TV-Kritik

Wenn Arbeitslose ein Hotel schmeissen

Lieber hätte ich am Freitagabend «The Match in Africa» mit Roger Federer und Rafael Nadal im zweiten Programm gesehen. Live, von Anfang an. Das in 150 Länder übertragene Tennisereignis hat dem quotenverwöhnten «SRF bi de Lüt» von SRF 1 zweifelsohne Zuschauer weggeschnappt. 

«Hotel zum Glück» heisst die neue Reihe unter dem obigen Erfolgslabel. Sendemodell: Fünf arbeitslose Frauen und Männer zwischen 25 und 60 Jahren führen während acht Wochen das kleine Oberengadiner Hotel Chesa Salis in Bever, nahe St. Moritz. Ob sich das Quintett im «Hotel zum Glück» bewähren wird und dieses danach bis zum Ende der Wintersaison weiterführen darf, entscheiden am Schluss der Probezeit die Besitzer Sibylla und Jürg Degiacomi. Das von SRF ausgewählte Team muss beweisen, dass die Chesa ein Hotel von heute ist, aber nicht mit Essen von gestern und Preisen von morgen.

Die Grundidee der Sendung ist nicht neu: Schon oft durften in der Schweiz Erwachsene oder Lehrlinge eine Weile ihre Firma führen. Auch ausländische Privatsender produzieren immer wieder mal Formate mit Arbeitslosen. Nur sind diese Sendungen voyeuristisch – ganz im Gegensatz zu «Hotel zum Glück».

Es ist dennoch kein harmloses Projekt. «Beängstigend sogar», meinte einer der Kandidaten. Er und seine Mitbewerber haben zwei Dinge gemeinsam: Sie wollen Selbstvertrauen gewinnen und hoffen auf eine bessere Zukunft. Die Anwärter verstehen von Hotellerie so viel wie Schafe von Eishockey. Was nicht ist, kann ja noch werden. Schon nach der ersten von vier Folgen war klar: Ich würde nicht jeden der unterschiedlich interessanten fünf Leute anstellen. Das gilt etwa für den gelernten Carrosserie-Spengler und Hobby-Musiker aus dem Aargau. Dieser kam zu spät und wähnte sich zu Beginn im Hotel «Campingski». Er ist mit seinen 25 Jahren nicht einmal in der Lage, (s)ein Bett ordentlich zu beziehen.

Hotelbesitzer Jürg hat zu Recht hohe Ansprüche an die Gruppe und versetzte dieser schon mal einen Dämpfer. Bei der Zubereitung eines Apéro riche kam das Team erstmals so richtig ins Schwitzen. Doch nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht. Sobald die Wintergäste ihre Zimmer bezogen haben, wird auch der letzte der Gruppe merken, dass man nicht mit weissem Kittel aus dem Kamin kommt. Den besten Eindruck in der ersten Folge hinterliess die couragierte Zürcherin Mirjam (31). Mir ist unerklärlich, wieso die studierte Übersetzerin und ehemalige Reiseleiterin arbeitslos ist.

Gegen Schluss der Premiere stellte sich der joviale Ernst «Aschi» Wyrsch dem Team vor. Der bekannte ehemalige Davoser Hotelier (Steigenberger Belvédère) wird die bunte Gruppe in den nächsten Wochen coachen. Schauen wir mal, dann sehn wir schon.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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