Die Stadtredaktion des «Tages-Anzeigers» verlegte ihren Arbeitsplatz während der letzten Woche in die Zürcher St.-Peter-Kirche (persoenlich.com berichtete). Eine Win-Win-Situation: Das Gotteshaus bekommt Aufmerksamkeit, die Zeitung überirdischen Beistand im schwieriger werdenden Kampf um Inserate und Leser. Eigentlich ist es logisch, dass der «Tages-Anzeiger» in die Kirche geht. Als Tagi-Kind seit eh und je weiss ich: Kein anderes Schweizer Medium pflegt die hohe Kunst des Moralisierens mit solch göttlicher Inbrunst. Hätte man in Wimbledon mit Moralkeulen anstatt Tennisbällen gespielt, wäre die Tagi-Redaktion bestimmt nicht Roger Federer gewesen.
Letztes Opfer die NZZ. In zwei Artikeln hat der Tagi letzte Woche die Konkurrenz von der Falkenstrasse als «Lieblingszeitung der Rechten» gebrandmarkt. These: Die NZZ umwerbe die «deutschen Rechtspopulisten». Der Grund: Die NZZ publizierte einen Artikel, wonach in deutschen Städten Leute ohne Migrationshintergrund längst nicht mehr in der Mehrheit seien. Für den Begriff «Bio-Deutsche» – im Duden vorhanden – entschuldigte sich die NZZ und löschte ihn im Netz. Den Tagi hinderte dies aber nicht, nochmals draufzuhauen und das «Weltblatt» in die AfD-Ecke zu stellen. Geht es um Konkurrenzmedien kennt der Tagi keine Zurückhaltung: Der Überlebenskampf der Verlagshäuser ist härter geworden.
Manchmal ist der Tagi auch gütig. Als verschiedenen Tamedia-Titel einem Ständerat aus dem Kanton Thurgau fälschlicherweise unterstellten, er habe am Frauenstreiktag Teilnehmerinnen mit obszönen Gesten belästigt, gab es eine knappe Entschuldigung; ohne weitere Konsequenzen. In der Kirche lehrt man: Gnade ist eine christliche Tugend. Vor allem bei sich selbst.
Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von «persönlich».