17.05.2016

Margrit

«Leute treffen, die nach keinem Algorithmus ausgewählt wurden»

Stefan Ganz hat jahrelang als Werber gearbeitet. Nun gründete er mit «Margrit» eine Plattform, auf der sich Fremde zum Mittagessen verabreden können. Im Interview spricht er über die Geschäftsidee und sagt, wie er Simonetta Sommaruga an einen der Tische holen würde.
Margrit: «Leute treffen, die nach keinem Algorithmus ausgewählt wurden»
von Raphael Rehmann

Herr Ganz, wo essen Sie heute zu Mittag?
Heute gehe ich zu meinem Bruder, der ja auch mein Geschäftspartner ist. Er hat auf unserer Plattform ein Essen ausgeschrieben. Bisher haben sich aber noch keine Gäste angemeldet. Es kann also gut sein, dass wir einfach einen Business-Lunch machen und dabei arbeiten.

Nutzen Sie ihr eigenes Angebot oft?
Ich gehe einmal pro Woche bei jemandem von Margrit essen. So war ich schon in Basel, in Oftringen oder in Chur. Manchmal porträtiere ich die Köche gleich, das kommt dann auf unsere Facebook-Seite. Und ich biete natürlich selber Essen an.

Was ist der Reiz daran, mit Fremden zu essen?
Abgesehen davon, dass es gut schmeckt? Ich finde spannend, dass man nicht weiss, was einen erwartet. Es ist ein Abenteuer, wobei ich bisher immer gute Erfahrungen gemacht habe. Kürzlich sass ich an einem Tische mit einer jungen Mutter, einem Finanzberater und einem DJ.

Bleiben die Gespräche da nicht oberflächlich?
Überhaupt nicht. Zuerst wollten sie natürlich etwas über unser Geschäft wissen. Mein Foto ist ja auf der Website, die Leute erkennen mich. So hat sich schnell ein Gespräch ergeben. Schliesslich redeten wir über den Umgang der Gesellschaft mit der Digitalisierung. Natürlich reden da nicht alle gleich viel mit. Man isst ja auch nebenbei. Die Feedbacks sind jedenfalls meistens sehr gut.

Stichwort Digitalisierung: Muss ich in Zeiten von Facebook, Twitter und Instagram wirklich mit Fremden an den Tisch sitzen, um mich mit ihnen unterhalten zu können?
Müssen nicht. Aber durch die sozialen Netzwerke geht das «echte» Gespräch immer mehr verloren. Margrit ist eine Chance, Leute zu treffen, die nicht nach einem Algorithmus ausgewählt wurden. Dieses Bedürfnis besteht offenbar: Wir haben momentan in der Deutschschweiz 550 Mitglieder, vermitteln rund fünf Essen pro Tag.

Die meisten Essen auf Ihrer Plattform kosten zwischen 12 und 20 Franken. Sie nehmen von jedem vermittelten Menü 15 Prozent Kommission. Da müssen Sie wahnsinnig viele Essen vermitteln, damit Sie davon leben können.
Das ist wahr, ja. Dieses Geschäftsmodell lohnt sich erst, wenn man es ganz gross aufziehen kann. Wenn es sich in der Schweiz etabliert, dann kann man von den Einnahmen vielleicht ein ganz kleines Team unterhalten. Aber viel verdienen werden wir erst, wenn Margrit in vielen Ländern genutzt wird. Doch wir wollen jetzt zuerst zeigen, dass unser Konzept funktioniert – dass es Leute gibt, die kochen und die das Angebot in Anspruch nehmen.

Sie waren zuvor fünf Jahre lang in der Werbebranche tätig, unter anderem als Texter für Jung von Matt und KSP. Inwiefern hilft Ihnen diese Vergangenheit?
Sie hilft mir sehr. Ich habe mir in der Werbebranche vieles angeeignet, das mich heute weiterbringt. Beispielsweise wie man zu einem Konzept kommt und danach zu dessen Umsetzung. Ich habe gelernt, dass man etwas lieber weglassen soll, wenn es nicht funktioniert. Zudem bekam ich für Margrit viel Unterstützung, etwa von Grafikern oder Fotografen. Da frage ich jeweils ganz unverschämt an – man glaubt es vielleicht nicht, aber die meisten helfen gern.

Sie hatten als Texter auf Ende 2015 gekündigt. Damit haben Sie für das Startup einen guten Job aufgegeben.
Ich habe eine gute Stelle gekündigt. Ich denke nicht, dass ich den Job aufgegeben habe. Ich könnte wieder Fuss fassen, wenn ich unbedingt zurück wollte. Im Moment bereue ich meinen Schritt aber nicht. Ich habe viel Spass daran, etwas aufzubauen.

Was hat zum Ausstieg geführt?
Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage. Ich möchte vielleicht ja wieder einmal einen Auftrag als Freelancer (lacht). Ich denke, die Werbebranche ist im Moment ein bisschen in einer Krise. Man traut den Werbern die kreative Kompetenz nicht mehr zu, die Auftraggeber wollen sehr viel selber bestimmen. Viele gute Ideen werden deshalb nicht umgesetzt, es ist zu wenig Mut da. Das hat mich je länger je mehr frustriert.

War das früher anders?
Das weiss ich nicht, dafür bin ich zu wenig lang dabei. Aber ich weiss, dass ich so nicht arbeiten möchte. Ich setze lieber mal eine mutige Idee um und verliere möglicherweise halt etwas Geld damit. Wichtig finde ich, dass man es versucht – und zwar mit Herzblut. Der Hauptgrund für meinen Ausstieg war aber nicht die Werbung, sondern die Lust am neuen Projekt.

An Mut fehlt es Ihnen ja nicht: Auf Ihrer Website schreiben Sie, Sie wollten auch Bundesräte an die Tische holen. Wie würden Sie das anstellen?
Das wäre schon cool, ja. Für einen Bundesrat muss ein solches Angebot ja spannend sein: Nirgendwo sonst kommt er direkter mit der Basis, den «gewöhnlichen» Leuten in Kontakt, als an ihrem Esstisch. Wahrscheinlich müsste man aus dem Siebnergremium einen rauspicken und einfach mal anfragen.

Wen würden Sie auswählen?
Ich würde es bei Frau Sommaruga versuchen. Vielleicht mit einem Brief. Es wäre gut, wenn es in der Nähe des Bundeshauses ein Angebot gäbe. Wenn sie Bodyguards braucht, dürften die natürlich mitessen. Das wäre gute PR für sie. Jemand aus dem amerikanischen Wahlkampf würde sicher zusagen.

Ihre Köche und Gäste duzen sich.
Ja. Simonetta Sommaruga würde ich selbstverständlich als «Frau Bundesrätin» anschreiben. Wenn sie sich dann aber auf der Plattform registriert, steht da «Simonetta». Dann würden wir sie auch duzen.

Bei Startups ist man ja oft Allrounder, man arbeitet in vielen verschiedenen Bereichen. Liegt Ihnen das?
Bisher sehr. Ich mache tatsächlich fast alles, das irgendwie anfällt. Ich schreibe Firmen an und mache sie darauf aufmerksam, dass es in ihrer Nähe einen Koch gibt. Ich erstelle Designs, entwickle das Produkt weiter, mache die PR-Arbeit – und bin oft auch Ansprechpartner für die Anbieter auf unserer Plattform. Erst kürzlich erzählte mir eine ältere Frau, wie toll ihr Gast gewesen sei und wie er nach dem Essen gleich vorgeschlagen habe, ihren Tisch zu reparieren.

Wie sehen Sie die Zukunft von Margrit?
Ende Sommer sind wir an einem Punkt, an dem unser Kapital langsam aufgebraucht ist. Bis dahin wollen wir die Zahl der Essen auf täglich zehn verdoppelt haben – auf dieser Basis können wir dann anfangen, Investoren zu suchen. Sollten wir keine finden, machen wir trotzdem weiter – dann müssen wir halt andere Finanzierungsmöglichkeiten finden. Ziel ist es auf jeden Fall, Margrit in die umliegenden Länder zu bringen.

Margrit – Mittagessen bei Privatpersonen. Mehr Infos: www.margr.it

Bild: zVg

 



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