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Was von der Botschaft ablenken kann

Marcus Knill

Nachdem Bundesrat Alain Berset von einer tätowierten Moderatorin interviewt wurde, tobte ein Sturm in den Medien (persoenlich.com berichtete). Meines Erachtens können aus dieser Geschichte folgende Lehren gezogen werden:

Bei Journalisten gibt es keine Kleidervorschriften. Dennoch müssten sich alle Berufsleute mit Publikumskontakt bewusst bleiben, dass es sich lohnt, auf alles zu verzichten, was die Kommunikation erschwert oder stört. Bei Medienauftritten empfehle ich stets, alles auszuklammern, was von der Botschaft ablenkt.

Das Fernsehen hatte deshalb – vor Jahren schon – von Moderatoren verlangt, dass sie vor der Kamera auf Piercings verzichten oder den Nasenring während des Auftrittes entfernen. Bekanntlich können Äusserlichkeiten Konsumenten irritieren.

Der Dresscode bei Banken ist nachvollziehbar. Wir müssen keine Bücher über Kleidersprache lesen. Der Rat genügt:

- Die Aufmachung und Kleider müssen immer zur Situation passen. An eine Beerdigung geht auch niemand im Sporttenue. Und in der Freizeit ist ein Smoking deplatziert.

- Die Bekleidung sollte zu mir, zu meiner Hautfarbe passen und gepflegt sein.

- In der Kleidung muss es mir zudem wohl sein.

Journalisten kommen vielfach hinsichtlich Kleidung sehr schlecht weg. Es ist eine Stilsünde, wenn ein Journalist im T-Shirt mit grosser Aufschrift die Bundespräsidentin interviewt. Viele Medienschaffenden sind sich nicht bewusst, dass man nicht wochenlang die gleichen ausgelatschten Turnschuhe tragen sollte. Journalisten im Bundeshaus sind immer wieder zu sehen, die sich dort einfach nicht von ihrer liebsten abgetragenen Outdoor-Jacke trennen wollen.

Möglich, dass sie mit ihrem Outfit bewusst machen wollen: Wir sind unabhängig. Wir sind Individualisten. Für uns gelten keine Kleiderkonventionen.

Auch bei Lehrpersonen war lange Zeit schludriges Auftreten in. Nach der 68er Generation mit dem bewussten «Körnchenpicker-Image» hat die junge Generation gemerkt, dass Lehrpersonen ernster genommen werden, wenn diese sich nicht als «Alternative» uniformieren und angemessen gekleidet vor die Klasse treten oder nicht im Turntenue beim Elterngespräch erscheinen.

Schade: Die Moderatorin Bettina Bestgen (Radio SRF Virus) war sich nicht bewusst, dass sich die Fernsehkonsumenten auf die Tätowierung mit dem velofahrenden Skelett konzentriert haben, statt aufs Interview.  

Die Frage, ob das Interview mit tätowierten Armen ein No-Go war oder nicht, hätte eigentlich die Journalistin selbst beantworten können. Bei allen Kommunikationsprozessen ist bekanntlich das «Wie» keine Nebensache.

Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik und Autor der virtuellen Navigationsplattform für Kommunikation und Medien www.rhetorik.ch.

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Kommentare

  • Menzi Stefan, 20.06.2017 13:03 Uhr
    Danke, lieber Herr Knill, für die stets interessanten Blogs von Ihnen. Sie sind gehaltvoll. professionell und lehrreich. Liest man gerne.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

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