24.06.2019

Tamedia

Redaktionen entschuldigen sich bei SVP-Ständerat

Zuerst war die Lügengeschichte auf 20min.ch. Dann griff die Sonntagszeitung das Thema auf, hielt aber die Druckmaschine an. Die Redaktion habe «die Situation falsch eingeschätzt» und nun die Lehren daraus gezogen, heisst es bei Tamedia.
von Edith Hollenstein

«Wir entschuldigen uns bei Herrn Eberle in aller Form für diesen Fehler», steht in einer hellroten Box oben rechts auf der Leserbrief-Seite in der aktuellen «Sonntagszeitung» (SoZ). Der Grund für diese Entschuldigung ist ein am 16. Juni online und in einem Teil SoZ-Printausgabe erschienener Artikel über Ständerat Roland Eberle, gemäss dem der SVPler beim Frauenstreik Frauen mit obszönen Gesten beleidigt haben soll. «Die Vorwürfe sind unbegründet und waren falsch», schreibt sie SoZ nun – eine Woche später.

Zuerst «20 Minuten», dann die SoZ

Wie es zu dieser Lügengeschichte kam, beschrieb bereits Kurt W. Zimmermann in seiner Kolumne in der «Weltwoche». Es handle sich um eine «unerhörte Story» der Journalistin Monira Djurdjevic. Sie sei von A bis Z erfunden gewesen, schreibt Zimmermann.

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Nach einer Intervention Eberles löschte dann «20 Minuten» den Text vom Onlineportal, doch die Angelegenheit war nicht beendet. Denn auch die «Sonntagszeitung» aus dem Tamedia-Verlag griff die vermeintliche Story auf. Denis von Burg und Mischa Aebi schrieben einen Artikel mit dem Titel: «SVP-Ständerat soll Frauen mit obszönen Gesten beleidigt haben». Weil Eberle nochmals intervenierte, hielt Tamedia die Druckmaschine umgehend an und entfernte den Artikel, jedoch reichte es nicht mehr für alle Ausgaben, sodass in einigen die falsche Story erschien. Die Tamedia-Redaktion löschte den Text ebenfalls aus seinen Online-Portalen.

Story kam von zwei Frauen

Wie konnte diese falsche Geschichte entstehen? Zimmermann nennt zwei Ursachen. Erstens die Geschwindigkeit: «Früher hätte jeder anständige Redaktor bis am nächsten Morgen gewartet, um mit dem Gegenüber zu reden. In der schnellen Online-Welt zählt inzwischen nur noch das Tempo. Ob die Story stimmt, ist nicht so wichtig», so Zimmermann. Zweitens hätten die Tamedia-Journalisten die Quelle nicht geprüft: «Die Quelle war in diesem Fall mehr als dubios. Es handelte sich um das Paar Nicole Ziegler und Simone Näf, zwei Frauen, die am violetten Streik teilgenommen hatten. Sie tischten den Medien gemeinsam die erstunkene Story auf. Eberle, den sie klar identifiziert hätten, habe Wasser aus seiner Wohnung in Bern über Frauen gegossen und dazu, so Frau Näf, ein Fick-Zeichen gemacht.»

«Situation falsch eingeschätzt»

Tamedia sagt auf Anfrage von persoenlich.com, dass es nicht darum geht, dass die Geschwindigkeit über allem steht, wie «Zimmi» schreib, sondern darum, dass die Situation falsch eingeschätzt wurde und die Redaktionen die Lehren daraus gezogen haben. Laut Aussagen von Sprecher Roman Hess hat sich «20 Minuten» persönlich bei Roland Eberle entschuldigt.

Auf die Frage nach den Konsequenzen dieses Falls, sagt Hess: «Wir werden aus diesem Fehler lernen und den heute schon geltenden Grundsatz, keine Geschichten zu publizieren, ohne dem Gegenüber mit einer angemessenen Frist die Gelegenheit zu geben, Stellung zu beziehen, durchsetzen.»



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Kommentare

  • Victor Brunner, 25.06.2019 08:22 Uhr
    Typischer Fall von verantwortungslosen Abschreibejournalismus!
  • Peter Keller, 25.06.2019 07:57 Uhr
    So macht man sich einfach lächerlich. Statt mal zuzugeben, wir machten einen miesen Job, kommt man immer mit so lapidaren Aussagen, die ja ganz pragmatisch nachweisbar nicht stimmen. Hätte man nämlich den Grundsatz befolgt, wäre die Story nicht publiziert worden. Gleich faul, wie das Obst bei gewissen Grossverteilern. "Aber wir haben die höchsten Qualitätsstandards..." Mir als Konsument nützen solche Artikel überhaupt nichts. Weder zur Meinungsbildung über jemanden oder eine Sache beim gelesenen Wort, noch als Konsumgut. Quintessenz ich verzichte zukünftig auf deren Konsum. Zitat: Auf die Frage nach den Konsequenzen dieses Falls, sagt Hess: «Wir werden aus diesem Fehler lernen und den heute schon geltenden Grundsatz, keine Geschichten zu publizieren, ohne dem Gegenüber mit einer angemessenen Frist die Gelegenheit zu geben, Stellung zu beziehen, durchsetzen.»
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