07.12.2020

Serie zum Coronavirus

«Wir wollten als letzter Organisator aufgeben»

Folge 144: Der Aroser Tourismusdirektor Pascal Jenny im Gespräch über ein digitales Humorfestival, geschlossene Restaurants und warum er glaubt, dass man über Weihnachten normal Ski fahren kann.
Serie zum Coronavirus: «Wir wollten als letzter Organisator aufgeben»
«Nun bin ich Mitte 40 und möchte meine Erfahrung vermehrt strategisch einbringen», sagt Jenny im Gespräch über seine Zukunft. (Bild: zVg.)

Herr Jenny, Sie haben das Aroser Humorfestival dieses Jahr in veränderter Form – also vor allem digital – durchgeführt. Macht das so überhaupt Spass?
Das macht natürlich bei Weitem nicht gleich viel Spass wie unser geliebtes Festival im Schnee und im Zelt auf dem Tschuggen. Mir fehlt nur schon der tägliche Nachtspaziergang im Schnee und unter dem Nachthimmel nach den Vorstellungen zurück ins Dorf. Aber mit dem Arosa Humorfestival «digital» haben wir wenigstens täglich in der warmen Stube zu Hause etwas zu lachen. Es ist ein Zeichen und war in der misslichen Lage die beste aller Alternativen.

Wie waren die Reaktionen des «Publikums»?
Wir kriegen vor allem viele Rückmeldungen, dass man es toll findet, dass wir eine Alternative bieten. Das «Publikum» sagt aber auch klar, dass es nicht im Geringsten mit dem «echten» Festival zu vergleichen ist. Die Zugriffe sind dennoch zufriedenstellend und es ist lustig, in diesem Rückblick über 28 Jahre Humorfestival zu beobachten, wie sich auch die Szene verändert hat. Immerhin kommen beim «Publikum» so was wie Nostalgiegefühle auf. Unsere Partner und Sponsoren schätzen es zudem auch sehr, dass wir diese Art «Gegenleistung» bieten.

Kann man den Verlust beziffern, der durch die physische Nichtdurchführung entstanden ist?
Leider ja. Unser Motto ist und war, dass wir als letzter Organisator aufgeben werden. Dies hat sich im Sommer bewährt und wir konnten viele Anlässe trotz Pandemie und mit grossem Aufwand für ein Schutzkonzept durchführen. Beim Humorfestival hat uns diese Einstellung nun natürlich viele anfallende Kosten «beschert». Wir schliessen mit rund 350'000 Franken Defizit ab. Und dies bei einem Budget von normal rund zwei Millionen Franken. Wir hoffen aber, dass wir vom Kanton und der Gemeinde einen Teil per Defizitgarantie ausgeglichen erhalten.

«In meinen Augen wird man über Weihnachten normal Ski fahren können»


Momentan sind in Graubünden auch noch alle Restaurants während der nächsten beiden Wochen geschlossen. Was bedeutet dies für eine Tourismusdestination?
Vor allem für unsere Gäste ist es einschneidend. Genauso für unser Leistungspartner in der Gastronomie. Der Schnee ist pünktlich zum Festivalstart eingetroffen. Die Bergbahnen machen einen super Job im Bereich Pistenpräparation. Auch haben wir doch einige Gäste, die den Winter vor den Festtagen in Arosa geniessen wollen. Diesen fehlt nun natürlich das winterliche «Bergbeizen»-Feeling. Die rasche Umorganisation mit Take-Away-Angeboten und Kooperationen ist aber erfreulich. Die Flexibilität von vielen Touristikern in Arosa und Graubünden ist bewundernswert.

Wie haben Ihre Gäste und vor allem die Wirte auf diesen ungewöhnlichen Entscheid reagiert?
Einige mit Enttäuschung, teilweise auch Unverständnis. Vor allem in Kenntnis, dass in unserer Region praktisch keine Fälle aufgetreten sind und die Restaurants sehr viel in gute Schutzkonzepte investiert haben. Viele haben aber auch umgehend nach Lösungen gesucht. In der aktuellen Zeit akzeptieren wir alle die Entscheide der Behörden und versuchen, das Beste daraus zu machen. Das ist eine Eigenschaft, die man im Tourismus seit Ausbruch der Pandemie rasch entwickelt hat. Wir von der Leadorganisation in Arosa fördern das auch ganz bewusst und unterstützend.

Glauben Sie, dass diese Massnahme die gewünschte Wirkung zeigt und man über Weihnachten wieder «normal» Ski fahren kann?
In meinen Augen wird man über Weihnachten normal Ski fahren können. Zumal man ja auch weiss, dass alles was outdoor stattfindet, hinsichtlich Pandemie mit geringen Risiken verbunden ist. In den Innenräumen wird weiterhin wichtig sein, dass die Schutzkonzepte umfassend und rücksichtsvoll umgesetzt und akzeptiert werden. Der Festtage-Tourismus wird aber mit weniger Gästen als in den Vorjahren stattfinden. Die Buchungslage ist klar tiefer als in vergangenen Jahren. Damit es keine weiteren Einschränkungen gibt, ist es jedoch wichtig, dass die ganze Schweiz die verordneten Massnahmen jetzt auch trägt.

«Der Trend sollte zu weniger, aber längeren Reisen gehen»


Welche Alternativen kann man als Tourismusdestination überhaupt in einer solchen Situation anbieten?
Da sind wir sehr kreativ und flexibel. Bei uns in Arosa haben wir das bereits grosszügige Angebot an Winterwanderwegen, Langlaufloipen, Schneeschuhtouren und Schlittelpisten nochmals erweitert. Zudem bieten wir beispielsweise Tierbeobachtungen zu «Unzeiten» oder eben Essenslieferdienste an. So können die Kontaktzahl verringert und die grossen Platzverhältnisse in der Ferienregion optimal genutzt werden.

Wird diese Pandemie den Tourismus langfristig verändern?
Das ist zu erwarten und auch zu hoffen. In meinen Augen sollte der Trend zu weniger, aber längeren Reisen gehen. Bewusster teilnehmen am Leben der Ferienregion als Ziel. Wir haben kurz vor dem Ausbruch der Pandemie die Strategie «Arosa 2030» lanciert. Ziel ist es, unser Ferienangebot im Bereich der ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit zu schärfen. Ein Erfolg wäre es, wenn künftig beispielsweise 50 – 70 Prozent unserer Gäste mindestens 14 Tage in der Ferienregion bleiben. Vielleicht auch kombiniert mit «Homeoffice» in den Ferien. Da gehen neue Angebotsfenster auf, die für uns im Tourismus immense Chancen bieten.

«Ich erachte es als wichtig, dass man dann auch loslassen kann»


Sie geben bald die operative Führung ab und werden Verwaltungsratspräsident von Arosa Tourismus. Was hat zu diesem Entscheid geführt?
Für mich war immer klar, dass ich nicht der «ewige Tourismusdirektor» von Arosa, wie beispielsweise Hanspeter Danuser beim Mitbewerber dies war, sein will. Bei aller Begeisterung für den Job und all dem Erfolg von Arosa erachte ich es als wichtig, dass man dann auch loslassen kann. Ende April 2021, wenn ich die operative Leitung an meinen heutigen Stellvertreter Roland Schuler weitergebe, sind es fast 14 Jahre, in welchen ich mit grosser Freude eigentlich rund um die Uhr für Arosa und alle, die in irgendeiner Form in unserem Ferienparadies mitarbeiten, im Einsatz bin.

Fahren Sie fort.
Als VRP werde ich künftig vor allem im Hintergrund wirken dürfen. Neben Arosa und dem Job gab es kaum Raum und Zeit für anderes. Nun bin ich Mitte 40 und möchte meine Erfahrung vermehrt strategisch einbringen. Gleichzeitig meine Erfahrung aus dem Arosa Bärenland nutzen, um im Bereich Tierschutz, Klimaschutz und Kinderhilfe eine NGO-Unternehmung aufzubauen. Das operative wird mir also nicht fehlen. Zudem habe ich Lust, ein paar wenige der zahlreichen Angebote im Bereich VR-Mandat oder Projektleitung anzunehmen. Es wird mir sicher nicht langweilig. Aber ich rechne damit, dass ich etwas weniger «Rund-um-die-Uhr-Präsenz» leisten darf. 

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Ganz klar. Der Tod von Bär Napa. Kein Bezug zu Corona, aber für mich wie der Verlust von einer ganz nahestehenden Person. Dieser Bär und die ganze über zehnjährige Geschichte von der Rettung bis zum Zurückfinden zum «Bär sein» in Arosa hat mich nachhaltig als Mensch verändert.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.


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