Wenn die 16-jährige Greta Thunberg aus Schweden spricht, vergessen Journalisten Begriffe, die ihnen sonst heilig sind. Zum Beispiel Relevanz.
Dass die Schülerin zur «Galionsfigur der Klimaschutzbewegung» («Süddeutsche Zeitung») oder zum «Poster-Girl des Klimaschutzes» («Weltwoche») geworden ist, ist nachvollziehbar. Jede Bewegung braucht ein Gesicht zur Identifikation. Und dann ist es erst noch eines, an dem kein Körper in Anzug und Krawatte hängt. Das einen Kontrapunkt zur Debatte der alten Männer bildet. Besser geht’s nicht.
Mehr verwundert, dass fast alle Medien das Spiel mitspielen. Denn ganz nüchtern gefragt: Welchen relevanten Beitrag kann eine 16-jährige Schülerin inhaltlich zur Klimadiskussion beitragen? Was kann sie mehr sein als eine Botschafterin bereits bekannter Thesen? Und hat eine Botschafterin diese Aufmerksamkeit verdient, nur weil sie jung ist?
Biografische Anekdoten wie die Tatsache, dass sich Greta schon mit acht Jahren mit dem Klimawandel beschäftigte, sind für die Aktivistenszene ein Geschenk. Aber bei einem Journalisten müssten sie Fragen auslösen. Zum Beispiel: Wie genau sah die Beschäftigung in diesem zarten Alter aus? Wer hat sie damals mit den relevanten Informationen bedient? Hatte sie Zugang zu Informationen aus verschiedenen Lagern, etwa auch von Klimawandelskeptikern? Oder wurde sie einseitig gefüttert? Welche Quellen hatte die junge Frau, die von der Welt fordert, sich gefälligst zu verändern, in diesen acht Jahren? Und wenn jemand der globalen Politik Versagen vorwirft, wäre dann nicht die Frage angebracht, welche tiefen Einsichten hinter die Kulissen der Weltpolitik die Schülerin zu diesem Vorwurf berechtigen.
Seltsamerweise disqualifiziert man sich bereits, wenn man nur daran denkt, solche Fragen zu stellen. Eigentlich ist es das bisher verbürgte Vorrecht von Journalisten, kritisch nachzufragen. Aber hier verlieren sie offenbar die Lust. Man holt sich keine Sympathien beim Volk, wenn man Greta hart konfrontiert. Man lässt sie lieber einfach reden. Es erinnert ein bisschen an die Auftritte von Kindern bei «Das Supertalent». Die eigentliche Leistung ist zweitrangig, es ist einfach irgendwie jöööh.
Würde sich Greta – hypothetisches Beispiel – gegen die Entwicklungshilfe engagieren, würden Journalisten nun minutiös ausleuchten, wie sie auf diese schiefe Bahn kam. Was lief im Elternhaus falsch, von wem wurde sie beeinflusst, wer berät sie, wer schreibt ihre Reden? Aber hier geht es um den Klimaschutz. Und bei einem solchen Thema fragt man nicht nach. Jemand, der die Welt retten will, entzieht sich der Recherche.
Die Schuld liegt natürlich nicht allein bei den Medien. Wenn die Organisatoren des WEF blitzschnell auf den Trend einsteigen und die junge Schwedin einladen, geben sie ihr damit ein Gewicht und rechtfertigen alle Zeilen, die danach geschrieben werden. Nur: Was wird geschrieben? Dass Greta im Zelt schläft. Wie sie sich dort warm hält. Wie lange ihre Anreise im Zug war. Was sie während der Fahrt gemacht hat. Investigativer Journalismus vom Feinsten.
Geht es um die Schwedin, wird jede noch so seriöse Zeitung plötzlich zur Leichte-Kost-Postille. Kein Mensch fragt, ob sie sich kontrovers mit den Forderungen auseinandergesetzt hat, die sie nun an die Welt stellt. Niemand konfrontiert sie mit Gegenthesen. Keiner fordert sie heraus. Weil man das bei einem Teenager, der uns allen die Zukunft sichern will, natürlich nicht tun darf. Stattdessen sitzen wir da und sehen im Livestream, wie sie von einem Blatt abliest.
Greta Thunberg ist das perfekte Beispiel dafür, dass Medien in vorauseilenden Gehorsam ihre Aufgabe vernachlässigen, sobald sie spüren, dass sie sonst beim Publikum auf Widerwillen stossen.
Stefan Millius ist geschäftsführender Partner der Kommunikationsagentur Insomnia GmbH und der Ostschweizer Medien GmbH in St. Gallen.
Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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