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Heisse Newslage dank kaltem Wetter

Christian Beck

Die «russische Kältepeitsche». So nennen Wetterfrösche die Kältewelle, die seit Sonntag die Schweiz heimsucht. Ein Hochdruckgebiet über Skandinavien bringt dabei eisige Luft aus Russland zu uns. «Russenpeitsche» – dieser Begriff hat sich in den Medien durchgesetzt, nebst Begriffen wie «Kältekeule» oder «sibirisches Kältemonster». Schon Tage vor dem Temperatursturz wurde ausgiebig darüber berichtet. Seit Sonntag überschlagen sich die Ereignisse.

«Die ‹Russenpeitsche› ist da», heisst es in der «Südostschweiz». Der «Blick» berichtet über Touristen auf dem Titlis, die nicht «wussten, dass es so kalt ist» (siehe Video unten). Porträtiert Bauarbeiter, die ihr Pyjama unter den Arbeitskleidern tragen. Und zeigt einen Tierkadaver: «Diesen armen Fuchs hats eiskalt erwischt». Die «Tagesschau» bringt Bilder von Eisskulpturen am Bodensee. «Wer jetzt durch den eisigen Wind rennt, sollte so einiges beachten», warnt der «Tages-Anzeiger». Dank «20 Minuten» weiss der Leser: «Mit diesen Tricks überlebt Ihre Wohnung die Kälte». Und im Newsticker von 20min.ch und tagesanzeiger.ch präsentiert Leserreporterin Sylvia ihre eingefrorenen Wimpern – inklusive Videobeweis. Diese Aufzählung könnte natürlich weitergeführt werden.


Es geht aber noch absurder. «20 Minuten» verschickte am Dienstagmorgen eine Push-Benachrichtigung. Thema Kälte, was sonst. Und jetzt halten Sie sich fest. Im Push hiess es: «Gefriert Hustensaft schneller als Red Bull? Verfolgen Sie das Experiment im Livestream.»

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Was bei allem Sauglattismus leicht vergessen geht: Minusgrade im Februar sind durchaus normal. Klar, dieser Februar geht – nach einem milden Januar – als einer der kältesten in die Wettergeschichte ein. Daher: Die Kälte ist durchaus eine Meldung wert. Es war aber auch schon kälter, sogar im Unterland. Selbst in der Station Fluntern, die vom wärmeren Zürcher Stadtklima beeinflusst wird, beginnen die Top Ten der Tage mit den tiefsten Minimumtemperaturen erst bei knapp minus 20 Grad, wie der Tagi dokumentiert.

Kälterekorde

Was viel mehr Anlass zur Sorge geben sollte, ist eine kleine Schlagzeile im «Blick». In der Arktis sei es momentan wärmer als in der Schweiz, heisst es im Artikel. Null Grad am Nordpol im Februar seien besorgniserregend, sagt eine Forscherin. Aber, wer interessiert sich schon für den Klimawandel. Sowieso ist der Nordpol einfach zu weit weg für grosse Schlagzeilen. Hier interessiert, ob Hustensaft schneller gefriert als Red Bull.



Christian Beck ist Redaktor bei persoenlich.com.

 

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Kommentare

  • Sam Zumbuehl, 27.02.2018 23:11 Uhr
    Furchtbar diese Berichterstattung wegen ein 3 bis 4 mittelmässig-kalten Wintertagen (wie Stastitik zeigt, ist es oft auch viel kälter). Insbesondere "20 Minuten" des schmuddeligen Tamediakonzerns bauscht das Ganze wieder einmal absurd und unverhältnissmässig auf. Das Bedenkliche ist, dass viele Leute, vor allem die Jungen (zu denen ich auch gehöre), sich hauptsächlich nur noch über solch verluderten Medien informieren. Wir informieren uns zu blöde, und wissen immer weniger Bescheid über die wirklich relevanten Themen, die es zu bearbeiten gäbe. Während in Syrien zurzeit der schlimmste Krieg der Gegenwart tobt und niemand hinschaut, berichtet das Schmuddelmedium der Schweiz, "20 Minuten", über Po-Vergrösserungen, schnellen Sex und Roman Kilchsperger, der sich entschuldigen müsse. Ich kann die Medienprodukte von Tamedia nur boykottieren, dieses Unternehmen ist für mich tief gefallen, wobei ich natürlich ein einsamer Rufer in der Wüst bleiben werde. Das Niveau der Medien in der Schweiz nimmt kontinuerlich ab. Kein Wunder, will niemand mehr dafür bezahlen. Die Krise der Medien ist hausgemacht. Einfach traurig.
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