21.09.2014

Hollywood

Zwei Schweizer Werber im Rennen um die Oscars

Nach den Cannes-Lions winkt jetzt der Hollywood-Oscar: Für Ivan Madeo (rechts im Bild) und Urs Frey könnte ein Traum bald Wirklichkeit werden. Denn am Samstagabend wurde ihr Film "Der Kreis" als Schweizer Eingabe ins Oscar-Rennen geschickt. Im Interview erklären die beiden Ex-Werber, was das Hollywood-Ticket bedeutet und wie sie ihren Film, bei dem sie als Produzenten und Co-Autoren mitgewirkt haben, in den USA bekannt machen wollen.
Hollywood: Zwei Schweizer Werber im Rennen um die Oscars

Herr Madeo, herzliche Gratulation zum Ticket nach Hollywood (persoenlich.com berichtete). Was geht Ihnen gerade durch den Kopf?
Madeo: Das ist ziemlich verrückt! Ich weiss, dass es eine riesige Ehre ist, die Schweiz im weltweiten Rennen um den Oscar vertreten zu dürfen. Deshalb habe ich auch etwas Ehrfurcht davor und frage mich, ob wir der Aufgabe gewachsen sind… Wir werden mit Sicherheit alles geben, wie an der Berlinale und bei allen anderen Festivals, und die Fahne der Schweiz, aber auch jene von Respekt und Toleranz so lange wie möglich hoch halten.

Herr Frey, geht damit für Sie ein Knabentraum in Erfüllung?
Frey: Um ehrlich zu sein: Nein. Als Knabe habe ich von ganz anderen Dingen geträumt. Ich glaube, dass nichts zufällig geschieht und alles seine Richtigkeit und Wichtigkeit hat. Dass "Der Kreis" jetzt die Schweiz im Rennen um einen Oscar vertreten darf, ist eine Ehre für uns. Es ist aber auch der Lohn für eine jahrelange und harte Arbeit. Dafür, dass Ivan, ich und Regisseur Stefan Haupt auch dann noch an das Projekt geglaubt und es weiter getragen haben, als es von den meisten andern längst abgeschrieben war. 

Sie beide arbeiteten lange als Werber. In diesem Jahr gewannen Sie, Herr Madeo, zwei Cannes-Bronze-Löwen für die Kampagne "Hide Yesterday" für L’Oreal mit der Agentur Publicis. Nun winkt sogar ein Oscar. Welche der beiden Auszeichnungen ist erstrebenswerter?
Madeo: Ich habe mir jahrelang gewünscht, eine Kampagne mitgestalten zu können, die zur Weltklasse gehört. Insofern habe ich mich mit den Kollegen von Publicis im Juni sehr über die zwei Löwen gefreut. Für Weltklasse-Filme gibt’s aber jährlich nur einen Oscar pro Kategorie zu gewinnen und nicht über Hundert in Gold, Silber und Bronze. Insofern ist der Oscar sicher anders einzuordnen. Aber wir denken jetzt noch gar nicht so weit, sondern freuen uns, wenn wir die Hürde der Top-15-Shortlist Anfang Januar nehmen können. Historisch gesehen wäre nämlich schon das ziemlich einmalig. Und verglichen mit den Werbe-Oscars wären wir dann bereits in der Liga der Gold-Löwen.

Die Nominierung bedeutet auch Aufwand.
Frey: Ja. Für uns ist es einerseits eine grosse Chance, die Schweiz mit unserem "Kreis" im Wettbewerb gegen die besten Filme der Welt vertreten zu dürfen. Andererseits kommt jetzt schon eine riesige Arbeit auf uns zu, da wir in den nächsten vier Monaten eine internationale Oscar-Kampagne aus dem Boden stampfen müssen.

Was genau ist geplant?
Unser Kinoverleiher in den USA und unser "Publicist" stehen in den Startlöchern. In Absprache mit der Promotionsagentur Swiss Films und dem Bundesamt für Kultur BAK orchestrieren wir die Promotions- und Kommunikationsmassnahmen. Unser erstes Ziel ist es, den Film in den USA möglichst bekannt zu machen, damit ihn möglichst viele Academy-Mitglieder anschauen. In einer zweiten Phase müssen wir die Academy-Mitglieder zum Voten bewegen – mit Special Screenings, Events, Dinners, Mailings und so weiter. Das volle Kommunikationsprogramm.

Arbeiten Sie hierbei mit Agenturen zusammen? 
Madeo: Nein, in der Filmbranche arbeitet man mit sogenannten "Publicists" zusammen. Das sind PR-Profis, die sich darauf spezialisiert haben, Filme zu promoten. Für die jährlichen Oscar-Kampagnen gibt es spezialisierte Oscar-Publicists, die sehr gefragt, aber auch sehr teuer sind. Ihr Wert hängt von ihren früheren Oscar-Erfolgen sowie ihrer Vernetzung mit Hollywood-Promis und Academy-Mitgliedern ab.

Welche Funktionen haben Sie beide beim Film-Projekt?
Frey: Ivan und ich haben als Produzenten die Rechte und Gesamtverantwortung für den Film. Da wir die Projektinitianten und Co-Autoren des Films sind, haben wir auch auf künstlerischer Ebene mitgewirkt. Als Autor/Regisseur und somit als "künstlerischen Leiter" haben wir Stefan Haupt engagiert, weil er die Feinheit in der Schauspielführung mitbringt, die für uns bei diesem Film von Anfang an sehr wichtig war. 

Wie geht das Abenteuer Oscar weiter für Sie?
Madeo: In der ersten Januarwoche wird die Shortlist der 15 Filme im Rennen um den Oscar 2015 kommuniziert. Bis da sind wir offiziell im Rennen gegen 77 andere Länder der Welt. Am 16. Januar stehen die finalen fünf Nominierten fest. Das sind diejenigen, die im Februar zur Oscar-Preisverleihung im legendären Dolby Theater in L.A. eingeladen werden.

Wie gross sind Ihre Chancen?
Eins muss man schon sehen: Die Schweiz hat historisch gesehen sehr schlechte Karten im Oscar-Rennen. Aber man spricht unserem Film eine gewisse Chance zu, da er eine wunderschöne "Message of Love" um die Welt trägt, was die Academy-Mitglieder mögen. Zudem greift er mit den Homosexuellen-Rechten ein Thema auf, das im internationalen Kontext sehr aktuell ist.

Was ist Ihr Anspruch, Ihre Botschaft, die Sie transportieren wollen?
Frey: Wichtig zu wissen ist Folgendes: Unser Film spielt zwar in den 60er-Jahren, das Thema hat aber nichts an Aktualität eingebüsst, im Gegenteil: Haben Sie gewusst, dass homosexuelle Handlungen in mehr als 70 Ländern nach wie vor unter Strafe stehen, und dass in zehn Ländern sogar die Todesstrafe darauf steht? 


Ivan Madeo war über zehn Jahre Konzepter-Texter und Filmverantwortlicher in diversen Grossagenturen in der Schweiz, in Italien und in Deutschland, darunter bei Y&R Group Switzerland, bei McCann-Erickson Milano, Draftfcb-Lowe Group Zürich, Euro RSCG Zürich und Publicis Communication Schweiz. Dabei betreute er Grosskunden wie Coca Cola, BMW/Mini, Credit Suisse, Nestlé, Peugeot, Sunrise, Mobiliar, 1818, aber auch kleinere Kulturkunden wie Orell Füssli, DU Kulturmagazin und Zurich Film Festival. Madeo gewann über 70 Werbe-Awards, zuletzt 2014 in Cannes zwei Bronze-Löwen für die Kampagne "Hide Yesterday“ für L’Oreal (Agentur: Publicis Zürich). 

Urs Frey war mehr als 20 Jahre Inhaber und Geschäftsleiter der Firma TWIN Productions in Biel, die während längerer Zeit zu den grössten Auftragsfilmproduktionen der Schweiz gehörte und eines der grössten Filmstudios in der Westschweiz besass. Er hat über 1000 Auftragsfilme produziert, vom grossen Werbespot für Kunden wie Emmi, Rado, Nationale Suisse, BAKOM, Schweizer Fleisch, Titoni, PostAuto Schweiz, Völkl, BFS etc. über den Industrie-/Event-/Schulungsfilm bis hin zur kleinen und schnellen Auftrags-Reportage.

"Der Kreis" handelt von einer unbekannten, aber wahren Geschichte aus der Schweiz mit internationaler Ausstrahlung. Einerseits wird die rührende Lebens- und Liebesgeschichte von Ernst Ostertag und Röbi Rapp erzählt. Die zwei Männer haben sich vor fast 60 Jahren im "Kreis" kennengelernt und haben nicht nur für ihre Liebe, sondern auch fürs Überleben der legendären Homosexuellenorganisationen gekämpft. Andererseits geht es um ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Stadt Zürich – eins, das lange verborgen geblieben ist. Die Stadtpolizei ist Anfang der 60er-Jahre systematisch gegen Schwule vorgegangen, der Stadtrat hat unrechtmässige Gesetze wie ein "Tanzverbot für Männer mit Männern auf städtischem Boden" eingeführt. Diese Aktionen zwangen die Zürcher Organisation "Der Kreis" zur Auflösung. "Der Kreis" war die einzige Gay-Organisation in Europa, die die Nazi-Herrschaft überlebt hatte und zum Vorbild für ähnliche Organisationen in verschiedenen Ländern Europas und sogar in den USA wurde. (pd/eh)

Bild: Swiss Films, Ilja Tschanen



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