05.07.2006

AFFENTRANGER ZITA, Russlandkorrespondentin/Juli 2006

Affentranger: Wie arbeitet eine Russlandkorrespondentin? Die Luzernerin Zita Affentranger ist seit fünf Jahren für den Tages-Anzeiger in Moskau einquartiert. Gegenüber “persönlich” zeichnet sie ein düsteres Bild: Korruption, Armut und fehlende Pressefreiheit prägen das flächengrösste Land. Doch die Auslandberichterstattung sieht sie nicht nur durch die russischen Behörden gefährdet – auch der Spardruck der Tamedia macht den Auslandkorrespondenten zu schaffen.

Russlands Präsident Putin hat am internationalen Verlegerkongress die Teilnehmer über anderthalb Stunden warten lassen. Was hat dies zu bedeuten?

“Nichts. Als Journalist überrascht einen diese Ignoranz überhaupt nicht. Schliesslich kann die russische Staatsgewalt machen, was sie will, ohne sich gegenüber jemandem rechtfertigen zu müssen. Dass auch hohe Staatsbeamte einen Termin – trotz dreifacher Abmachung – einfach ‘vergessen’, kennen wir aus unserem Alltag. Warum sollte es der Präsident anders machen? Nur ein Punkt irritiert. Die Russen haben für diesen Kongress sehr viel Aufwand betrieben, um der Welt zu zeigen, dass Russland ein absolut normales Land ist.”

Was erhoffte sich das Regime von diesem Kongress?

“Der Kreml wollte mit der Durchführung des internationalen Verlegerkongresses beweisen, dass Russland zu Unrecht über einen schlechten Ruf verfügt. Dafür macht man vor allem die westlichen Journalisten und deren Berichterstattung verantwortlich. So meinte der Parlamentspräsident, dass gerade die Durchführung dieses Kongresses in Moskau der beste Beweis für den hohen Stellenwert der Pressefreiheit in Russland sei. Das ist absurd.”

Während des Kongresses haben Demonstranten Putins Rede gestört.

“Bei den Demonstranten handelte es sich um Nationalbolschewisten, eine Jugendbewegung, die immer wieder mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam macht. Letztes Jahr haben sie das Sozialministerium besetzt und mit ihren roten Tüchern, auf denen Hammer und Sichel abgebildet sind, die Machthaber im Kreml provoziert. Ein anderes Mal haben sie vor dem Hotel Rossija am Roten Platz ein Riesentransparent enthüllt, auf welchem sie den Rücktritt Putins forderten. Über eine der Demonstrantinnen, die 20-jährige Olga Kudrina, habe ich damals ein Porträt geschrieben. Sie erzählte, dass sie mit ihrem Protest etwas verändern, Leben in die gleichgeschaltete russische Gesellschaft bringen wollte. Doch der Staat kennt den jungen Leuten gegenüber kein Pardon. Olga wurde unlängst zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Auch die Akteure, die Putins Rede vor dem Verlegerkongress störten, müssen mit drakonischen Strafen rechnen, da diese Aktion dem Regime doch sehr peinlich ist.”



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