20.10.2016

Bertrand Piccard

«Es war wie eine Sucht»

Vor drei Monaten beendete Bertrand Piccard in Abu Dhabi die erste Weltumrundung mit einem Solarflugzeug. Im Interview spricht der 58-jährige Psychiater und Abenteurer über seine Motivation, den Höhepunkt seiner Reise und spirituelle Begegnungen.
Bertrand Piccard: «Es war wie eine Sucht»
«Unser Flugzeug benötigte keinen Treibstoff und verursachte keinerlei Luftverschmutzung.»: Bertrand Piccard über seine letzte Reise. (Bild: Persönlich-Archiv)
von Matthias Ackeret

Herr Piccard, Sie halten derzeit auf der ganzen Welt Vorträge über Ihre letzte Reise. Was ist anstrengender: diese Referate oder die Weltumrundung im Solarflugzeug?
Die Vorträge bereiten mir grosse Freude, weil ich mein Abenteuer mit anderen Menschen teilen kann. Im Vordergrund steht dabei die Botschaft Solar Impulse. Wir wollten mit unserem Flug beweisen, dass man mit sauberen Technologien und erneuerbaren Energien das Unmögliche möglich machen kann. Wir haben in 15 Monaten 43'000 Kilometer zurückgelegt, ohne einen Tropfen Benzin zu verwenden. Das ist unglaublich! Da ich über längere Zeit keine Vorträge mehr gehalten und mich nur über Funk mit den Menschen in der Bodenstation unterhalten habe, sind die Vorträge zudem eine tolle Abwechslung.

Wie viele Referate halten Sie im Moment?
Zwei bis drei pro Woche, am meisten für unsere Partner, für Regierungen und für die Uno.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie vor rund zwei Monaten, am 26. Juli, in Abu Dhabi gelandet sind? Überwog die Erleichterung oder das Bedauern, dass nun alles vorbei ist?
Ganz klar die Erleichterung. Das Projekt war weitaus schwieriger und dauerte auch viel länger, als wir anfänglich gedacht hatten. Als ich 2002 mit den Vorbereitung startete, warnten mich viele und meinten, das Ganze sei unmöglich. Sie hätten beinahe recht bekommen: Es war wirklich fast unmöglich. Als wir auf Hawaii einen mehrmonatigen Zwischenstopp machen mussten,
 um das Flugzeug zu reparieren, hatte ich 
auch meine Zweifel. Trotzdem hatten wir die
 grössten Schwierigkeiten gar nicht in der Luft, sondern am Boden. Zuerst benötigten wir sehr viel Geld, um das Ganze zu finanzieren. Dank Sponsoren ist dies gelungen. Daneben brauchten wir aber auch die notwendigen Überflugbewilligungen, um die einzelnen Länder zu überqueren. Gleichzeitig hatten wir viele meteorologische und technische Probleme zu lösen. Sobald wir aber in der Luft waren, war dies alles wie weggewischt. Es war ein Traum, und zwar ein absolut unglaublicher! Dies wurde mir bewusst, als ich über eine Strecke von 4000 Kilometern von Hawaii nach Kalifornien und später über den Atlantik von New York nach Sevilla geflogen bin. Man fühlte sich wie in einem Science-Fiction-Roman, der nicht von der Zukunft, sondern von der Gegenwart handelt. Unser Flugzeug benötigte keinen Treibstoff und verursachte keinerlei Umweltverschmutzung. Ich habe wirklich jeden Moment in der Luft genossen. Mehr noch: Es war wie eine Sucht, ich wollte immer noch weiter fliegen.

Wie viel kostete das ganze Projekt?
170 Millionen. Finanzieren konnten wir es dank der Marketingleistungen unserer Partner, die für die technologische Entwicklung, die Löhne des Teams sowie die Arbeit der involvierten KMU aufkamen – ein gutes Businessmodell.

Mit Ihrem Partner André Borschberg hatten Sie keine Probleme?
Nicht im Geringsten. André und ich haben uns etappenweise abgewechselt. Jeder flog für sich allein eine Strecke. War ich in der Luft, war Andé am Boden – und umgekehrt.

Aber gab es keine Diskussionen darüber,
 wer die schöneren Strecken fliegen durfte?
Es gab insgesamt siebzehn Etappen, sodass es gar keine Diskussionen darüber geben konnte, wer die schöneren fliegen durfte. André und ich hatten beschlossen, dass er den Anfang mache, also die Strecke von Abu Dhabi bis nach Oman, während ich die Schlussetappe bewältigen würde. Weil er über mehr Flugerfahrung als ich verfügt, hat er den ersten Teil über den Pazifik geflogen, also von Japan bis Hawaii, ich den zweiten. Es war eine gute Zusammenarbeit.

Gab es für Sie einen absoluten Höhepunkt?
Es gab verschiedene. Einer war, als ich hoch über dem Pazifik von meinem Cockpit aus mit Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, der sich mit 175 «heads of state» am New Yorker Hauptsitz befand, per Satellit telefonieren konnte. Wir sprachen über saubere Technologien als Mittel gegen die Klimaveränderungen. Ich sage immer, mein Kopilot war die Swisscom, die dies technisch ermöglicht hat. Am eindrücklichsten war die Atlantiküberquerung, als wir die Grenze zwischen Alter und Neuer Welt überflogen. Ich meine dies nicht geografisch, sondern bezüglich der Geisteshaltung in puncto Energiefragen. Unvergesslich war natürlich auch die Landung in Abu Dhabi, als das ganze Abenteuer erfolgreich endete und wir von Bundesrätin Leuthard empfan- gen wurden. 

Wie geht es weiter mit Solar Impulse?
Zum einen arbeiten wir unter dem Namen Solar Impulse an drei unbemannten Drohnen, die im Bereich Telekommunikation eingesetzt werden sollen. Zum anderen wollen wir mit der Solar-Impulse-Stiftung alle Akteure der sauberen Technologien zusammenbringen, um eine Kommunikationsplattform zu schaffen und den Regierungen Lösungen im Kampf gegen die Klimaveränderung zu bieten.

Erfolgt dies in der Schweiz?
Nein, weltweit. Die Schweiz ist auf diesem
 Gebiet längst nicht mehr das Zentrum. Das
 war vielleicht früher einmal der Fall, zu
 Lebzeiten meines Grossvaters (lacht). Mitt
lerweile wird auf der ganzen Welt über erneuerbare Energie nachgedacht und dazu geforscht. Doch jedes Land, jedes Institut
 macht dies isoliert. Es gibt keine Stelle, die
 diese Erkenntnisse koordiniert. Mit dieser 
Kommunikationsplattform sollen alle Forschungsresultate zu sauberen Technologien gesammelt werden. Damit wollen wir den Experten eine Grundlage geben, um die Regierungen zu beraten. Dies war mein Ziel, als ich Solar Impulse gegründet habe, und ich verfüge jetzt dank der Weltumrundung über die Glaubwürdigkeit, das zu tun.

Jetzt will auch die Schweiz die Energiewende herbeiführen. Ist dies überhaupt möglich, so wie es der Bundesrat vorschlägt?
Wir haben die Wahl. Wir können mit Energieverschwendung und Umweltverschmutzung weitermachen, doch das führt langfristig zur Katastrophe. Dies betrifft nicht nur die Umwelt, sondern auch das Wachstum. Wenn wir uns der Cleantech-Revolution verweigern und keine neuen Produkte auf den Markt bringen, stagniert die Wirtschaft. Die bessere Wahl wäre es, in saubere Technologien zu investieren. Konkret bedeutet dies, alle alten Systeme durch neuere und sauberere zu ersetzen. Die Automotoren verzeichnen 73 Prozent Energieverlust. Sie basieren auf einer Technologie, die bereits hundert Jahre alt ist. Was wir brauchen, ist Elektromobilität.

Also Teslas?
Beispielsweise. Ich selbst fahre einen Lexus-Hybrid. Wir müssen die Häuser neu ausrüsten und LED-Leuchten statt Glühlampen sowie Wärmepumpen statt elektrische Heizungen installieren. Dies würde den Energiebedarf um die Hälfte senken und neue Arbeitsplätze schaffen. Dies wäre die richtige Richtung.

Heisst das, dass man alle Atomkraftwerke sofort abstellen sollte?

Nein, aber langfristig bedeutet es, dass wir die alten Ressourcen durch neue ersetzen sollten – natürlich in einem vernünftigen Mass. Man kann nicht die Energiezufuhr von einem Moment auf den andern drosseln. Die Einführung erneuerbarer Energien ist ein schleichender Vorgang. Wenn man alle Glühlampen durch LED-Leuchten ersetzen würde, könnte man ein Atomkraftwerk vom Netz nehmen. Das Gleiche gilt für die Heizungen. Wenn man stattdessen Wärmepumpen installieren würde, könnte man ein zweites Atomkraftwerk schliessen. Sie sehen: Zwei Atomkraftwerke kompensieren nur den Verlust, der durch die Wahl falscher Energieträger erzeugt wird. Die heutige Gesellschaft konzentriert sich nur auf die Erzeugung von noch mehr Energie. Dabei vergisst man gerne, dass der Profit und die Zukunft in der Energieeffizienz und im Ersetzen alter Systeme durch neue liegen.

Ganz zum Schluss: Sie waren sehr viel allein in der Luft. Hatten Sie dabei jemals – um es ein wenig pathetisch aus- zudrücken – ein Gotteserlebnis?
Ja, es gibt sicherlich spirituelle Begegnungen. Wenn man allein über den Pazifik fliegt, steigert sich das Bewusstsein, man spürt förmlich die Gegenwart. Dieser einmalige Kontakt mit der Umwelt, der Natur und den Elementen beflügelt auch das Innere. Es ist unglaublich.

Glauben Sie an Gott?
Ich glaube an den Gott, der die Menschen erschaffen hat. Aber ich glaube nicht an denjenigen, den die Menschen erschaffen haben.

Gibt es noch ein Abenteuer, das Sie reizen würde?
Wenn ich ein drittes Mal um die Welt fliegen würde, wäre es Routine und kein Abenteuer mehr.


Was sagt Bertrand Piccard sonst noch zur Weltumrundung mit einem Solarflugzeug, seine Vorfahren und seinen Antrieb zu Höchstleistungen? Lesen Sie das vollständige Interview. Sie finden es in der aktuellen Print-Ausgabe vom «persönlich»-Magazin.



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Kommentare

  • Dieter Widmer, 21.10.2016 06:01 Uhr
    So toll die Leistung auch ist, ich kaufe Bertrand Piccard nicht ganz ab, dass die Weltumrundung mit dem Solarflugzeug so selbstlos war. Vielmehr war es doch der familiäre Pioniergeist, der ihn trieb, wie auch seinen Vater und seinen Grossvater. Solarflugzeuge lassen sich ja nicht kommerziell verwerten, es ging um einen neuen Rekord. Als Marketingstratege will er jetzt eine Plattform für ökologische Produkte entwickeln.
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