21.06.2016

Marcel Reif

«Fussball war für mich ein Hobby und journalistisch kein Thema»

Der «Spiegel» bezeichnete Marcel Reif als den «Besten». Jetzt tritt er nach 31 Jahren als Livekommentator ab. Im Interview spricht der Wahlschweizer über die laufende Europameisterschaft, die Schweizer Mannschaft und die Korruption 
im Fussball.
Marcel Reif: «Fussball war für mich ein Hobby und journalistisch kein Thema»
von Matthias Ackeret

Herr Reif, Sie sind der berühmteste Fussballreporter im deutschsprachigen Raum. Der diesjährige Champions-League-Final war das letzte Fussballspiel, das Sie kommentiert haben. Warum traten Sie zurück?
Ich habe 1985 mein erstes Fussballspiel kommentiert, also exakt vor 31 Jahren. Ich arbeitete 17 Jahre für den Pay-TV-Sender Sky. Im letzten Jahr habe ich mehr und mehr realisiert, dass sich alles wiederholt. Man trifft dieselben Leute, man führt die gleichen Gespräche, man parkiert sein Auto vor dem Stadion an der gleichen Stelle. Plötzlich fühlt man sich wie der Hauptakteur des Films «Und täglich grüsst das Murmeltier». Das ist nicht lustig. Gleichzeitig hat auch jene Spannung nachgelassen, die für unseren Job unerlässlich ist. Ich bin dann zu den Verantwortlichen von Sky, und wir haben zehn Minuten diskutiert, ob wir noch ein Jahr dranhängen wollen oder nicht. Plötzlich gaben wir uns die Hand, mit der Erkenntnis, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen sei, aufzuhören – ohne Groll, ohne «bad feelings». Die Reise mit Sky ist nun zu Ende, ob noch etwas anderes anderswo kommt, kann ich Ihnen momentan nicht sagen.

Aber wurde dieser Entscheid durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst?

Ein Schlüsselerlebnis? Nein, das gab es nicht. Es war ein schleichender Prozess. Sicherlich haben ein paar physische Übergriffe, die Würfe mit Bierbechern und die Hasstiraden, die ich im vergangenen Jahr in Dresden und in Dortmund über mich ergehen lassen musste, diesen Entscheid beschleunigt. Damals sagte ich mir: Wenn dies Usus wird, wenn das alle normal finden, dann höre ich auf. Dies deckt sich nicht mit meinem Ver- ständnis von Fussball. Aber das hat sich aufgeklärt.

Sie sind 31 Jahre am Mikrofon gesessen
 und haben sich unzählige Spiele angeschaut. Gab es für Sie das «absolute» Spiel?

Dies würde bedeuten, dass ich für mich ein Ranking gemacht hätte, doch das war nicht der Fall. Ich habe schnell erkannt, dass jedes Spiel seine eigene Geschichte hat, sogar das schlechteste. Meine Maxime lautete immer: Das beste Spiel kommt nächste Woche. So konnte ich jene Spannung, von der ich vorhin gesprochen habe, aufrechterhalten. Natürlich gab es Momente, in denen ich dachte, besser könne der Fussball nicht mehr werden. Ich habe mich aber glücklicherweise geirrt. Als junger Fussballreporter will man irgendwann einen WM-Final kommentieren. Ich durfte in meinem Berufsleben 5 WM-Finals und 23 Champions-League-Finals kommentieren – mehr Endspiele sind gar nicht möglich.

Ihre ersten Fussballerfahrungen machten 
Sie als Jugendlicher beim FC Kaiserslautern. War es wirklich Ihr Traum, Fussballprofi zu werden?

Selbstverständlich, jeder Jugendliche hegt doch mehr oder weniger diesen Traum. Doch irgendwann – glücklicherweise sehr spät – stand ich vor der Frage, ob ich diesen Traum weiterverfolgen oder das Abitur mit anschliessendem Studium machen solle. Da meine Eltern von Kaiserslautern wegzogen, als ich siebzehn war, war ich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Nachträglich gesehen, habe ich die richtige Wahl getroffen und den ertragreicheren Weg gewählt. Für die ganz grosse Fussballkarriere fehlten mir ein paar deutsche Gene. Ich war zwar Veranstalter rauschender Feste, wenn wir eins zu null führten. Lagen wir hingegen im Rückstand, war ich nicht zu sehen.

Was war Ihr fussballerischer Höhepunkt?
Ich habe in der Südwest- und der süddeutschen Auswahl gespielt. Die deutsche Jugendnationalmannschaft wäre der nächste Schritt gewesen. Als Stammspieler der Jugendmannschaft des FC Kaiserslautern gehörte man bereits zur Elite einer ganzen Region. Wer dort aufgenommen wurde, war bereits potenzieller Stammspieler der ersten Mannschaft. Doch so weit kam ich nie.

Interessant war, dass Sie Ihre journalistische Karriere als politischer Journalist 
beim ZDF gestartet haben.

Sport war mein Hobby, journalistisch war dies für mich anfänglich überhaupt kein Thema. Mein Ziel war es, Auslandskorrespondent zu werden. Nachdem ich zwei Jahre im freien Verhältnis für das ZDF aus London berichtet hatte, verweigerte man mir eine feste Anstellung. Aus politischen Grün- den wurde der Posten anderweitig vergeben. Angeblich, weil ich zu jung war und keiner Partei angehörte. Das war für mich ein Widerspruch: politischer Korrespondent und Parteimitglied. Doch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist dies Voraussetzung. Auf jeden Fall schmollte ich und war beleidigt. Als man mir den Posten des Chefreporters des «Heute-Journals», eine Offiziersstelle sozusagen, anbot, lehnte ich ab – zu spät: Ich erhielt die Anfrage vom damaligen Sportchef Dieter Kürten, einem meiner ältesten Freunde. Er wollte, dass ich Fussball kommentiere, und nach ein bisschen Zögern sagte ich zu.

Es heisst, eines Ihrer Erfolgsgeheimnisse 
sei es, immer beide Fanlager gegen sich zu haben. Machen Sie dies bewusst?

So etwas kann man nicht bewusst machen. Kommentiert man 90 Minuten oder bei Verlängerung 120 Minuten durch, kann man sich nur so geben, wie man ist. Als ich mit dem Job angefangen habe, wollte ich die Sprache und tausend andere Dinge verändern. Irgendwann habe ich begriffen, dass ich mich ausschliesslich um das sportliche Geschehen auf dem Platz zu kümmern habe.

Sie sind Schweizer. Für wen schlägt Ihr Herz: die Schweiz oder Deutschland?

Diese Frage wird mir öfter gestellt. Da ich in der Schweiz lebe, war es für mich normal, dass ich die Schweizer Staatsangehörigkeit annehme. Ich bin kein James Bond, der mehrere Pässe benötigt. Spielt Deutschland gegen die Schweiz, liegen meine Sympathien bei den Schweizern, weil sie nicht Weltmeister sind. Gleichzeitig freue ich mich für die Deutschen, weil sie wunderbaren Fussball spielen können. Wenn die Schweizer über sich hinauswachsen oder die Deutschen das abrufen, wozu sie imstande sind, freue ich mich immer noch wie ein kleiner Bub. Ich lasse mir diesen kindlichen Ansatz nicht nehmen.

Welche Chancen geben Sie den Schweizern an der EM?
Ich bin der grösste Fan der Schweizer Nationalmannschaft, wundere mich aber immer wieder, wie wenig Hochachtung meine Schweizer Landsleute ihrem Team entgegenbringen. Die Erwartungshaltung wird hierzulande ins Extreme geschürt. Sobald die Schweiz gegen eine grosse Mannschaft wie Deutschland, Frankreich oder Argentinien verliert, fällt das Land in eine kollektive Depression. Dabei muss man realistisch sein: Ein Land mit acht Millionen Einwohnern hat an einer Europa- oder Weltmeisterschaft eigentlich gar nichts verloren. Zum Vergleich: Deutschland hat achtzig Millionen Einwohner und dementsprechend mehr Talente. Doch die Schweizer schaffen es immer wieder, dabei zu sein. Das ist grossartig und kann nicht genug gewürdigt werden. Die Schweizer «Fussballsöldner» im Ausland machen einen prima Job und sind der beste Beweis, wie gut die fussballerische Ausbildung hierzulande ist.

Wer wird denn Europameister?
Meine Favoriten sind Frankreich, Deutsch- land und vielleicht als Überraschung Belgien.

Inwiefern hat die ganze Diskussion um die Fifa dem Fussball geschadet?
Wie gesagt, Menschen vergessen schnell. Und Fussballfans besonders schnell. Die Fifa ist ein trauriges Kapitel, mit dem ich nicht zu viel Zeit verschwenden möchte. So schnell wie der neue Fifa-Präsident Gianni Infantino, ein Kind der Uefa, hat noch nie- mand seine Maske fallen lassen. Doch ehrlich gesagt, das Thema ödet mich an. Was hier abläuft, ist mafiös, korrupt und kriminell. Eigentlich ist es nur noch zum Kotzen. Ich lebe in Zürich und kenne selbstverständlich den Fifa-Hauptsitz beim Zoo. Die Realsatire ist doch bereits dessen Architektur: Das Gebäude hat mehrere Stockwerke, wobei nur eines zu sehen ist, der Rest ist unterirdisch. Deutlicher kann man es nicht machen. Bei der Fifa arbeiten Hunderte von Menschen, die einen fantastischen Job machen und deren Wirken durch die Skandale in den Hintergrund gedrängt wird. Das ist mehr als schade. Weder die Fifa-Mitarbeiter noch der Fussball haben eine solche Führung verdient.

Das komplette Interview ist in der aktuellen Ausgabe des Magazins «persönlich» zu lesen.



Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240426

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.