20.11.2014

Urs Wälterlin

"In Australien geht die Natur kaputt"

Der Australien-Korrespondent über die "Rugbypolitik" in seiner Heimat und Parallelen zur Schweiz.
Urs Wälterlin: "In Australien geht die Natur kaputt"

Herr Wälterlin, Sie verfolgen die Entwicklung Australiens nun seit 22 Jahren und bringen uns Schweizern Ihre Heimat auch in der DOK-Serie "12'378 km Australien" näher, die ab Freitag auf SRF1 ausgestrahlt wird. Hinter der Fassade als Reiseland mit Traumstränden und hoher Lebensqualität: Wo orten Sie die dunkeln Seiten des Landes?
Australien ist eine Insel. Nicht nur physisch, auch in den Köpfen seiner Bewohner. Ich bin immer wieder überrascht, wie weltfremd, ja insulär die Menschen hier zum Teil denken. Das zeigt sich in vielfältiger Weise – nicht zuletzt in den Medien. Was in der Welt geschieht, wird in erster Linie als Bedrohung gesehen, falls es überhaupt eine Auslandberichterstattung gibt. In der Regel geht es drum, ob einer der Corgy’s der Königin Durchfall hat. Diese Ignoranz gegenüber der Welt manifestiert sich auch in einer oftmals zwar nur subtil geäusserten, aber endemischen Xenophobie.

Warum verfolgt Australien eine derart strenge Einwanderungs- und Asylpolitik?
Auch hier: eine Mischung von tief verwurzelter Fremdenangst und Politik. Australien hat – im Vergleich etwa mit Europa - überhaupt kein Asylproblem. Trotzdem werden Bootsflüchtlinge – sogar Kinder - wie Schwerverbrecher behandelt und in Lager gesteckt – entgegen aller UNO-Abkommen und Menschenrechtskonventionen. Experten vergleichen die Bedingungen mit Folter. Die Politiker aber wissen, dass sie damit Stimmen gewinnen können – Australien hat eine tief verwurzelte Angst vor einer "Invasion“ aus dem Norden, vor der "Gelben Gefahr“, die den Kontinent überrennen könnte.

Welche Rolle spielen dabei die Medien? Wie prägen sie dieses Bild der "Gefahr von Aussen"?
Sich über die Flüchtlinge aufzuregen, ist eine gute Ablenkung von den wirklichen Problemen, die das Land hat, und die die Politiker unter den Teppich wischen. Mit Hilfe der Medien, muss ich leider sagen. Es gibt kaum noch wirklich kritische Stimmen, die die Behauptungen der Politiker hinterfragen. 80 Prozent aller Printmedien sind im Besitz von Rupert Murdoch, einem Ultrakonservativen und vehementen Verfechter der Abbott-Regierung. Wer heute ein Murdoch-Blatt liest, liest in erster Linie Propaganda der Neokonservativen im Stil der amerikanischen Tea Party. Mit Journalismus hat das kaum noch was zu tun. Jetzt geht es auch der letzten Stimme der Unabhängigkeit an den Kragen. Die öffentlich-rechtliche ABC wird zusammengeschrumpft, unter dem Deckmantel der Effizienzsteigerung. Dabei geht es der Regierung aber um eines: die vermeintlich "linke" ABC zum Schweigen zu bringen und schliesslich zu privatisieren. Die Strategie wirkt. Ich habe in den letzten Monaten eine deutliche Abschwächung der einst kritischen, aber fairen Berichterstattung festgestellt. Die Kolleginnen und Kollegen dieses Pendants zu SRF haben eindeutig Angst. Wem in der Schweiz Qualitätsjournalismus etwas Wert ist, sollte sich die Entwicklungen in den australischen Medien genaustens anschauen, bevor er sich für SRF dasselbe wünscht. Glauben Sie mir: lieber sich gelegentlich aufregen, als dieses entscheidende Instrument der Demokratie an den höchsten Bieter verkaufen.

Sie haben die Goulburn Group gegründet, die verschiedene Umweltschutzprojekte unterhält. Der Tourist sieht die Traumstände, die Weiten, die Riffe. Wie steht es wirklich um die Umwelt?
Australien ist einer der umweltzerstörerischen Länder der westlichen Welt. Wegen der Abhängigkeit von Kohle zur Stromerzeugung und für Exporteinkommen trägt das Land nicht nur überdurchschnittlich stark zur globalen Klimaerwärmung bei, es wehrt sich unter Tony Abbott auch vehement gegen Klimaschutzmassnahmen. Gleichzeitig geht die Natur kaputt: Das Barrier Riff dürfte bis 2050 ausgebleicht sein, ein schockierend grosser Teil der Säugetiere ist seit Beginn der Besiedelung 1788 ausgestorben. Auch das sieht ein Tourist nicht, wenn er blauäugig durch die Wildnis wandert oder der exzellenten Propaganda der australischen Tourismusbehörde glaubt. Wer aber genau hinschaut, dem wird es den Atem verschlagen. Mein Job ist es, genau hinzuschauen. Aber mir darf es den Atem nicht verschlagen.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind laut Ihren Beschreibungen also ziemlich offensichtlich. Warum wird nichts unternommen?
Diese bedauernswerte Situation hat viel zu tun mit der Qualität der Politik in Australien. Sie ist bemerkenswert schlecht und lässt einen bewusst werden, wie gut im Vergleich die schweizerische direkte Demokratie ist. Das angelsächsische System von Regierung und Opposition ist meiner Ansicht nach unglaublich unproduktiv, zumindest in der australischen Version. Hier sind Parteien zu 90 Prozent der Zeit damit beschäftigt, der anderen Seite eins auszuwischen, um von den Wählern Punkte zu gewinnen. Das Ziel ist, die nächsten Wahlen zu gewinnen, koste es was es wolle. In meinem Buch "Weit weg im Outback“ spreche ich von "Rugbypolitik“: einer gewinnt, der andere verliert. Es gibt keinen Kompromiss. Und wie im Rugby ist es auch wichtig, dass der Verlierer noch eine blutige Nase davonträgt. Aber es fehlt schlicht auch an guten Politikern. Politik ist eine Karriere, ein Beruf – und ein fürstlich bezahlter dazu. Das zieht oft eine ganz besondere Art von Bewerbern an – Leute, die der jeweiligen Partei hörig sind, oder denen die Partei etwas schuldet. Tony Abbott etwa hatte seinen Posten als Chef der Konservativen 2010 nicht zuletzt deshalb erhalten, weil er ein Klimaskeptiker ist – im Gegensatz zu seinem liberaleren Vorgänger, der der mächtigen Rohstoffindustrie ein Dorn im Auge war. Heute ist Abbott Premierminister und umgeben von Ministern, die nicht an Klimawandel glauben, obwohl Australien wie kaum ein anderes westliches Land bereits seine Auswirkungen spürt.

Fragen: Seraina Etter



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