19.04.2017

#WeAreHere

Eine Woche lang nur auf Frauen reagieren

Die neu entbrannte Debatte um Feminismus vs. Chauvinismus ist um eine Initiative reicher: #WeAreHere soll das Bewusstsein für unabsichtliches Verschweigen schärfen. Hinter der am Dienstag lancierten Aktion steht die Schweizer Filmemacherin und «Tages-Anzeiger»-Kolumnistin Güzin Kar.
#WeAreHere: Eine Woche lang nur auf Frauen reagieren
Für SRF dreht sie aktuell eine Serie über Sex in Langzeitbeziehungen: Güzin Kar. (Bild: Keystone/Martin Ruetschi)
von Edith Hollenstein

«Mir fiel immer wieder auf, wie sehr sich Männer in den sozialen Medien aufeinander beziehen und die Leistungen, Arbeiten, Äusserungen von Frauen absichtlich oder unabsichtlich verschweigen und in die Unsichtbarkeit verdrängen», schreibt Güzin Kar auf Facebook. Die Autorin und Regisseurin lancierte mit diesem Post am Dienstag die Aktion #WeAreHere. 

Um sich diesen Mechanismen bewusster zu werden, hat sie sich vorgenommen, «eine Woche lang ausschliesslich auf Aussagen, Interviews, Tweets, FB-Einträge und Artikel von oder über Frauen zu reagieren und deren Voten weiterzuverbreiten». Kar lud Kolleginnen ein, das gleiche zu tun. «Die Aktion sollte aber kein wissenschaftliches Experiment werden, sondern eine irre und lustige Polit-Punk-Intervention wie es sie in der jüngsten Vergangenheit schon mehrmals gab», schreibt sie. 

Frau Kar, was hat Sie so geärgert, dass Sie #WeAreHere gestartet haben?
Gründe gab es viele, der Anlass war die Aufzählung wichtiger politischer Stimmen im Schweizer Literaturbetrieb durch einen Autor, der sämtliche Frauen «vergass».

Was für ein Artikel war das?
Ich möchte ihn nicht nennen, da dieser nur beispielhaft für alle anderen steht. 

Welche massgeblichen Frauen fehlen denn in der Aufzählung – ausser Ihnen? 
Melinda Nadj Abonji, Ruth Schweikert, Sibylle Berg, Erica Pedretti, Dana Grigorcea und natürlich die grosse Mariella Mehr, um nur einige Autorinnen zu nennen, die sich explizit politisch einbringen und eine grosse Reichweite haben.

Nun starteten Sie #WeAreHere, «eine irre und lustige Polit-Punk-Intervention», wie Sie auf Facebook schreiben. Was ist dran «lustig»?
Ich suche nach anderen Formen des Lustigseins als das übliche narzistisch-ironische Gebrabbel auf Social Media. Lustig ist diese Aktion, weil sie Wendungen nimmt, die man nicht voraussehen kann, und weil sie dabei die bekannten Verhältnisse und Gegebenheiten auf den Kopf stellt. Und natürlich soll die Aktion Spass machen, Auftrieb geben. 

... und was ist «irr»?
Von Frauen wird oft auf einer unbewussten Ebene verlangt, dass sie wohl durchdachte, in sich geschlossene Voten oder Aktionen zu präsentieren hätten, die sie bitte in möglichst kurzer Zeit vorbringen, so dass sie den üblichen Betrieb nicht stören. Wir müssen uns aber «irrer» im Sinne von «unlogischer», «unvorhersehbarer» zeigen. Das ist diese Aktion - hoffentlich.

Warum ist #WeAreHere nötig?
Wir alle unterliegen aufgrund unserer Sozialisation bewussten oder unbewussten Mechanismen, die zu blinden Flecken führen. Ich bin da nicht ausgenommen. Frauen werden bevorzugterweise dann als Expertinnen herangezogen, wenn sie sich entweder mit sogenannten Frauenthemen beschäftigen oder wenn partout kein Mann zu finden war. Und Frauen scheinen immer hauptberuflich «Frau» zu sein und daneben als Hobby Nuklearforschung, Literatur, Politik zu betreiben. 

Ist die Situation im Journalismus tatsächlich so schlimm?
Im Journalismus kenne ich mich nicht aus, da ich ausser meiner Kolumne keine journalistischen Texte schreibe. Ich bin Filmerin und führe zur Zeit Regie beim Dreh zu meiner SRF-Serie «Seitentriebe». Wie immer beim Film arbeiten viele Frauen und Männer zusammen, und auch im Film läuft es besser als in vielen anderen Branchen. Sichtbarkeit allein löst das Problem aber nicht.

Machen Sie ein Beispiel?
Ich drehe viele Nacktszenen. Dabei frage ich jede Schauspielerin und jeden Schauspieler, wie weit sie oder er gehen möchte. Es gibt Frauen, die sich sehr gern nackt zeigen, es gibt Männer mit hoher Hemmschwelle. Und dennoch ist es nun einmal nicht dasselbe, ob sich ein Mann oder eine Frau nackt vor einem Publikum zeigt. Sichtbarkeit ist das eine, Respekt das andere. 

Wie lange dauert die Aktion?
Wir machen weiter bis 25. April um 12 Uhr.

Was sollen Frauen tun, die mitmachen wollen?
Sie sollen nicht zu lang überlegen, sondern einfach mitmachen. Man unterschreibt ja keinen Vertrag, sondern kann wieder aufhören, wenn es einem doch nicht zusagt. Wir gehen eine Woche lang nur auf Artikel, Voten und Einträge von Frauen ein, um uns dessen bewusst zu werden, was wir wann als relevant ansehen. Es ist so, als würde man sich eine Woche bewusster ernähren oder einer Spezialkost unterziehen, um das Bewusstsein für die eigenen Essensgewohnheiten zu schärfen. Einfach, dass es hier um geistige Kost geht.  

Und die Männer?
Männer sind herzlichst eingeladen, mitzumachen. Sie können ebenfalls eine Woche lang vonehmlich auf Beiträge von Frauen eingehen, um sich so ihrer alltäglichen Handlungen bewusst zu werden. 



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