ich dich einst ins Herz geschlossen. Dort wirst du immer bleiben.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Rolf Edelmann, 07.02.2020 10:19 Uhr
    Wunderschön und leidenschaftlich geschrieben ! Danke, René
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