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Gegenteilige Meinungen zulassen

Kommunikation heisst Austausch von Gedanken. Während meiner intensiven Tätigkeit mit der angewandten Kommunikation setzte ich mich stets für die Meinungsfreiheit ein. Mundverbote, Zensur und Stigmatisierung einer unerwünschten Ansicht lehnte ich stets ab. Ausnahmen gibt es für mich höchstens, wenn Beiträge aus juristischen Gründen unzulässig sind. Jüngst kam es nun zu zwei gravierenden Beispielen, die uns bewusst machen, wie rasch Menschen auf einem Auge blind sein können.

Das erste Beispiel: Das M4Music-Festival hat den geplanten Auftritt der Sängerin Bernarda Brunović in Zürich kurzfristig abgesagt. Die Begründung der Absage: Weil laut dem Festival wegen des konservativ-christlichen Hintergrundes der 31-jährigen Musikerin von der links-autonomen Szene Unruhen angedroht worden sind, wurde das Gratiskonzert am Freitag, 28. März, vor dem Zürcher Schiffbau abgesagt. Die Sängerin Bernarda Brunović trat im Jahre 2022 am «Marsch fürs Läbe» in Zürich-Oerlikon auf, einer Veranstaltung von Abtreibungsgegnern. Dies war der Hauptgrund für die Drohungen und die darauffolgende Absage des geplanten Auftrittes. Es ist ein Skandal, wenn das konservative Weltbild einer Künstlerin zur Unterbindung eines Auftrittes führen kann und versucht wird, eine Stimme ohne stichhaltige Begründung zum Verstummen zu bringen.

Die Sängerin Bernarda Brunović stammt aus der Region Zürich und hatte 2010 beinahe die Schweizer Ausscheidung zum Eurovision Song Contest gewonnen. Auch bei der Fernsehshow «The Voice of Germany» schaffte es die blinde Sängerin 2018 bis ins Halbfinale. Bernarda Brunović betont immer wieder, sie verdanke ihren Eltern, dass sie – von Geburt an blind – noch auf der Welt sei. Ihre Eltern hätten sich damals wider den Rat einiger Ärzte gegen eine Abtreibung entschieden.

Zweites Beispiel: Eine Theatergruppe wollte nächstes Jahr das Stück von Thomas Mann «Mario und der Zauberer» aufführen. Sie beantragte bei der Stadt Zürich 30'000 Franken Fördergeld. Das Gesuch wurde laut Tages-Anzeiger überraschend abgelehnt. Die Zürcher Theatergruppe bekam keine Subventionen, nur weil ein weisser Cismann eine Rolle spielen sollte, die Diskriminierung erlebt (Ein Cismann ist eine Person, die zum offiziellen Geschlecht steht). Die Jury der Stadt Zürich kritisierte die Besetzung als nicht überzeugend und lehnte das Gesuch ab. Die Begründung: Ein weisser Mann dürfe keine Rolle spielen, die diskriminiert sei.

Mit anderen Worten: Ein weisser Cismann darf keinen homosexuellen Thomas Mann spielen, der im faschistischen Italien den Aufstieg des Faschismus erlebt. Weshalb weiss die Kommission, dass der Schauspieler ein weisser Cismann ohne Diskriminierungserfahrungen ist? Die Hautfarbe sagt doch nichts darüber aus, wer Diskriminierung erlebt hat. Die Gesuchsteller in Zürich empfinden es als entwürdigend, dass ein Schauspieler wegen seines Äusseren abgelehnt wurde. Dies widerspricht eigentlich den Antidiskriminierungsleitlinien der Stadt Zürich!

Ist es richtig, dass ein paar Personen entscheiden können, wer Fördergelder bekommt? Diese Jury verfügt über eine grosse Macht. Schlimm wird es, wenn so eine kleine Gruppe entscheiden kann, welche Ideologie abgelehnt oder welche akzeptiert wird.

Wehret den Anfängen! Falls versucht wird, unliebsame Meinungen zu unterbinden, dürfen wir nicht schweigen. Wenn andere Ansichten nicht mehr zugelassen werden, weckt dies Assoziationen wie Index, Maulkorbpolitik, Bücherverbrennung usw. In meiner langjährigen Tätigkeit lautete stets mein Credo: Jeder hat das Recht auf die eigene Meinung.



Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik, Berater und Autor von rhetorik.ch.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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