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Fakten unerwünscht

Roger Schawinski

Die No-Billag-Kontroverse heizt sich bereits viele Monate vor der Entscheidung immer weiter auf. Denn bei einer nüchternen Analyse gibt es genügend Aspekte, um das extreme Ansinnen der Initianten ernst zu nehmen.

Betrachten wir nur die wichtigsten: Die von den Verlegern befeuerte Gratismentalität hat sich vor allem in den Köpfen der jüngeren Generation festgesetzt. Aus finanziellen und zum Teil auch aus ideologischen Gründen sind sie nicht bereit, für Medieninhalte zu bezahlen, denn als Internet-Natives haben sie nie etwas anderes gelernt. Wenn ihnen eine Zwangsgebühr aufs Auge gedrückt wird, dann ist ihr Widerstand besonders hartnäckig. Und für 400 Stutz sind sie wohl sogar bereit, ein Abstimmungskuvert einzuwerfen. Befeuert wird diese Haltung zudem durch den aktuellen Rechtspopulismus mit seiner generellen Staatskritik. Weil dies durch die wachsende Medienverunglimpfung (Lügenmedien, Fake News) mittels Desinformationskampagnen von Trump bis Putin weiter verstärkt wird, erhalten diese Kräfte unglaublich viel Schub.

Doch das ist noch längst nicht alles. Da die Umsätze der Verlage massiv wegbrechen, ist ihr Kampf gegen die durch Gebühren alimentierte SRG heftiger denn je. Befeuert wurde diese Entwicklung durch einen «unforced error» der SRG-Führung. Sie wollte die Verlegerphalanx durch ihr Engagement bei Admeira spalten. Der Effekt war genau gegenteilig. Nach dieser als Affront empfundenen Aktion vervielfachten die aufgebrachten Verleger ihren politischen und publizistischen Widerstand gegen die SRG. Und deshalb kann die No-Billag-Abstimmung zu einer ganz heissen Nummer werden.

Inhaltlich findet die Diskussion auf bedenklich tiefem Niveau statt. Da äussern sich Politiker, die keine Ahnung von der Materie haben. Eines ihrer Standardargumente lautet, dass die SRG sich bei Unterhaltungssendungen zurücknehmen solle, weil dies die Privaten ebenfalls könnten. Wirklich?

Betrachten wir doch die Fakten: Dominik Kaisers Paradesendungen wie «Bauer, ledig, sucht…» und «Bachelorette» erzielen nicht nur gewaltige Marktanteile in der sogenannten werberelevanten Zielgruppe der 15- bis 49-Jährigen. Sie haben einen weiteren Vorteil: Sie bespielen ein ganzes TV-Genre exklusiv, denn die SRG kann aus programmlichen Gründen keine solchen Realityshows produzieren, und Kaisers private Konkurrenten sind finanziell nicht in der Lage, ganze Serien zu stemmen. Kaiser hat also in diesem Bereich ein nationales TV-Monopol. Und noch viel besser für ihn: Die Boulevardmedien stürzen sich in ihrer Jagd auf Skandale jeweils auf seine gezielt auf Krawall-gecasteten Protagonisten und liefern ihm damit unbezahlte Werbung in astronomischem Ausmass.

Doch trotz dieser optimalen Bedingungen sieht Kaisers Rechnung ernüchternd aus. Eine Staffel kostet gemäss seinen eigenen Angaben 2,5 Millionen Franken, spielt aber mittels Werbung nur ein mickriges Drittel des Aufwands ein. Das Resultat ist ein katastrophaler Verlust von 1,7 Millionen pro Staffel – verbucht als Marketing- und Werbekosten. Damit das Ganze für seinen Sender aufgeht, muss sich Kaiser deshalb auf einige wenige dieser Formate pro Jahr beschränken und sich sonst auf die spottbillig eingekaufte Lizenzware stützen. Mehr an eigenem Programm liegt schlicht nicht drin.


Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

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Kommentare

  • Wolfgang Frei, 16.11.2017 10:10 Uhr
    Merkwürdig, wie sich das Wort „Gratismentaliät“ verbunden mit Zeitungen im Internet eingebürgert hat. Wie wenn das eine Erfindung der Verleger gewesen wäre. Das Internet ist entstanden als Kommunikationsmedium zwischen amerikanischen Universitäten und war für die Nutzer gratis, auch wenn die Unis für die Infrastruktur bezahlten. Es war nie gedacht für einen kommerziellen Einsatz, der erst mit dem WWW und den .com-domains gekommen ist. Und gratis sind im Übrigen auch die Angebote der Verleger nicht – genausowenig wie die von Radio24, SAT.1 oder Radio1: Die Werbung wird schliesslich auch von jemandem bezahlt...
  • Nick Müller, 10.11.2017 23:32 Uhr
    @walther. Ja klar, jetzt bekommt diese Initiative sogar noch das Label einer gutmensch Idee. Die Phantasie kennt keine Grenzen. Ein SVP-Parteimitglied und Befürworter hat mir heute klipp und klar gesagt was die Absichten sind: Die Volkspartei fühlt sich in den Medien nicht ernst genommen. Darum der Versuch mit der Brechstange eine Wende zu erreichen: "Ziit das mir übernämed". Soviel zur künftig "neuen" Art zusammen zu leben. Merci, ich kann darauf verzichten.
  • Luciano Gloor, 10.11.2017 19:05 Uhr
    A propos Fakten: wieso argumentiert eigentlich niemand mit einer Analyse, wie sich die schweizerischen Printmedien nach 30 Jahren Marktbereinigung im Hinblick auf journalistische Qualität und Vielfalt über die Zeit verändert haben? Aus den Erfahrungen des Printbereichs können wir doch faktenbasierte Schlüsse ziehen, wie sich privat finanziertes Radio und Fernsehen anfühlen könnte, anstatt sich in ideologischen Luftkämpfen zu ergehen.
  • Luciano Gloor, 10.11.2017 18:46 Uhr
    Also wie die Pro-No-Billag Fraktion die Diskussion um die inländische Radio- und Fernsehgebühr durch den Vergleich mit dem habsburgischen Gesslerhut aufzuheizen versucht, entbehrt nicht einer gewissen Komik und stellt einen waghalsigen Akt geistiger Akrobatik dar, durch den Logik zum gewünschten Ergebnis zwangsdressiert wird. Aber Her Walther macht einen interessanten Vorschlag. In der Schweiz sei man es gewohnt, Aufgaben des Gemeinwohls mit progressiven Steuern zu finanzieren. Das wäre doch ein Reformvorschlag für die Gebühr, dem viele aktuelle Gegner der Gebühr bestimmt zustimmen können: eine progressiv dem Einkommen angepasste Gebühr, welche bei den Einen zum Null-Tarif führt, während die andern solidarisch den Löwenanteil tragen.
  • Christoph J. Walther, 08.11.2017 22:22 Uhr
    Das greift, wie die ganze No-Billag-Diskussion, zu kurz: Bei dieser Initiative geht es um die Grundsatzfrage, wie wir in unserem Land miteinander umgehen wollen. Die Billag-Gebühren/Steuern sind dafür einfach ein guter und aktueller Aufhänger. Es geht also um die Frage, ob es dem schweizerischen Anspruch auf Gerechtigkeit und Solidarität entspricht, eine für alle obligatorische Mediensteuer im Sinne einer Kopfsteuer bei allen zu erheben. Das ist der Gesslerhut des 21. Jahrhunderts, den BR Leuthard hat aufstellen lassen. Und den will die No-Billag-Initiative abschaffen. Denn in der Schweiz sind wir es gewöhnt, Aufgaben des Gemeinwohls mit progressiven Steuern zu finanzieren. -- Es könnte auch ein ganz anderer Anlass sein, um über uns und unser Land und die Art und Weise unseres Zusammenlebens nachzudenken.
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