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Der Abbau und seine verheerenden Folgen

Was 20 Jahre ungebremste strukturelle Medienkrise, Stellenabbau und Einsparungen im Journalismus für die Schweiz bedeuten:

1. Brain-Drain: Wöchentlich verlassen ausgezeichnete und erfahrene Kolleg:innen den Beruf. Die Lücken können nicht mehr gefüllt werden.

2. Stillstand: Journalismus muss sich weiterentwickeln. Aber zu glauben, brutaler ökonomischer Druck und Marktversagen erzeuge Innovation, ist ein Business-Bullshit-Mythos. 

3. Kontrollverlust: Weniger Journalist:innen bedeutet mehr verborgener Machtmissbrauch in Politik, Privatwirtschaft, Justiz und Verwaltung.

4. Selbstausbeutung: Würden heute alle Journalist:innen beschliessen, für einen Monat nur so viel zu arbeiten, wie es der Arbeitsvertrag vorgäbe, bräche die mediale Grundversorgung zusammen.

5. Qualität: Je weniger Zeit man hat, desto schlechter werden journalistische Beiträge. 

6. Angst: Journalist:innen, die dauerhaft um ihren Job bangen müssen, sind anfälliger für Fehler, werden mutlos, zynisch. Und im Journalismus gilt dasselbe wie in einem Restaurant: Schlecht gelauntes Personal verscheucht irgendwann auch die Stammkundschaft.

7. Burn-outs: Das deutsche Branchenmagazin «Journalist» berichtete jüngst von einem «Flächenbrand» und warnte vor einem «Massen-Burn-out».

8. Propaganda: Teile der Kultur-, Wissenschafts- und Unternehmensberichterstattung haben unlängst Public-Relations-Abteilungen übernommen. Das Resultat: unkritische Beliebigkeit.

9. Fachkräftemangel: Praktisch alle Schweizer Redaktion beklagen fehlenden qualifizierten Nachwuchs. In einigen Journalist:innenschulen sind die Bewerbungszahlen stark rückläufig.

10. Toxisches Klima: Brachialer Druck und Perspektivlosigkeit begünstigt Machtmissbrauch, stärken nicht die besten, sondern vor allem jene, die laut, rücksichtslos und oft auch besonders unfähig sind.

Wollen wir eine lebendige, demokratierelevante und vielfältige Medienlandschaft, benötigen wir eine politische und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, wie wir das evidente Marktversagen beheben können. Ansonsten wird es bald zappenduster.



Elia Blülle ist Autor und Reporter der Republik. Dieser Text wurde zuerst auf dem privaten LinkedIn-Profil des Schreibenden veröffentlicht.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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KOMMENTARE

Max Röthlisberger
04.11.2023 06:47 Uhr
Eine lebendige, demokratierelevante und vielfältige Medienlandschaft ist nur möglich, wenn die Medien mehr als drei-vier Multimilionärsfamilien gehören. Die "Berichterstattung" ist inzwischen sooooo langweilig, wir gehen lieber spazieren.
Dominik Stroppel
02.11.2023 21:32 Uhr
„20 Jahre ungebremste strukturelle Medienkrise“? Wer glaubt, dass vor 20 Jahren in den Medien alles besser war, hat ziemlich sicher vor 20 Jahren nicht in den Meduen gearbeitet.
Victor Brunner
02.11.2023 09:58 Uhr
Blülles Optik ist etwas einseitig, warum beklagt er nicht den Machtmissbrauch im Journalismus, die politisch gefärbte Berichterstattung, auch bei der REPUBLIK?
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