21.04.2015

Ein Termin mit Herrn Klicker

Der Dienstagmorgen ist grau, die Wolken hängen tief und mein Haussegen schief. Es ist eindeutig zu früh. Die verkalkte Kaffeemaschine tröpfelt vor sich hin, und ich spendiere mir eine Rasur. Ich habe um 11.00 Uhr einen Termin mit einem wichtigen Mann. Er heisst Kevin A. Klicker und ist Inhaber der erfolgreichen KLICKER Kommunikationswaren-Fabrik in Zürich-Seefeld am Zürisee.
von Reinhold Weber

Der Dienstagmorgen ist grau, die Wolken hängen tief und mein Haussegen schief. Es ist eindeutig zu früh. Die verkalkte Kaffeemaschine tröpfelt vor sich hin, und ich spendiere mir eine Rasur. Ich habe um 11.00 Uhr einen Termin mit einem wichtigen Mann. Er heisst Kevin A. Klicker und ist Inhaber der erfolgreichen KLICKER Kommunikationswaren-Fabrik in Zürich-Seefeld am Zürisee. Ich muss ihm für die diesjährige Ausgabe der ADC-Postille, die eh keiner liest, einen Tag lang die Würmer aus der Nase ziehen, die eh keiner will. Ich steige in die Züri-Linie Nummer 2, höre ein wenig den drei Müttern mit den drei Doppelkinderwagen zu und melde mich pünktlich um halb zwölf am Empfang von KLICKER. Ich hätte einen Termin mit Herrn Klicker.

Er trägt einen Talibart und war auch sonst ganz nach dem aktuellen Berliner Modetrend gekleidet. "Grüezi, meine Name ist Klicker von der KLICKER Kommunikationswaren-Fabrik AG in Zürich-Seefeld am Zürisee. Wir fabrizieren digitale und analoge Kommunikationen in Topqualitäten in jeder Grösse und verkaufen direkt ab Fabrik.“ Ich notiere mir das in eines dieser Notizbücher, die auch Inspektor Columbo immer in der Manteltasche gehabt hätte, wenn er eins in der Manteltasche gehabt hätte. Wir gehen vor unserer Fabrikbesichtigung in die Agentur-Cafeteria direkt hinter der Empfangstheke und genehmigen uns eine Handvoll glutenfreie Bisquits sowie ungesüssten Ingwertee.

Herr Klicker geht – "Sie gestatten?“ - voraus, steigt in den Fahrstuhl und drückt auf 3. Etage. An langen Glastischen schweigen jugendliche  Nichtraucher mit bunten Turnschuhen und riesigen Kopfhörern hinter grossen Bildschirmen vor sich hin. "Das ist unsere Social Media Abteilung. Hier werden Ideen von toten Textern gewaschen, entstaubt, sortiert und digitalisiert.“ Ob er denn nicht den Ehrgeiz habe, eigene Ideen zu entwickeln, will ich von Herrn Klicker wissen. Er gibt mir fremdwortreich Auskunft. Er scheint einen MbA in Social Media gemacht und zu viele Software-Manuals gelesen zu haben.

Ich schreibe in mein Notizbuch: Neue Ideen total out, gute Texter zu teuer, zu viele Analphabeten, die meisten Klicks eh bei den immer gleichen Zu-gewinnen-Promos, Betroffenheits-Videos, Tingeltangel-Soundclips, zwei- und vierbeinigen Büsis, Glutenfrei-Food-Pics und Wie-kriege-ich-sie/ihn-rum-Tipps usw. usf. Wir gehen eine Türe weiter. Herr Klicker zeigt auf an langen Glastischen vor sich hin schweigende jugendliche Nichtraucher mit bunten Turnschuhen und riesigen Kopfhörern hinter grossen Bildschirmen und sagt: "Hier können Sie die Qualitäten unserer klassischen Reklamen und Promotionen selber bestimmen und gegen telefonische Anmeldung grad debii sii und zueluege, wie es Inserat oder en TV-Spot härgschtellt wird.“

Ich halte in meinem Notizbuch fest: Agentur hat Erleben-Entdecken-Sie-Abteilung und Footagematerial-/Billigjingle-Archiv. "Auch die Füllmenge können sie auf Wunsch selber bestimmen“, sagt Herr Klicker. Ich notiere: KLICKER beschäftigt auch Content-On-Demand-Leute, und Herr Klicker fügt hinzu: „Schon ab 300 Franken gibt es bei uns ein Wahlplakat in 1A-Digitaldruck-Qualität im Format 40 x 60.“ Ich kritzle in mein Notizbuch: KLICKER Kommunikationswaren-Fabrik auch schuld an diesen Hackfresse-Plakaten von SVP, SP, FDP und etc.

Es ist vier Uhr, ich habe genug gesehen und will vor der Rush-Hour zurück ins Büro, um das Porträt einer Kommunikationsfabrik des 21. Jahrhunderts herunterzuschreiben. Ich bedanke mich artig, Herr Klicker schüttelt mir die Hand und sagt: "Mir freued eus uf ihren Bsuech i de KLICKER Kommunikationswarefabrik AG in Züri-Seefeld am Zürisee.“


Der Blog-Beitrag von Reini Weber wurde ursprünglich für diesjährige ADC-Festzeitschrift "ungewöhnlich" verfasst.



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