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Wer ist ein guter Redner? Und einflussreich?

Am Tag, an dem Roger Köppel bekanntgab während seines Wahlkampfes 163 Reden zu halten, publizierte Eric Gujer in der NZZ den Text seiner GV-Rede: «Die Schweiz ist kein Kleinstaat, und sie ist auch keine Willensnation». Seither stellt sich wieder einmal die Frage nach Sinn und Einfluss von Reden in unserer digitalen Welt.

Meine Position ist klar: Reden sind noch immer von höchster Bedeutung – allerdings nur dann, wenn Redner aus Wirtschaft und Politik sich viel Zeit für die Vorbereitung nehmen und wirklich etwas zu sagen haben. Und diese Botschaft dann auch wirklich ausdrücken können. Dann, aber nur dann, erzielen sie Wirkung – für ihr Unternehmen, ihre Partei, ihre Ideen oder sich selbst. Der Inhalt alleine bestimmt den Erfolg eines Redners; irgendwelche «Techniken» oder «Coaching» sind im alles entscheidenden Moment des Auftritts vor dem kritischen Publikum bestenfalls nützliche Hilfsmittel.

Zufälligerweise beobachtete ich neben Gujer innerhalb weniger Tage noch drei andere Redner: In Schaffhausen schilderte Nadja Schildknecht auf Einladung der «Vortragsgemeinschaft» Gründung und Aufstieg des Zurich Film Festivals vor dem Hintergrund der Balance zwischen privaten Finanzmitteln und staatlichen Subventionen. Bevor Schildknecht das erste Wort sagte, verzauberte sie das Auditorium mit einem kurzen Festivalvideo, um dann umso unerbittlicher ihre Erfahrungen als Gründerin zu schildern. Alle in ihrer Rede zitierten Beispiele zielten in eine einzige Richtung: Sie wollte den jungen Leuten im Auditorium die Wichtigkeit von Standfestigkeit, Unermüdlichkeit und Fleiss aufzeigen.

Wenige Tage darauf begegnete ich an der «PR Litigation Konferenz» der ZHAW School of Management and Law in Winterthur Christoph Blocher und Kaspar Villiger: Sie berichteten über ihre Erfahrungen in Kommunikation und Meinungsbildung. Blocher sprach 35 Minuten völlig frei, ohne eine einzige Notiz, in seinem berühmten Mix von Hochdeutsch und Dialekt, geisselte unverständliche Worthülsen, griff Redenschreiber und PR-Berater an und plädierte vehement für eine klare, eigene Sprache. Früher habe er, so berichtete Blocher, seine Reden vor den Kindern geübt, die ihn gegen ein Stück Schokolade sofort unterbrechen mussten, wenn sie ihn nicht verstanden hätten.

Villiger berichtete, basierend auf einem vor ihm liegenden, perfekt formulierten Text, aus den zwei dramatischsten Phasen seiner Karriere als Politiker und Wirtschaftsführer: er schilderte die kommunikativen Problemstellungen als Bundesrat beim Konkurs der Swissair und als VR-Präsident beim Wiederaufbau der UBS zusammen mit Oswald Grübel als CEO: präzis, nachdenklich, konkret und den Wert des Teamwork betonend.

Alle vier Redner – Gujer, Schildknecht, Blocher und Villiger – haben ausserordentliche rednerische Leistungen abgeliefert, die jeweils ihre völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten widerspiegelten.

Welches sind die Kriterien für ein solches Urteil? Alle vier Redner haben eine von ihnen erarbeitete, substanzielle Botschaft vermittelt, die sie in die Öffentlichkeit bringen wollten – ohne Wenn und Aber; Wer ihnen zuhörte, ahnte, dass sie ihre Reden in Prozessen über eine längere Phase erarbeitet hatten; Alle vier achteten auf ihre eigene sprachliche Identität; der Wille, um eigene, persönliche Formulierungen zu ringen, war spürbar; Drei der vier Redner verzichteten auf Slides beziehungsweise Bilder – alle vier vertrauten auf die Macht und die Faszination ihrer Formulierungen, ihrer Berichte, Beschreibungen, Erfahrungen und ihrer Argumente.

Eric Gujer überraschte seine Zuhörer (und später die NZZ-Leser) zudem noch mit einer besonderen Fähigkeit: Ausgerechnet er, der im Ruf steht ein eiskalter Intellektueller zu sein, verteidigte das Rahmenabkommen mit der EU nicht nur mit argumentativer Stringenz, sondern mit Humor und Ironie. Roger Köppel wird sich 163 Mal an ihm messen lassen müssen. Wir leben in einer Ära der Reden. Freuen wir uns.



Peter Hartmeier ist Teilhaber von Lemongrass Communications und als Publizist und Berater tätig.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

 

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