04.12.2013

Galore

"Die Marke 'Galore' ist niemals richtig vergessen worden"

Das deutsche Interviewmagazin kehrt nach vier Jahren Pause als App zurück. Ein Interview mit Chefredakteur Sascha Krüger.
Galore: "Die Marke 'Galore' ist niemals richtig vergessen worden"

Ausführliche Interviews mit Künstlern, mit Schauspielern, mit Musikern, mit Autoren, mit Politikern – mit Leuten wie Helge Schneider, Jürg Immendorff, Mickey Rourke, Sven Regener oder Justin Timberlake: Das Interviewmagazin "Galore" zelebrierte sechs Jahre lang beste Gesprächskultur. Dann war plötzlich Schluss. Wirtschaftliche Gründe zwangen die Zeitschrift 2009 zum Aufhören. Doch nun kehrt das Medium mit Hauptsitz in Dortmund zurück – als App mit reichhaltigem Archiv und monatlich neuem Content. Chefredakteur Sascha Krüger gibt dazu Auskunft.

Herr Krüger, nach gut vier Jahren wagt "Galore" ein Comeback. Die Zeitschrift war zuvor eine Weile lang sehr präsent. Wieso ist es nicht früher gelungen die Marke zu revitalisieren? Muss man so nicht schon fast wieder bei Null ansetzen?
Wir wären gerne früher zurückgekommen, hatten aber nicht das Gefühl, dass die Zeit für unsere neue Herangehensweise reif ist. Für Content im Netz oder für Apps Geld auszugeben, ist ja keine seit Jahren gelernte und praktizierte Sache. Wir haben aber das Gefühl, dass sich mittlerweile ein neues Denken andeutet, welches besagt, dass Menschen durchaus bereit sind für Inhalte zu bezahlen, wenn sie sich dafür interessieren. Natürlich ist eine Pause von vier Jahren bestimmt nicht ideal, sicher ist aber auch, dass die Marke „Galore“ weder von uns noch von unseren Lesern jemals wirklich vergessen wurde. Das belegt auch die grosse Resonanz auf unsere Meldung, dass unser Medium als App zurückkehren wird.

Eine gedruckte "Best of"-Ausgabe soll die Leser darauf hinweisen, dass es "Galore" bald in digitaler Form geben wird. Ist das nicht etwas paradox?
Nein. Wie Sie ja selbst angemerkt haben, waren wir eine Weile nicht im Markt. Die gedruckte Sonderausgabe erfüllt also nicht zuletzt den Zweck, die Leser darauf hinzuweisen, dass "Galore" wieder zurück ist – und darauf weisen wir im Heft sehr bestimmt hin. Deswegen ist die Veröffentlichung der Sonderausgabe aus unserer Sicht eher clever als paradox. Sehen Sie es so: Es ist ein Gruß an alle damaligen "Galore"-Leser – und gleichzeitig die Einladung, uns auf eine andere Plattform zu folgen.

Was erwartet den Leser ab dem 6. Dezember? Wie sieht das Angebot genau aus?
Wir haben aus den über 1’100 für "Galore" geführten Interviews die rund 450 zeitlosesten und besten ausgesucht, um sie unseren Lesern in einer überarbeiteten Form verfügbar zu machen. Zudem veröffentlichen wir mit dem Launch der App zehn neue Gespräche. Im zweiwöchentlichen Rhythmus kommen jeweils zehn weitere neue Interviews hinzu. Die Aussage lautet von Beginn an, dass wir uns nicht auf den Archiv-Schätzen ausruhen wollen, sondern dass es sich um einen richtigen Neustart der Marke handelt – und dazu zählt natürlich auch die Veröffentlichung von taufrischen Gesprächen.



Die App ist kostenlos. Was zahle ich für ein Interview?
Das ist so linear nicht zu beantworten. Die niedrigste Preisstufe im App-Store ist bekanntlich 89 Cent – dafür erhält der Käufer zwei Interviews. Dieses Angebot ist für Gelegenheitskäufer gedacht, die ganz gezielt nur ein oder zwei Interviews lesen wollen. In diesem Fall muss für ein Interview proportional mehr bezahlt werden, als wenn man z. Bsp. 25 Interviews für 5.99 Euro kauft – wer sich also für die inhaltlich grosse, weite „Galore“-Welt begeistert, zahlt pro Interview deutlich weniger als der Gelegenheitskäufer.

Das Angebot wird werbefrei sein. Könnte man sich durch ein paar gezielte Werbeangebote etwas mehr Luft verschaffen?
In unserer Wahrnehmung nicht, denn das, was wir als Content-Anbieter über den Verkauf von Werbemitteln erlösen könnten, reicht bestenfalls für ein paar Atemzüge, aber nicht dafür, um tief Luft zu holen. Unser Anspruch ist, unsere Leser ohne Störgeräusche durch ein werthaltiges journalistisches Angebot zu navigieren. Es ist unser expliziter Wunsch, den Leser nicht durch blinkenden Firlefanz abzulenken und dadurch seinen Lesegenuss zu stören – nennen Sie mir bitte den Online-User, den das stete Botschaften-Geflacker auf irgendwelchen Internet-Seiten nicht nervt. Werbemittel würden in unserer Denke deswegen deutlich mehr Schaden anrichten als der mögliche Umsatz wieder gutmachen könnte. Der Gedanke, zu 100 Prozent von seinen Lesern abhängig zu sein, mag zwar mutig sein, fühlt sich für uns aber sehr richtig an, denn wir haben grosses Vertrauen darin, dass unsere Zielgruppe eine grosse Wertschätzung für das hat, was die Marke "Galore" auszeichnet.

Wie sind Sie redaktionell organisiert? Wer führt die Interviews?
Ich verantworte als Chefredakteur ein Team von Programmierern und Web-Desigern sowie einen freien Autorenstamm, der quasi identisch ist mit dem, der auch früher für das gedruckte Magazin tätig war. Und natürlich trage ich selbst mit eigenen Interviews zur Auswahl für den Leser bei.



Planen Sie auch multimedialen Inhalt?
Nein, und das aus zwei Gründen. Wie bereits erwähnt, legen wir grossen Wert auf diesen puristischen und ungestörten Ansatz innerhalb unseres Angebots, den wir nicht brechen wollen. Sollte sich jemand also nach einem Interview weitergehend für eine Person interessieren – und das ist durchaus eine Erfahrung, die wir gesammelt haben – trauen wir dem Leser zu, sich selbst im Netz die passenden Informationen zu suchen. Zum anderen ist es so, dass wir die Erfahrung gemacht haben, dass etwa gefilmte Interviews automatisch und unmittelbar an Tiefe, Intimität und Qualität verlieren. Diesen Preis wollen wir nicht zahlen, zumal dieser Anspruch bereits ausufernd durch diverse TV-Talk-Formate bedient wird.

Wie kommen Sie an spannende Interviewpartner heran?
Es ist wirklich so leicht: Wir fragen aus unserer Sicht interessante Persönlichkeiten an – oder spannende Personen werden an uns mit einem Angebot für ein Interview herangetragen. Wir haben hier durchaus einen Vorteil, weil Menschen gerne mit „Galore“ sprechen, eben weil wir mit einem konventionellen Frage-/Antwort-Ansatz brechen. Auch das bestätigt uns in der Arbeit: Dass sich enorm viele prominente Köpfe wünschen, endlich einmal von „Galore“ interviewt zu werden. Das funktioniert allerdings nicht ausnahmslos – sicher gibt es auch eine Anzahl an Gesprächen, denen eine aufwendige, teils monatelange Termin-Akquise voraus ging. Aber wenn wir jemanden sprechen wollen, geben wir so schnell nicht auf.

Sind solche Interviews wirklich zeitlos? Ein paar aktuelle Fragen hätte man dann doch immer gerne dabei, oder nicht?
Das ist eine berechtigte Frage, die wir uns vor dem Entschluss zum Comeback auch gestellt haben. Tatsächlich war es aber so, dass wir nach Lektüre diverser Gespräche selbst überrascht waren, wie stark, lesenswert und zeitlos die Interviews sind – sicherlich nicht alle, aber von den 450 Interviews, die wir schlussendlich für die Archiv-Nutzung definiert haben, können wir genau das behaupten.



Was ist Ihrer Meinung nach eine gute Einstiegsfrage? Oder sind die überbewertet?
Eine gute Einstiegsfrage kann durchaus dienlich sein. Im besten Fall sollte sie überraschen, auflockern und dem Interview-Partner das Gefühl geben: Hier wird in den nächsten ein bis zwei Stunden etwas Ungewöhnliches passieren. Viel wichtiger ist aber eine sehr gründliche Vorbereitung auf das Gespräch, eine genaue Vorstellung davon, worüber man sprechen möchte und die Fähigkeit, aufmerksam zuzuhören. Eben diese Qualität und ja, auch der Anstand zuzuhören, scheint mir gerade bei TV-Talk-Shows oftmals eine verlorengegangene Qualität zu sein.

In wie vielen Prozent der Fälle gelingt Ihnen ein gutes Interview?
Rund ein Drittel aller angeforderten Skripte lehnen wir ab, denn wir haben viel mehr als jedes andere Medium die Aufgabe, Interviews auf sehr hohem Niveau zu publizieren. Das nehmen wir schon sehr genau. Dem engen Autorenstamm gelingt es hingegen in aller Regel, ausgezeichnete Gesprächstranskripte abzuliefern, da sie sehr genau verstanden haben, was ein gelungenes "Galore"-Gespräch leisten soll.

Das beste Interview, das ich in den letzten Monaten gelesen habe, war eines mit dem finnischen Regisseur Aki Kaurismäki, geführt von Claas Relotius, erschienen in der "Weltwoche". Ihr Favorit?
Das wechselt natürlich ständig und ist ganz aktuell noch schwerer zu beantworten, da wir in den vergangenen Wochen die 450 Archiv-Interviews bearbeitet haben und dabei immer wieder von zwischenzeitlich „vergessenen Perlen“ überrascht wurden. Als Beispiel mag hier das Gespräch mit Helge Schneider aus dem Jahr 2006 dienen, der in seiner ganz eigenen Art das Wesen von Improvisation und Expressionismus erklärt. Uns hat es so gefallen, dass wir es kurzfristig unter die sieben Gratis-Interviews gewählt haben, die wir zum Start kostenlos für jeden hinterlegen, der sich die "Galore"-App herunterlädt. Begeistert bin ich gegenwärtig auch von einem Gespräch mit dem Ästhetik-Professor und deutschen Enfant Terrible der Kunst, Bazon Brock, das wir als eines der neuen Interviews zum Start der App anbieten werden. Sprechen wir über den grossen persönlichen Klassiker, so muss ich mein Interview mit dem verstorbenen Maler Jörg Immendorff nennen. Es war mit über fünfeinhalb Stunden Länge – verteilt auf zwei Tage – nicht nur das ausführlichste, sondern sicher auch das tiefgründigste und zugleich offenherzigste Gespräch, das ich je habe führen dürfen.

Interview: Adrian Schräder



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