BLOG

Journalismus ohne Bullshit

Roger Schawinski

Natürlich habe ich gleich am ersten Tag einbezahlt, so wie überraschend viele andere auch. Ein journalistisches Produkt auf ganz neuer Basis soll es werden, und da muss man seinen Beitrag leisten, fand ich. Und tatsächlich wurde das Crowdfunding der Republik- Truppe zu einem eigentlichen Triumphzug, der die Macher wohl am meisten überrascht hat. Aber ihre PR-Arbeit im Vorfeld war schlicht vom Feinsten. Mit ihren publizierten Ankündigungen kitzelten sie genau die richtigen Zonen, um bei den Verteidigern der Zivilgesellschaft lustvolle Aha-Effekte auszulösen.

Trotzdem erlaube ich mir hier einige kritische Anmerkungen. Als fleissiger Leser der erfolgreichen amerikanischen Blogs wie vox.com, axios.com und motherjones.com die allesamt mit ähnlichen journalistischen Ansprüchen lanciert wurden, glaube ich, die Ingredienzen zu kennen, die auf längere Sicht notwendig sind, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Entscheidend ist, dass es diese tollen und oft weltbewegenden Storys überhaupt gibt, und da sind die amerikanischen Journalisten in den Zeiten von Trump in einer viel komfortableren Lage als ihre Kollegen in der Schweiz. Weder die Schweizer Politik noch das personelle Inventar, beginnend mit den wenig glorreichen Sieben im Bundeshaus, bieten ähnlich aufregendes Material. Und die Kabalen und Affären in Politik, Gesellschaft, Medien und Showbusiness erreichen nicht im Entferntesten US- Niveau. Daran können auch unsere besten journalistischen Spürhunde nichts ändern.

Das ist das eine. Hinzu kommt, dass bei all diesen neuen Medienangeboten die Recherche im Vordergrund steht. Erst dann folgen in der Bedeutungshierarchie die am Schreibtisch erstellten Analysen und Kommentare. Nur wenn bei den grossen Storys völlig neue und entscheidende Elemente oder ganz neue Geschichten präsentiert werden, können diese Medien die Aufmerksamkeit einer grossen Zahl von Lesern auf Dauer halten.

Die vollmundigen Versprechen der Republik-Gründer in Sachen hervorragender «Journalismus ohne Bullshit» klingen verlockend. Aber welches sind die Indizien, dass sie auch gehalten werden können? Republik-Mitgründer Constantin Seibt führt ohne Zweifel die mit Abstand eleganteste journalistische Feder im Land. Seine Artikel sind brillant geschriebene Analysen mit überraschenden Einsichten. Darum bewundern und beneiden ihn wohl die meisten seiner Berufskollegen. Aber dies ist etwas ganz anderes als die harte Reportertour, mit der man sich neue Informationen für tolle Storys beschafft. Dort muss man ungefragt an Türen klopfen, zur Unzeit Leute telefonisch kontaktieren und sich möglichst wenig auf die Internetrecherche stützen, wie Carl Bernstein kürzlich am White House Correspondentsʼ Dinner seine und Bob Woodwards Vorgehensweise bei Watergate erläuterte.

Diese Form der altmodischen Recherche ist notwendig, wenn man an wirklich Neues und Aufsehenerregendes gelangen will. Constantin Seibt, das journalistische Aushängeschild der Republik, muss also seinen Modus Operandi grundsätzlich ändern, wenn er seinen vollmundigen Ankündigungen Taten folgen lassen will. Sein Vorbild sollte Ezra Klein sein, der Gründer und Chef von vox.com, der eigenhändig wochenlange, aufwendige Recherchen unternimmt. Und dies gilt nicht nur für ihn, sondern für alle seine Mitstreiter, von denen sich meines Wissens bisher kaum jemand einen Namen als knallharter Reporter geschaffen hat.

Nur so wird es gelingen, zumindest hie und da auf journalistisches Gold zu stossen. Und in den Leerräumen, die es zwischen den Topstorys immer gibt, werden sie wie andere Journalisten wohl zu Hilfskonstruktionen greifen müssen. Und hie und da wird so, entgegen allen guten Vorsätzen und Versprechungen, auch eine Prise Bullshit-Journalismus reinrutschen. Als «ein klein wenig Verleger», also mit dem Argument, mit dem man Kleinsponsoren wie mich angelockt hat, werde ich genau auf diese Geschichten ein besonders gutes Auge werfen.

 

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Die neuesten Blogs

13.04.2024 - Hansmartin Schmid

Die Schweizer Medien und die Kriege

Die Schweizer Auslandberichterstattung ist in deutsche Hände geglitten.

Zum Seitenanfang20240426