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Willkommen bei Swissflix

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand hat viel Humor. Ausser natürlich, er meint das, was er gesagt hat, wirklich so und war gar nicht zum Scherzen aufgelegt. Es geht um den «à-la-carte»-Service, den die SRG ab Herbst 2020 anbieten will - eine Art thematisch geordnetes Streamingportal. Da fällt einem gleich Netflix ein, und Marchand bezieht sich in einem Interview auch auf das US-Unternehmen. Man könne diesen «Giganten» nicht bezwingen, aber: «Wir müssen einen Mehrwert mit eigenen schweizerischen Produktionen bieten. Das kann Netflix nicht.»

An dieser Stelle die traurige Nachricht: Doch, das kann Netflix schon. Vermutlich will es einfach nicht. Der US-Streamingdienst wildert durchaus gerne unter nationalen Formaten und gibt sogar Originalproduktionen in europäischen Ländern in Auftrag. Netflix ist also sehr wohl dezentral, was die Inhalte angeht und hält auch viel von Lokalkolorit. Dass es an Schweizer Inhalten fehlt, hat kaum etwas damit zu tun, dass das Unternehmen nicht an diese herankommt, sondern damit, dass es an diesen nicht interessiert ist.

Die «Innovation» dieses künftigen «SRG-Netflix» beinhaltet nach heutigem Wissensstand neben den angekündigten Eigenserien unter anderem, dass Sendungen aus der Romandie oder dem Tessin untertitelt oder synchronisiert werden, so dass auch Deutschschweizer in den Genuss kommen – und umgekehrt. Das ist ohne Zweifel genau das, auf das alle Schweizer TV-Konsumenten seit Jahren ungeduldig gewartet haben. Oder ohne Ironie: Als gesellschaftlicher Brückenschlag ist das eine nette Geste, einen grossen Ansturm auf dieses Angebot sollte man aber nicht erwarten.

Was die SRG schweizweit versucht, schafft Netflix bereits international: Dem ganzen Globus das Kaleidoskop nationalen Filmschaffens zu eröffnen. Ein Beispiel: Die hervorragend gemachte Serie «Haus des Geldes» war vermutlich für viele Leute der erste Berührungspunkt mit einer spanischen Produktion, im Kino finden sich solche eher selten oder dann in der Nische. Keine andere nicht-englischsprachige Serie wurde so oft bei Netflix abgerufen wie diese. Da draussen laufen also Millionen von Menschen herum, die nun wissen: Die Spanier haben es drauf. Das ist ein Quantensprung für den dortigen Filmmarkt.

Wenn die Schweiz das auch schaffen möchte, braucht sie keine SRG-Plattform, die sich um sich selbst dreht, sondern muss dafür sorgen, dass kreative Köpfe herausragende Filme und Serien machen, an denen auch internationale Streamingdienste nicht vorbeikommen. Das Schweizer Fernsehen, das oft als Co-Produzent heimischer Produktionen fungiert, leistet dabei selten wirksame Schützenhilfe, weil hier gilt: Lieber biederer Durchschnitt, der keinem weh tut als Risiken einzugehen. Die Technologie ist das eine. Der Inhalt ist entscheidender.



Stefan Millius ist geschäftsführender Partner der Kommunikationsagentur Insomnia GmbH und der Ostschweizer Medien GmbH in St. Gallen.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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