SRF-Beizentour im Kanton Luzern vergangene Woche: Vier Old-Tussis und ein -Tusserich im Alter zwischen 41 und 63 Jahren, alle aus der Zentralschweiz, fressen sich durch fünf Restaurants.
Überall hat es «noch ein bisschen Luft nach oben». Keine Leckerei ohne Meckerei. Der männliche Teilnehmer, der sich selbst als kompliziert bezeichnet, fuhr in der Sendung vom Freitag in einem Oldtimer-Ferrari vor. Er lud, nein, SRF lud ins Restaurant «1871» im Luzerner Fünfsterne «Grand Hotel National» ein. Dann marschierten die Frauenzimmer an. Carmen, eine 41-jährige Chüechli-Bäckerin, erklärte gleich zu Beginn: «Ich erwarte den roten Teppich». Und nach der Ankunft im altehrwürdigen Haus: «Ich hätte mehr Klasse erwartet.» Sie hatte sich nach eigenen Worten für die Sendung angemeldet, damit ihre Töchter sie im Fernsehen bewundern konnten.
Zum Hauptgang wurde Filet vom Walliser Evolèner Rind serviert. Eine Rasse, die vom Aussterben bedroht ist. Carmen: «Oh, Ässeee!» Zum Dessert steht ein «Flotter Dreier» auf der Speisekarte. Tatsächlich nicht originell. Carmen zickt: «Das regt mich richtig auf. Das ist obszön.» Kurze Zeit später lässt sie über die Hälfte ihres Filets stehen und sagt: «Ich lasse meinen Magen frei fürs Dessert.» Eine ihrer Kolleginnen: «Wir Frauen sind halt schon sehr heikel. Ein Mann hätte sich auf dieses Essen gestürzt.»
Ja, das hätte ich. Ich esse, wenn auch selten, gerne mal ein Rindsfilet. Ich bin zufrieden, wenn das Fleisch gut zubereitet ist. Und vor allem dann, wenn das Tier eine «glückliche Kindheit» geniessen durfte. Mich nervt total, dass für Snobs Fleisch immer edler, seltener und somit teurer sein muss. SRF fördert das auch noch.
Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein: Rinder fressen ihre letzten Wochen vor der Schlachtbank auf grünen Wiesen vor Fünfsterne-Kurhotels ausschliesslich vierblättrigen Klee. Mit Cartier-Glöckchen um den Hals und hinter Swarovski-Zäunen. Schicke französische Masseusen mit Veterinärausbildung reiben die Tiere dreimal täglich im Rücken- und Lendenbereich ein: Mit «Mouton Rothschild 1945», danach mit «Single Malt Bowmore 1957» sowie «Cognac Henri IV» – und zur Abkühlung mit «Dom Perignon 1995». Carmen und ihren Weibern würde dies gefallen.
In meiner bevorzugten Migros-Filiale in der Stadt Zürich treffe ich ab und zu eine 82-jährige Witwe, die aus der Innerschweiz stammt. Ihr bleibt nur wenig Geld zum Leben. Aus Ergänzungsleistungen verzichtet sie bislang. Aus (falscher) Scham. In der Fleischabteilung sucht sie jeweils ab 19 Uhr nach Schweinsplätzli mit roten Rabatt-Aufklebern. Ich weiss, dass sich die Frau fast jeden Abend «Mini Beiz, dini Beiz» anschaut. Bei nächster Gelegenheit werde ich sie fragen, was sie von den versnobten Luzerner Tussis hält.
Für «Giacobbo & Müller» wären die Beizensendungen von letzter Woche eine Steilvorlage gewesen. Im Vergleich mit den Luzernern war das von ihnen so grossartig parodierte, dekadente Zürichberg-Paar Elenor und Hermann Gibler ein Fall für die Sozialhilfe.
An die dummen Sprüche, die «Mini Beiz, dini Beiz»-Sprecher Ruedi Ruch im Auftrag seiner Redaktion seit Jahren absondern muss, hat man sich inzwischen gewöhnt. Und dass es in unserer Gesellschaft viele dekadente Menschen gibt, ist nicht zu ändern. Eine Sache. Eine andere ist, dass solche von SRF auch noch gepusht werden.
Auch die Idee für dieses TV-Format hat SRF im Ausland eingekauft. Was und wo denn sonst. In Deutschland läuft die Reihe unter dem Titel «Mein Lokal, dein Lokal» auf Kabel 1. Nur ist die Sendung dort nicht so verkommen.
Abschliessend hoffe ich, dass Carmens Töchter nach wie vor stolz sind auf ihre Mami. Guet Nacht am Sächsi.
TV-Kritik
Gipfel der Dekadenz in «Mini Beiz, dini Beiz»