08.06.2014

NZZ

Eine Investition in journalistische Qualität

Die "Neue Zürcher Zeitung" setzt ihre vor drei Monaten angekündigte "publizistische Offensive" mit prominenten Namen und einem schrittweisen Umbau der Redaktion um. Von der "Zeit" kommt Peer Teuwsen, Colette Gradwohl wird stellvertretende Chefredaktorin, Peter Sennhauser übernimmt die Verantwortung für NZZ.ch. "Wir sagen, was wir machen - und machen, was wir sagen: Hochwertigen Journalismus über alle Kanäle", meint Chefredaktor Markus Spillmann.
NZZ: Eine Investition in journalistische Qualität

Bei der Präsentation des Jahresergebnisses der NZZ-Mediengruppe von Mitte März wurden - trotz oder gerade wegen sinkendem Umsatz und Gewinn - Investitionen in Höhe von 10 Millionen Franken für eine "publizistische Offensive" angekündigt (persoenlich.com berichtete). Anfang Mai wurde bekannt, dass die NZZ-Mediengruppe für 53 Millionen die PubliGroupe-Anteil an der FPH Freie Presse Holding kauft und so "St. Galler Tagblatt" und "Neue Luzerner Zeitung" nun fast vollständig besitzt (persoenlich.com berichtete).

Wer dachte, dass damit das Investitionskapital aufgebraucht wäre, wurde am Freitag eines Besseren belehrt: Auf einen Schlag wurden acht Neuverpflichtungen respektive Neubesetzungen bekannt gegeben. "Publizistik ist unser Kerngeschäft", kommentierte der auf Twitter sehr aktive CEO Veit Dengler die Neuigkeit:

Vor wenigen Wochen vermeldete die "NZZ am Sonntag" den Zuzug von Nicole Althaus, momentan bei “Wir Eltern” und ehemalige Mamabloggerin bei Newsnet, als stellvertretende Chefredaktorin (persoenlich.com berichtete). Auch in der Unternehmensleitung konnte eine wichtige Stelle neu besetzt werden: Andreas Bossecker übernimmt den neuen Bereich Technologie, in dem die Geschäftszweige Digital und IT zusammengelegt werden (persoenlich.com berichtete). Zudem kommt Caroline Thoma, ehemalige Geschäftsführerin der "Blick"-Gruppe, für die Leitung des Projektbüros (persoenlich.com berichtete).

Namhafte Zuzüge
Nun kann auch die Redaktion namhafte Zuzüge begrüssen: Colette Gradwohl, Peer Teuwsen und Balz Bruppacher, langjähriger Chefredaktor der eingestellten Nachrichtenagentur AP Schweiz, sind bekannte  und erfahrene Journalisten. Auch Stil-Experte Jeroen van Rooijen kehrt ins Haus zurück.

Peter Sennhauser, früher Chefredaktor bei der von Peter Hogenkamp gegründeten Agentur Blogwerk und im Gründungsteam der Basler "TagesWoche", übernimmt die publizistische Produktverantwortung für NZZ.ch. Er wird auch im Leitungsgremium des Newsroom Platz nehmen, genauso wie Thomas Stamm. Der bisherige Nachrichtenchef im Wirtschaftsressort ist neu verantwortlich für die mobilen Angebote.

Wie konnten all diese erfahrenen Journalisten überzeugt werden, zur NZZ zu stossen? "Tja, weil wir sagen, was wir machen - und machen, was wir sagen: Hochwertigen Journalismus über alle Kanäle", meint NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann gegenüber persoenlich.com.

Rückkehr aus Hamburg
Die grösste Überraschung ist wohl die Verpflichtung von Peer Teuwsen. Er war erst kürzlich zur "Zeit" nach Hamburg gewechselt, um dort ein neues Lokalressort aufzubauen (persoenlich.com berichtete). Davor hatte er die Schweiz-Seiten der deutschen Wochenzeitung gegründet und geleitet, war Kulturchef der "Weltwoche" und stellvertretender Chefredaktor des "Tagi-Magi". Er kehrt "aus familiären Gründen" in die Schweiz zurück, wie er auf Anfrage von persoenlich.com sagt.

Inhaltlich wollte er sich noch nicht zu seinen neuen Aufgaben in der "Entwicklung publizistischer Produkte mit Schwerpunkt Magazine und Long Tail" äussern, sagt aber: "Das ist für eine ehrenvolle und höchst spannende Aufgabe, gerade in einem Haus, das sich entschieden hat, in die journalistische Qualität zu investieren." Laut Spillmann ist es nicht auszuschliessen, dass Teuwsen auch als Autor und im Tagesgeschäft tätig sein wird. Zu den konkreten Aufgaben und möglichen neuen Produkten wollte auch er keinen Kommentar abgeben.

Zweite Frau in der Chefredaktion
Mit Colette Gradwohl stösst eine erfahrene Journalistin in Führungsfunktion zur NZZ. Sie hatte im Januar die Chefredaktion des "Landboten" abgegeben, nachdem die Winterthurer Zeitung von Tamedia übernommen worden war. Sie wehrte sich vor allem gegen die Erstellung des Mantelteils durch die "Berner Zeitung" (persoenlich.com berichtete). Davor war sie 20 Jahre lang bei Schweizer Radio DRS, zuletzt als Leiterin der Abteilung Information und Mitglied der Geschäftsleitung.

Sie übernimmt im Rang einer stellvertretenden Chefredaktorin die Produktverantwortung Print/Replika. Was das genau heisst, sagt ihr künftiger Vorgesetzter Markus Spillmann: "Sie führt künftig die Produktionsredaktion und ist verantwortlich für die Herstellung der Printausgabe. Tagesleitung steht derzeit nicht an."

Gradwohl ist erst die zweite Frau überhaupt in der Chefredaktion der NZZ. Die erste, Nicoletta Wagner, verliess die Zeitung kürzlich nach 32 Jahren in der Redaktion und wechselte als Redaktionsleiterin zum Zürcher Lehrmittelverlag (persoenlich.com berichtete).

Neue Organisation in der Redaktion
Zudem wird die Redaktion ab Sommer schrittweise in drei Bereiche organisiert und der Newsroom gestärkt. Dort werden laut Mitteilung "sämtliche Tätigkeiten konzentriert, die Querschnittsfunktionen wahrnehmen" sowie die digitale Abdeckung über 20 Stunden an jedem Tag garantiert. Der - im letzten Jahr stark forcierte -personelle Ausbau des Newsrooms sei derzeit abgeschlossen, sagt Spillmann gegenüber persoenlich.com

Die Fachredaktionen unter Leitung der jeweiligen Ressortleiter blieben aber als "Garanten für höchste inhaltliche Qualität" im Zentrum. Ausserdem werden "unter Leitung der jeweils zuständigen Produktverantwortlichen bestehende und neue Angebote hergestellt oder entwickelt", wobei hier noch keine konkreten Angaben gemacht werden.

Expansion in Österreich
Was genau die Zeitung in Österreich vorhat, wird noch nicht verraten, wie Chefredaktor Markus Spillmann auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda sagte. Einstweilen prüfe man, welche Angebote "sinnvoll und machbar" wären. Laut Spillmann wird in den nächsten Wochen Konkreteres bekannt gegeben.

Wie schon länger bekannt, ist dafür Michael Fleischhacker, ehemaliger Chefredaktor der Zeitung "Die Presse", zuständig.

Branche gratuliert und fragt nach
Die Branche reagierte auf Twitter meist euphorisch und gratulierte der Konkurrenz, fragte aber auch wegen der teils eher vagen Job-Titel nach:

Text: Lukas Meyer//Bild: Keystone



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