Männiglich, und natürlich auch fraulich verteidigte die Ehre einer Frau. Die war bei Roger Schawinski in seiner TV-Talkshow. Zu dieser Ehre kam sie, weil sie sich als Philosophin und als Hetäre bezeichnet. Oder für die weniger gebildeten Schichten: Sie betreibt einen Escort-Service in Berlin, was ihr in den Schweizer Gazetten, so in der «SonntagsZeitung», die Berufsbezeichnung «Edelprostituierte» einbringt.
Dem TV-Talker Roger Schawinski hingegen einen «Shitstorm», weil er «eine Edelprostituierte blossstellte», wie die «SonntagsZeitung» titelte. Wieso ist Frau Balthus, lassen wir ihr das Pseudonym, eine «Edelprostituierte»? Gibt es auch unedle? Oder macht’s der Preis, von 100 Euro aufwärts ist’s edel, darunter billig und schäbig? Lassen wir mal die Luft aus aufgeschäumter Entrüstung. Der Talk-Gast Schawinskis ist eine Betreiberin eines «Nutten»-Services in Berlin (1000 € für das Dinner mit, 2000 € für acht Stunden, längere Mietdauer auf Anfrage).
Nun, diese Erregungsbewirtschaftung im eigentlichen Sinne des Wortes, wo auch sonst nicht als Vorkämpfer des Kampffeminismus bekannte Journalisten etwas von «strukturellem Sexismus» murmelten, erschlaffte ungefähr – sagen wir es im Me-Too-Zeitalter völlig unkorrekt – wie so manches in der realen Sexualität.
Bis der Ombudsmann des Schweizer Farbfernsehens nachlegte: Schawinski habe die «Menschenwürde» des Talkgasts Balthus verletzt. Roger Blum, Jahrgang 1945, pflegt seine Entscheidungen noch per Post zu versenden, deshalb war er «stinksauer», dass sein vernichtendes Urteil über den Dauertalker Schawinski schon vor Ablauf der Sperrfrist publik wurde.
Aber gut, andere Zeiten, andere Sitten. Wie gelang es denn nun Schawinski, die Menschenwürde der «Edelprostituierten» zu verletzen? Waren seine Fragen nicht edel genug? Nun, er habe einen verächtlichen Ton angeschlagen, konstatiert Blum, der Tonkenner. Schawinski habe Balthus im Anschluss an eine eingespielte Aussage der Grande Dame des Feminismus, Alice Schwarzer, das Sexarbeiterinnen häufig als Kinder sexuelle Gewalt erlebten, nicht fragen dürfen, ob sie als Kind missbraucht worden sei, sagt Blum, der Meister der verbotenen Fragen. Und schliesslich sei Schawinskis angriffiger Fragestil in diesem Fall unangemessen gewesen, dekretiert Stilpapst Blum.
Das könnte man als Altherrenwitz abtun. Aber der «Tages-Anzeiger» legt nach, es tönt fast schon nach Kampagnenjournalismus. Nach dem Blattschuss in der «SonntagsZeitung» packt Inlandredaktorin Claudia Blumer den Zweihänder aus: Auch im Alter könne man sich neu erfinden, ja im Fall Schawinskis müsse er das sogar. Ja, warum denn nur? Da gründelt Blumer tiefenphilosophisch in der Vergangenheit.
Sie behauptet nämlich, dieser «angriffige und unanständige» Fragestil Schawinskis, ja überhaupt, «er lacht spöttisch, um zu zeigen, dass er eine Antwort für unglaubwürdig hält und führt das Gespräch in einem despektierlichen, zuweilen verächtlichen Tonfall», das alles sei «beinahe ausgestorben».
Denn diese Art Journalismus, fantasiert Blumer, sei als Folge der 68er-Bewegung entstanden, in der Schawinski «sozialisiert» worden sei. Damals habe man zeigen müssen, dass es «so etwas wie Pressefreiheit gab». Das seit längst vorbei, behauptet Blumer, niemand wolle mehr «Fertigmach-Journalismus, der verächtliche Bemerkungen und fehlendes Zuhören mit einer kritischen Haltung verwechselt. Die Zuschauer wollen Mehrwert, Erkenntnisgewinn.»
Oh je, wo sollen wir mit dem Erkenntnisgewinn anfangen? Richtig ist, dass es seit den 68er-Jahren eigentlich vorbei sein sollte, dass man sich über «angriffige und unanständige» Fragen beschweren darf. «Unanständig», im Dreiklang mit «langhaarig» und «Moskau einfach» war damals der Schlachtruf der Dumpfbürger. Aber vorbei ist in der Geschichte nie, leider. Alles wiederholt sich, häufig eben als Farce.
Die empfindsame Schneeflocken-Haltung, dass jeder für sich und insbesondere furchtbar sensibel ist, schnell und zutiefst verletzt, auch wenn einem anderen ein angebliches Unrecht widerfährt, jemand diskriminiert wird, diese Unsitte hat nun auch in unseren Zeitungen Einzug gehalten.
Nur: Angriffige und unanständige Fragen, das ist das A und O im Journalismus, in einer Talkshow. Und wer eine Einladung von Schawinski annimmt, weiss zudem, worauf er sich einlässt. Die «Edelprostituierte» Balthus führte vor, wie man maximale Medienpräsenz mit minimalem Aufwand erzielen kann. Indem ihr im Nachhinein einfiel, dass sie eigentlich ganz furchtbar diskriminiert worden war, verletzt, missbraucht. An ihre Menschenwürde dachte sie damals nicht, aber da springt ihr Blum hilfreich zur Seite.
Während sich Blumer stellvertretend für all die angeblich misshandelten Talkshow-Gäste bei Schawinski, sensibel aufregt, hat sie kein Problem damit, ihre Aufforderung, dass sich Schawinski ändern solle, mit dem Titel «Der Pitbull hat ausgedient» zu versehen. Was bedeutet, dass eine Befragung einer Sex-Unternehmerin verständig, sanft und unangriffig erfolgen muss. Sonst leidet deren Menschenwürde. Schawinski als «Pitbull» zu bezeichnen, das ist hingegen erlaubt. Da bleibt einem die Sprache weg. Es gibt eigentlich nur etwas, was noch schlimmer ist: Doppelmoral und Heuchelei.
René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.
Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
KOMMENTARE
03.06.2019 11:29 Uhr
03.06.2019 10:37 Uhr
BLOG
Blum, Blumer, blümerant