15.09.2014

Radio-Knatsch

"Weiterentwicklung des Messsystems notwendig"

Manuel Dähler, Geschäftsleiter von Mediapulse, zum Simulcasting-Problem.
Radio-Knatsch: "Weiterentwicklung des Messsystems notwendig"

Herr Dähler, Radio Basilisk und Radio Bern 1 erheben schwere Vorwürfe: Im Rahmen der Erfassung der Hörerzahlen fänden schwere Wettbewerbsverzerrungen statt (persoenlich.com berichtete). Stimmt das?
Zuerst zur Erklärung: Das aktuelle Radio-Messsystem basiert auf Audiomatching, d.h. auf dem Zuweisen von durch die Mediawatch erkannten Audio-Streams an bestimmte Sender. Das seit 2001 eingesetzte Messsystem funktioniert ausgezeichnet, solange die einzelnen Sender ein eigenständiges Programm senden.

Die Verzerrungen sollen daher rühren, dass die Energy-Senderfamilie auf ihren drei Sendern teilweise das gleiche Programm ausstrahlt und Ihre Messungsinstrumente nicht zuordnen können, welchen der drei Sender man hört. Ein technisches Problem?
Das gleichzeitige Ausstrahlen derselben Programminhalte durch verschiedene Radiostationen, das sogenannte Simulcasting, kann das aktuelle Messsystem jedoch an seine Grenzen bringen: Strahlen mehrere Sender dasselbe Signal aus, kann eine eineindeutige Zuweisung der Audiostreams nur erfolgen, wenn vor oder nach der Simulcasting-Sequenz auch Sender-individuelle Signale festgestellt werden können.

Ein neues Phänomen?
Limitiertes Simulcasting gibt es bereits seit Anbeginn der Messung. Dank Editierregeln konnte das Messsystem Zuweisungen in der Regel korrekt vornehmen. Vereinzelte Fehlzuweisungen bei Sendern, die nur über beschränkte Zeit dieselben Programminhalte (z.B. Nachrichten) ausstrahlten, waren im Ausmass irrelevant. Werden die Simulcasting-Sequenzen länger und beteiligen sich weitere Sender, findet das Messsystem aber immer weniger Anhaltspunkte, um eindeutige Zuweisungen vorzunehmen. In längeren Perioden kann der gleiche Hörer nacheinander unterschiedlichen am Simulcasting beteiligten Sendern zugeordnet werden, weil letztlich Regeln über die Zuweisung entscheiden, die dafür nicht konzipiert sind. Es entstehen „falsche“ Doppelhörer in einem Ausmass, das eine Neubeurteilung der Situation notwendig macht.

War das nicht voraussehbar?
Mediapulse hat das Ausmass dieser Entwicklung des Simulcasting nicht vorhergesehen – insbesondere war es nicht möglich abzusehen, dass einzelne Radiostationen das Simulcasting markant ausdehnen würden. So hat z.B. Radio Energy nach eigenen Angaben das Simulcasting im Jahr 2014 auf regelmässig vier Stunden und mehr täglich ausgebaut, am Wochenende noch länger. Betroffene Radiostationen haben wesentlich dazu beigetragen, dass das Phänomen in der neuen, stärkeren Ausprägung erkannt wurde.

Wie gross ist der Messfehler?
Das Ausmass der unrichtigen Doppelzählungen ist bei der heutigen Messmethode und den heutigen Verfahrensregeln nicht eindeutig quantifizierbar. Immerhin können die Hörer in weiten Regionen der Deutschschweiz alle am Simulcasting beteiligten Sender empfangen (per DAB+, über Kabel oder per Internet) oder sich vom einen in das andere UKW-Verbreitungsgebiet bewegen. M.a.W. es gibt auch korrekt gezählte Doppelhörer, was sich aber messtechnisch zurzeit nicht unterscheiden lässt von unrichtigen Doppelzählungen. Vergleiche von Perioden „mit Simulcasting“ und „ohne Simulcasting“ derselben Sender le-gen jedoch den Schluss nahe, dass in Sequenzen „mit Simulcasting“ der Grossteil der Doppelhörer keine echten Hörer sind, sondern durch die beschriebene Unschärfe der Messmethode entstehen.

Gleichzeitig werfen Ihnen die Herren Scheurer und Hagemann Vertuschung vor. Man sei sich bei der Mediapulse schon lange des Problems bewusst, habe aber nicht reagiert. Mahlen die Mühlen in Bern mal wieder langsamer oder ist das alles Humbug?
Eine Weiterentwicklung des Messsystems ist mit der massiven Zunahme des Simulcasting - die zeitliche Ausdehnung ist massiv grösser seit März, zudem ist im April 2014 ein dritter Sender dazu gekommen - zwingend nötig geworden. Umso mehr, als Mediapulse mit einer weiteren Zunahme von Simulcasting rechnet. Entsprechende Aufträge an die Forschungsunternehmen wurden von Mediapulse im Frühsommer 2014 erteilt. Mit der Umsetzung wird auf Ende Jahr gerechnet.

Also mahlen die Mühlen langsam.
Da die Effekte rasch zugenommen haben und weiter zunehmen, hat sich Mediapulse entschieden, zusätzlich kurzfristige Massnahmen einzuleiten. Diese Massnahmen werden zurzeit in den entsprechenden Kommissionen und Ausschüssen der Mediapulse-Gruppe gemeinsam mit den Marktteilnehmern erarbeitet.

Scheurer sagt, das Ausmass des Messfehlers sei in verschiedenen Medienmitteilungen verharmlost worden und die Zahlen seien nicht offiziell richtiggestellt worden. Warum haben Sie nicht transparent und proaktiv kommuniziert?
Zuerst ein kurzer Rückblick auf die Ereignisse bezüglich Kommunikation:

- 3. April 2014: Nach der Behandlung des Themas in der User Commission der Mediapulse werden Bern1, Energy und Mediapulse / Publica Data durch Journalisten der Weltwoche auf das Thema angesprochen.

- 10. April 2014: Mediapulse thematisiert die Problematik öffentlich in einem Radio-Focus.

- 21. Juli 2014: Veröffentlichung der Semesterzahlen via Website / Newsletter mit angefügtem Kommentar seitens Mediapulse.

- ca. 20. August : Spezial-News zum Thema Simulcasting an alle Radio-Kunden von Mediapulse/Publica Data.

- 10. September: Herbstseminar für Kunden der Mediapulse/Publica Data und Medienmitteilung.

Wir bedauern, wenn unsere Kommunikation missverständlich war. Insbesondere unser Hinweis, dass die falschen Doppelhörer hauptsächlich ausserhalb des jeweiligen Konzessionsgebietes auftreten (z.B. zusätzliche Hörer von Energy Basel im Konzessionsgebiet Zürich) und die Abweichungen innerhalb des Konzessionsgebietes (Energy Basel-Hörer im Konzessionsgebiet Basel) gering sind, war für die Marktteilnehmer nicht deutlich genug. Da sie hauptsächlich mit nationalen Zahlen arbeiten, ist für sie das Phänomen im Gesamten und in der werberelevanten Zielgruppe massgeblich und nicht die Auswirkung im Konzessionsgebiet. Üblicherweise und im Einverständnis mit dem Markt kommuniziert die Mediapulse nicht aktiv auf Einzelsenderniveau, um nicht in Konflikt mit den Interessen einzelner Stationen zu geraten.

Anscheinend beschäftigt das Problem in der Fragestunde vom Montag auch den Bundesrat. Kommt nun Bewegung in die Sache? Für die kleinen Lokalradios hat die Situation ja anscheinend direkte wirtschaftliche Nachteile.
Betroffen vom beschriebenen Phänomen sind ausschliesslich Sender, die ausgedehntes Simulcasting betreiben. Die Daten für alle anderen Stationen sind unverändert valide. Die Mediapulse und ihre Gremien arbeiten intensiv an einer Lösung, damit der Markt auch im Bereich Simulcasting mit marktgerechten Daten arbeiten kann.

Fragen: Adrian Schräder/Bild: zVg



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