Auch Schweizer Radio vernichtete Dokumente

Eine Geschichte des «SonntagsBlick» sorgte in den letzten Tagen für Unverständnis beim TV-Publikum: SRF hat seine historisch wertvolle Mondlandesendung von 1969 vernichtet (persoenlich.com berichtete). Gelöscht wurden unter anderem auch viele Unterhaltungssendungen – zum Beispiel die meisten Ausgabe des «Teleboy».

Lösch- und Vernichtungsaktionen gab es auch beim Schweizer Radio. Schon vor Jahrzehnten. Und immer wieder. Nur ein Beispiel: In den 1950er und 1960er-Jahren produzierte Radio Basel über 100 Folgen der satirischen Sendung «Spalebärg 77 A», die regelmässig für Hörerrekorde sorgte. Das unvergessene Schauspieler-Duo Ruedi Walter (1916-1990) und Margrit Rainer (1914-1982) kommentierte jeden dritten Samstag nach den Mittagsnachrichten die Ereignisse der Zeit. Als Kinder mussten wir am Mittagstisch stumm bleiben, während der Strassenfeger lief.

Zu Beginn der Achtzigerjahre wurde Ruedi Walter von einer Schallplattenfirma angefragt, ob aus der «Spälebärg»-Reihe Tonträger produziert werden könnten. Dem Schauspieler gefiel die Idee. Er bat die Unterhaltungsabteilung von Radio Basel um die Bänder. Antwort: «Das Material existiert nicht mehr.» Begründung: «Platzmangel im Archiv.»

Ruedi Walter, bis zu seinem Tod der weitaus beliebteste Schweizer Schauspieler, war bitter enttäuscht. Und sauer. Ich hatte mir vorgestellt, dass es Hörer geben könnte, welche die hochbeliebte «Spalebärg»-Reihe oder zumindest Folgen davon aufgenommen hatten. Also machte ich Ruedi (wir waren befreundet) das Angebot, in einem Aufruf im «Blick» die Leserinnen und Leser danach zu fragen. Es folgte eine freudige Überraschung: Aus der ganzen deutschen Schweiz bekamen wir Aufnahmen zugeschickt. Teils sogar solche, die mit qualitativ hochwertigen Revox-Geräten aufgezeichnet worden waren. Dem Tonträger stand nichts mehr im Wege.

«Glanz und Gloria» muss weiss Gott nicht ins nächste Jahrhundert gerettet werden. Es ist hingegen eine Geringschätzung der eigenen Arbeit sowie der von Künstlern und Journalisten, wenn Radio und Fernsehen Perlen oder ganze Schätze aus dem Archiv ohne Not vernichten. Der frühere Fernsehdirektor Peter Schellenberg sagte mir einmal dazu: «Selbst ein alter Film mit Vico Torriani ist ein Zeitdokument. Wir erfahren, wie Dörfer und Städte damals ausgesehen haben, wie sich die Menschen kleideten, welche Autos sie gefahren sind, oder wie sich die Sprache verändert hat.»