10.03.2014

KÜNZI ADRIAN/Mai 2013

Es war die spektakulärste Bankengründung der letzten Jahre: Anfang 2012 wurde innerhalb weniger Wochen die Notenstein-Privatbank aus dem Boden gestampft, nachdem ihre Vorgängerin, das renommierte Geldinstitut Wegelin & Co., nach ihrem Streit mit den amerikanischen Steuerbehörden aufgelöst werden musste. «persönlich» hat sich mit Notenstein-CEO Adrian Künzi über die turbulenten Tage und die Zukunft des Schweizer Bankenplatzes unterhalten.

Herr Künzi, herzliche Gratulation, Ihre Bank feiert in diesen Monaten ihr einjähriges Jubiläum. Wenn Sie jetzt zurückschauen, was war für Sie das Wichtigste im vergangenen Jahr?
Es war eine spannende und auch aussergewöhnliche Aufgabe, eine neue Bank zu kreieren. Wir mussten uns vor über einem Jahr innerhalb Rekordzeit aus der Privatbank Wegelin & Co. herauslösen. Am 8. Januar 2012, also kurz nach der Eskalation des Steuerstreites mit den USA, haben wir beschlossen, eine neue Bankstruktur aufzubauen. Bereits am 27. Januar konnten wir der Öffentlichkeit bekannt geben, dass wir eine neue Bank mit dem Namen Notenstein gegründet haben. Dabei haben wir die Pro­blembereiche der Vergangenheit, sprich das US-Geschäft, vom unbestrittenen und gut positionierten Geschäft abgetrennt und für Kunden und Mitarbeitende eine nachhaltige Lösung gefunden. Normalerweise dauert ein solcher Prozess achtzehn Monate, bei uns waren es achtzehn Tage. Was wir geschafft haben, ist einmalig in der Bankbranche.

Was haben Sie in diesen achtzehn Tagen unternommen?
Der Auftrag war klar: Wir mussten möglichst schnell eine zweite Bankstruktur aufbauen, die das Nicht-US-Geschäft übernimmt. Dies war nur mit einer ganz straffen, fast schon militärischen Organisation möglich. Wir haben dabei sechs verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die sich um je ­einen Teilbereich, wie die Informatik, die rechtlichen Bereiche oder die Kommunikation, gekümmert haben. Wir haben uns jeweils um acht Uhr früh zur Morgensitzung und abends um acht Uhr zu einem Schlussrapport getroffen. Dies war eine intensive Zeit, in welcher praktisch rund um die Uhr gearbeitet wurde. Natürlich stösst man bei einer solchen Aktion nahe an seine Grenzen. Doch schlussendlich zählt nur, ob man es schafft oder nicht.

Wie konnten Sie die «alten» Wegelin-Kunden an Bord behalten?
Bei einem Neustart mit einer solchen Konsequenz ist die Kommunikation entscheidend. Wir haben sofort unsere Kunden persönlich kontaktiert und so schnell wie möglich in
der ganzen Schweiz Informationsveranstaltungen durchgeführt. Dabei war es für uns ­eminent wichtig, dass man nicht nur über die Bewältigung der ganzen Krisensituation sprach, sondern auch Zukunftsszenarien aufzeigte. Die Fragen «Warum ist Notenstein eine gute Bank? Warum soll man bei Notenstein bleiben oder neu zu Notenstein kommen?» sind für die Kunden fast noch wichtiger als der Blick in die Vergangenheit. Rückblickend gesehen ist uns dies gelungen. Gute Kommunikation benötigt auch gute Inhalte. Man will nicht Kunde eines Unternehmens sein, das ausschliesslich mit sich selbst beschäftigt ist.

Was war das Schwierigste in der ganzen Transaktion von Wegelin zu Notenstein?
Die mediale Aufmerksamkeit war in dieser Zeit enorm und ging einher mit einer meist negativen Berichterstattung über Wegelin & Co. Nach der Gründung von Notenstein haben wir deshalb bewusst zwei bis drei Monate auf aktive Medienpräsenz verzichtet und den Fokus auf die interne Kommunikation und die Kommunikation mit unseren Kunden gerichtet. Es stellte sich für uns die Frage, wie man von Anfang an Vertrauen schaffen kann, ohne noch über konkrete Zahlen zu verfügen. Jetzt nach einem Jahr, wo die ­ersten Resultate vorliegen, ist es sicherlich einfacher.

Was heisst das?
Für 2012 konnten wir sehr gute Zahlen vorlegen. Wir sind uns aber bewusst, dass dies keine Selbstverständlichkeit darstellt. Notenstein erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Bruttogewinn von 46 Millionen Franken und einen Reingewinn von 30 Millionen Franken. Wir verwalten momentan 21 Milliarden Franken Kundengelder und haben ein Cost-Income-Ratio (Aufwand-Ertrag-Verhältnis) von 75 Prozent. Dies ist auch im Vergleich zu anderen Privatbanken ein hervorragender Wert.

Wie ist heute der Kontakt zu Konrad Hummler?
Der Kontakt zu Konrad Hummler ist immer noch sehr gut und unverkrampft. Wir haben mit ihm während vielen Jahren erfolgreich zusammengearbeitet, und die meisten unserer Mitarbeiter waren bereits bei Wegelin & Co. angestellt. Gleichzeitig sind die Grenzen ganz klar definiert und die Abgrenzung ­zwischen Notenstein und Wegelin eindeutig.

Aber trotzdem: Kann sich bei einem solchen radikalen Wechsel überhaupt ein Notenstein-Geist bilden?
Zweifelsohne. Diese Zeit hat sicher dazu geführt, dass der Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden noch grösser geworden ist. In solchen Situationen realisiert man, wozu der Mensch in Extremsituationen fähig ist. Dabei ist es uns gelungen, die starke ­Unternehmenskultur, die wir bereits bei Wegelin & Co. pflegten, auf Notenstein zu übertragen. In den ersten sechs Monaten haben uns trotz schwierigster Umstände lediglich 6 von 150 Kundenberater verlassen.

Werfen wir noch einen Blick auf das Image Ihrer Bank. Wegelin galt lange Zeit als
der Überflieger der Schweizer Banken. Plötzlich änderte sich dieser Ruf ins Gegenteil. Inwiefern färbte sich dies auf den Nachfolger ab?
Wegelin war in der Branche sicher stark beachtet. Wir versuchen das grosse Know-how mitzunehmen und für Neues Platz zu schaffen. Unser Ziel ist es, zu den drei besten ­Privatbanken der Schweiz zu gehören. Daran halten wir fest.

Würden Sie den Begriff «Überflieger» dementieren?
Überhaupt nicht. In der Vergangenheit war Wegelin & Co. zweifelsohne eine der erfolgreichsten Banken der Schweiz mit einer hohen Wachstumsrate. Für uns stellte sich zu Beginn die Frage: Wie erfolgt der Imagetransfer von Wegelin zu Notenstein? Wir entschieden uns für einen neuen und zeitgemässen Markenauftritt. Bei Notenstein handelt es sich um eine neue Bank mit neuer Eigentümerschaft, der Raiffeisen-Gruppe. Trotzdem sind wir uns bewusst, dass wir eine Vergangenheit und Tradition von über 260 Jahren haben. Wegelin war die älteste Bank der Schweiz, und auf diesem Fundament möchten wir weiterhin aufbauen.

Ist dies nicht ein Widerspruch? Einerseits wollen Sie neu starten, andererseits berufen Sie sich auf die Tradition?
Wir sehen diese Ausgangslage eher als Chance: Notenstein ist eine neu-alte Bank. Wenn man diese Basis gut kombiniert, sprich auf Bewährtem aufbaut und Neuem Raum lässt, kann man viel bewirken. Wir können heute Ideen realisieren, die im herkömmlichen Umfeld nicht möglich waren.

Wer ist der typische Notenstein-Kunde?
Im Gegensatz zu anderen Privatbanken stammen siebzig Prozent unserer Kunden aus der Schweiz. Dank unserem Niederlassungsnetz sind wir schweizweit mit dreizehn Standorten vor Ort für unsere Kundschaft präsent. Wir können uns wohl zu Recht als die «schweizerischste aller Schweizer Privatbanken» bezeichnen.

Sind dies alte Wegelin-Kunden oder wirklich neue?
Wir haben in unserem ersten Jahr 1500 neue Kunden gewonnen. Momentan zählt Notenstein 20 000 Kunden. Dies zeigt uns, dass unser Brand funktioniert und auch vertrauenswürdig ist. Dies hat sicherlich mit unserer Muttergesellschaft, der Raiffeisen-Gruppe, zu tun, aber auch mit unserem zeitgemässen Markenauftritt. Unser «Denken in Szena­rien» hat sich bewährt und entspricht dem Zeitgeist. Wir fokussieren nicht auf eine einzelne Entwicklung, sondern zeigen ­unseren Kunden Alterna­tiven auf und führen mit ihnen einen Dialog über mögliche Zukunftsszenarien und Entwicklungsrich­tungen.

Dann geben Sie Ihren Kunden gar keine Antworten ...
Dies sehe ich anders. Im Vordergrund steht bei uns der Dialog. Wir diskutieren mit unseren Kunden über relevante Themen wie beispielsweise die Entwicklung des Euros oder die Zukunft der Schwellenländer und bereiten sie auf mögliche Szenarien vor. Langfristig gesehen ist diese umfassende und vorausschauende Beratung für den Kunden viel wertvoller als der kurzfristige Tipp auf einen Einzeltitel.

Wer ist für Ihren Werbeauftritt zuständig?
Wir sind in der Umsetzung unseres Markenauftrittes eigenständig und setzen diesen mit unserem erfahrenen, hauseigenen Kommunikationsteam um. Diese Arbeitsweise hat sich bewährt. Für die Produktion der TV-Spots war die junge Zürcher Werbe­agentur Shortcuts zuständig. Strategie und Idee der Kampagne kamen aber auch hier vom Kreativteam von Notenstein. Es ist ein Novum, dass unser Bankhaus einen TV-Spot generiert. Wir zeigten den Spot neben dem Schweizer Fernsehen beispielsweise auch auf dem E-Board im Zürcher Hauptbahnhof. Die zahlreichen positiven Rückmeldungen haben uns in dieser Strategie bestätigt.


Aber erreichen Sie damit überhaupt Ihr Zielpublikum?
Bevor man ein Zielpublikum direkt anspricht, muss der Name des Unternehmens bekannt sein.

Was ist dann das Ziel Ihrer Kampagne?
Das Ziel der Kampagne ist, die Bekanntheit der Marke Notenstein zu steigern und unseren Namen nicht nur bei potenziellen Kunden, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit positiv zu verankern.

Wer ist dann Ihre Hauptkonkurrenz?
Betrachtet man unsere Dienstleistungen, so stehen wir mit den Schweizer Privatbanken in Konkurrenz. Die meisten unserer Kunden stammen aber von Gross- und Kantonal­banken.

Betreiben Sie heute noch USA-Geschäfte?
Nein, dies liegt nicht mehr auf unserem Radar. Unser Geschäft besteht aus drei Säulen. Erstens konzentrieren wir uns auf Schweizer Privatkunden, zweitens auf institutionelle Kunden aus der Schweiz. Heute haben circa 150 Pensionskassen mit einem Gesamtvermögen von drei bis vier Milliarden Franken ihr Geld bei uns angelegt. Drittens möchten wir Privatkunden aus ausgewählten internationalen Zielmärkten ansprechen. Zu diesen zählen unsere Nachbarländer, aber auch zwei bis drei Staaten aus Osteuropa, Südamerika und Südafrika. Wir wollen nicht mehr die ganze Welt abdecken, sondern nur noch ausgewählte Kundenstämme und Zielmärkte.

Und beim US-Geschäft ist das Risiko zu gross ...
Ja, aber gleichzeitig ist die Wirtschaftlichkeit zu klein. Um als Bank in den USA zu reüssieren, benötigt man zwei bis drei Milliarden Franken Kundengelder. Dies ist für uns nicht möglich.

Die Raiffeisen-Gruppe hat Ihre Bank vor einem Jahr für rund 500 Millionen Franken gekauft. War Raiffeisen der einzige Interessent?
In einem solchen Prozess sollte man mit mehreren Optionen arbeiten. Aber Raiffeisen war sicherlich unser Wunschkandidat. Raiffeisen ist eines der wichtigsten Bankhäuser der Schweiz. Jeder zweite Schweizer hat ein Konto bei der Raiffeisen-Gruppe, die Bilanzsumme beträgt rund 170 Milliarden Franken. Es ist aussergewöhnlich, wenn eine Universalbank eine Privatbank kauft. Dies ist nicht nur visionär, sondern ermöglicht für die Kunden auch neue Optionen. Die Geschäftsfelder von Notenstein und Raiffeisen ergänzen sich optimal. In der Kundenbetreuung und der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden stellen wir fest, dass wir uns weitgehend an den gleichen Werten orientieren. Und schliesslich haben beide Banken ihre Wurzeln in der Ostschweiz. Man kennt sich und spricht dieselbe Sprache.

Welche Optionen bieten sich für die Kunden durch die Übernahme durch Raiffeisen?
Die Breite des Angebots nimmt für unsere Kundschaft dank der Muttergesellschaft Raiffeisen zu. So können Notenstein-Kunden zum Beispiel im Bereich Hypotheken vom Know-how bei Raiffeisen profitieren.

Welche Stellung hat Notenstein innerhalb der Raiffeisen-Gruppe?
Die Notenstein-Privatbank ist eine eigenständige Tochtergesellschaft der Raiffeisen Schweiz.

Sie haben soeben Ihren Anteil mit 70,2 Millionen Franken an der EFG Financial Products Holding von 2,5 Prozent auf 22,75 Prozent ausgebaut. Was erhoffen Sie sich dadurch?
Die Notenstein-Privatbank verfügt über zwanzig Jahre Erfahrung im Bereich Strukturierte Anlageprodukte. Bisher waren wir jedoch nicht als Emittentin tätig, da wir nicht über die nötige Bilanz und ein Rating verfügten. Mit Raiffeisen als Muttergesellschaft taten sich neue Möglichkeiten in diesem Geschäftsbereich auf. Unser Bankhaus strebt die Know-how-Führerschaft im Bereich der strukturierten Produkte an. Über die Emissionstätigkeit bietet sich uns die Chance, ­einen weiteren Teil der Wertschöpfungskette zu erschliessen. Die Bündelung der Kräfte von Raiffeisen, EFG Financial Products und der Notenstein-Privatbank erlaubt ein kompetitives Angebot im Bereich strukturierte Anlageprodukte und ermöglicht eine vielversprechende Marktstellung.

Wie beurteilen Sie die Situation auf dem Schweizer Bankenplatz?
Momentan herrschte zweifelsohne eine äusserst schwierige und angespannte Situation. Der Schweizer Bankenplatz musste in den letzten drei Jahren doch einen beachtlichen Rückgang der verwalteten Kundengelder in Kauf nehmen. Aktuell betragen diese fünf Billionen Franken, vor der Finanzkrise waren es noch sieben Billionen Franken. Gleichzeitig gehen die Margen stark zurück, während die Kosten aufgrund der regulatorischen Veränderungen massiv ansteigen. Dies ergibt einen äusserst giftigen Cocktail. Viele Banken sind heute nicht mehr rentabel. Man geht davon aus, dass rund ein Viertel aller Privatbanken rote Zahlen schreiben. Es wird in den kommenden Monaten auf dem Schweizer Bankenplatz noch viel Bewegung geben.



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