Der Marlboro-Cowboy reitet Richtung Sonnenuntergang. Die Skyline hebt sich schroff vom amerikanischen Himmel ab. Alles leuchtet, alles brennt. Publicis-Chef Thomas Wildberger lehnt sich im weichen Kinosessel zurück. Über die Leinwand flimmert der berühmteste Werbespot der Welt. Wildberger liebt solche Provokationen – vor allem in Zeiten, in denen die Werbung immer korrekter wird und sich Werber nicht mehr als Werber, sondern als Branding-Experten oder Founder bezeichnen. Und den Marlboro-Mann, das wird aus dem Werbespot klar, gab es schon vor Hannes Schmid.
Es ist Mittwochabend, 10. Oktober. Zwei Jahre ist Wildberger im Amt. Zum Dienstjubiläum hat er Kunden und Mitarbeiter ins Untergeschoss des Publicis-Gebäudes geladen. In den letzten Monaten wurde aus einer düsteren Cafeteria ein kleiner Kinosaal mit tiefen Plüschsesseln. Der Name: «Du Thêatre». «Wir sind die einzige Publicis-Filiale mit Vorführraum», sagt Wildberger. In der Zwischenzeit wurde er zudem Vater der mittlerweile zweieinhalbjährigen Tochter Lele und «Werber des Jahres». Gleichzeitig hievte er Publicis mit viel Brillanz und auch ein bisschen Brutalität wieder zurück an die Spitze der hiesigen Kreativagenturen. Im Firmengebäude am Stadelhofen sind nun auch Leo Burnett und Saatchi & Saatchi untergebracht. Allein während des letzten Jahres hat Publicis grosse Etats wie denjenigen der Post, von Ricola, Sunrise oder der Migros-Dachmarke dazugewonnen. Daneben betreut die Agentur weiterhin das weltweite Budget der UBS oder dasjenige der Swiss. Die Erfolgssträhne scheint – trotz momentan schwieriger Konjunkturlage – nicht abzureissen. Der Titel des ersten Films, der im Publicis-Kino gezeigt wird, umschreibt fast schon symbolisch Wildbergers Wirken: «Wolkenbruch». Von Michael Steiner.
Doch etwas anderes freut Wildberger fast noch mehr: Vor ein paar Wochen hat ihm der renommierte Ahnenforscher Manuel Aicher bestätigt, dass er mit dem legendären Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler blutsverwandt ist. Thomas Wildberger ist somit das einzige gengeprüfte Migros-Kind. Was eine ironische Fussnote hat. Seit genau einem Jahr verantwortet Publicis die Dachkampagne «Die Migros gehört den Leuten», die den Genossenschaftsgedanken des orangen Riesen unterstreichen soll. «Ich hatte immer ein Faible für die Migros», sagt Wildberger. «Ich fühlte mich in deren Läden immer wie zu Hause, und später machte ich auch noch meine Lehre als Kaufmann bei der Migros.» Dass diese Migros-Liebe familiäre Gründe hat, wusste er lange nicht. «Zwar hat mir mein Vater immer erzählt, dass wir von den Duttweilers abstammen», sagt Wildberger, «aber ich konnte es nicht richtig glauben. Meine Mutter hat auch jedes Mal die Augen verdreht, wenn er wieder davon anfing.» Was ihn aber irritierte: dass sein Vater, der für das Auslandsgeschäft von Lindt & Sprüngli zuständig war, Einzelheiten aus Duttweilers Leben kannte, die ganz spezielle Kenntnisse erforderten. Beispielsweise dass Duttweilers bester Freund ein Mann namens Ott war, der dem Okkultismus huldigte, sodass sich Duttweiler von ihm abwandte. Businessmässig war dies ein Glücksfall: 1925 gründete Dutti – nach einem Konkurs – mit fünf Einkaufswagen die Migros. Und dies ohne den Beistand höherer Mächte.
Dass jetzt Wildberger die Hilfe des bekannten Ahnenforschers in Anspruch nahm, hat seinen Grund. «Irgendwann holte mein Vater unser altes Familienbüchlein aus dem Keller. Darin ist der Mädchenname seiner Grossmutter vermerkt: Duttweiler. Ich dachte: Also jetzt will ich ein für alle Mal wissen, ob das wirklich stimmt», sagt der Publicis-Chef. Es stimmt. Der Forschungsbericht bestätigt den gemeinsamen Vorfahren Hans Duttweiler, der von 1691 bis 1760 in Oberweningen lebte. Nun kann Wildberger die verwandtschaftliche Linie zwischen dem Migros-Gründer und dem ehemaligen Migros-Lehrling und jetzigen Migros-Werber exakt herleiten. Was für ein Zufall. Wildberger hat grossen Respekt: «Duttweiler hat die Welt verändert. Ich fühle mich im Vergleich dazu immer noch als Lehrling.» Für den Schreibenden – und auch die Branche – drängt sich nun die Frage auf, ob der Migros-Dachmarken-Etat jetzt lebenslang bei Wildberger bleibt, «en famille» sozusagen.
«Duttweiler wollte keine Erbdynastie aufbauen», winkt Wildberger lachend ab. «Er hat alles an die Genossenschafter verteilt.» Dessen Lebensmotto: Wer viel gibt, bekommt auch viel zurück. Eigentlich der Grundsatz jeder erfolgreichen Werbekampagne. Ein paar Tage später posiert Wildberger im «Park im Grüene» oberhalb von Rüschlikon neben der Büste seines berühmten Vorfahren Gottlieb Duttweiler. Fotograf Alberto Venzago gibt eine kurze Anweisung, dann drückt er ab. Der Himmel weitet sich über dem Zürichsee. Auf dem nahen Friedhof ist Gottlieb Duttweiler begraben, Urvater Hans schaut vielleicht von oben herunter. Die Realität, das weiss auch Thomas Wildberger, ist manchmal besser als jede Kampagne.
Gottlieb Duttweiler gehört zu den berühmtesten und auch wichtigsten Schweizern des letzten Jahrhunderts. 1888 in Zürich geboren, gründete er 1925 mit Verkaufswagen die Migros, die kurze Zeit später eigene Läden eröffnete. Daneben gehörte er während vieler Jahre dem Nationalrat und auch dem Ständerat an. Duttweiler gründete daneben die Tageszeitung «Tat» und die Wochenzeitung «Brückenbauer» (heute «Migros-Magazin»), das Kulturprozent, die Migros-Clubschulen und den Hotelplan. 1963 verstarb er.
Thomas Wildberger ist 1973 in Zürich geboren. Nach einer KV-Lehre bei der Genossenschaft Migros-Zürich fing er 1993 als Junior-Texter bei Matter Leo Burnett an. Anschliessend ging er für längere Zeit nach Deutschland, wo er in Hamburg als Texter und CD bei Jung von Matter sowie Springer & Jacoby tätig war. 2002 zog er nach Berlin, wo er zuerst als Freelancer tätig war und danach mit seinem Partner die Werbeagentur Römer Wildberger gründete. 2012 kehrte er als Chief Creative Officer zu Publicis nach Zürich zurück, 2016 wurde er zum CEO ernannt. 2017 übernahm er zudem die Verantwortung für Leo Burnett, Alpha 245 und Saatchi & Saatchi sowie für die Mercedes-Agentur Publicis Emil.
Der Text erschien erstmals in der November-Ausgabe von «persönlich».