08.11.2022

Tech-Journalismus

«Es fehlt in den Redaktionen an Tech-Selbstvertrauen»

Die erste Swiss Tech Journalism Conference soll Berührungsängste abbauen und inspirieren. Im Gespräch sagt Mitorganisatorin Adrienne Fichter, welche Themen im Bereich Politik und Digitalisierung zu wenig auf dem medialen Radar sind. Und sie gibt Tipps für Tech-Recherchen.
Tech-Journalismus: «Es fehlt in den Redaktionen an Tech-Selbstvertrauen»
«Demokratiepolitisch liegt Technologie im Dunkeln»: Adrienne Fichter ist Technologie-Journalistin bei der Republik. (Bild: zVg)
von Michèle Widmer

Adrienne Fichter, Sie haben Politologie studiert und schreiben nun als Journalistin über Technologie. Wie kamen Sie zu diesem Fokus?
Politikerinnen und Politiker nutzen das Internet immer stärker für den Wahlkampf. Spürbar war das erstmals vor der Wahl von Barack Obama in den USA. Mich hat es fasziniert, wie er diese Tools für sich genutzt hat. Ich war damals beim Start-up Politnetz engagiert, wir wollten die Politikerinnen und Politiker in der Schweiz ins Netz bringen. Danach merkte ich: Das Digitale selbst ist politisch. Medien in anderen Ländern hatten diesen Fokus schon viel früher auf dem Radar.

Wie hängen Tech- und Politikthemen zusammen?
Technologie ist immer ein Resultat von politischen Prozessen. Häufig steht ein Business Modell dahinter. Am aktuellen Beispiel von Twitter sieht man das gut. Elon Musk hat als neuer Besitzer eine persönliche Vorstellung davon, wie das soziale Netzwerk sein soll. Er will seine Ideologie von freier Meinungsäusserung durchdrücken. Das hat Auswirkungen auf unser Diskussionsklima, auf unsere ganze Gesellschaft. In den Redaktionen werden Tech-Geschichten teils noch immer als komische Nerd-Smartphone-Besprechungen angesehen. Dabei sollten diese Journalistinnen und Journalisten Teil der Politikredaktion sein.

«Sie sehen die Story, aber machen sie dann nicht, weil sie es sich nicht zutrauen, leider»

Es fehlt also an Tech-Affinität auf den Redaktionen?
Ich würde sagen, es fehlt an Tech-Selbstvertrauen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen – auch bei der Republik – schrecken davor zurück. Sie sehen die Story, aber machen sie dann nicht, weil sie es sich nicht zutrauen, leider. Ich wünsche mir mehr gute Tech-Storys in der Schweiz. 

Welche Themen im Schnittfeld Digitalisierung und Politik gehen zurzeit unter dem Radar durch?
Dazu könnte man einmal die Sessionspläne durchleuchten. Das Patientendossier würde sich anbieten. Oder das E-Voting, das nun schleichend eingeführt wird, wäre eine Recherche wert. Völlig unterbeleuchtet ist das Projekt Justitia 4.0 oder auch die 5G-Technologie. Hier hat die Schweiz im Vergleich mit dem Ausland keine Berührungsscheu mit chinesischen Anbietern wie Huawei. Es würde sich zudem sicher lohnen, die Digitalisierung der Post genauer anzuschauen.

Vor solchen Themen schrecken Journalistinnen und Journalisten Ihrer Meinung nach zurück. Ist es nicht vielleicht eher eine Zeitfrage im heutigen Redaktionsalltag?
In den Redaktionen hat jede und jeder sein Fachgebiet, in dem es viel zu tun gibt. Aber ich erkenne schon eine gewisse Resignation, sobald es ein bisschen technisch wird.

Die Medienhäuser orientieren sich immer stärker am Lesermarkt. Interessieren Ihre Geschichten überhaupt? Welche Erfahrungen machen Sie?
Da kann ich nur von der Republik sprechen. Zusammen mit meinem Kollegen Patrick Seemann habe ich letzte Woche ein Interview mit der Hackeraktivistin Lilith Wittmann publiziert. Das kam gemäss den Leserkommentaren sehr gut an. Meine Erfahrung: Für Nerds berichten wir etwas zu wenig tief, für Laien genau richtig.

Was können Medienhäuser tun, um das Fachwissen und die Berichterstattung im Technologie-Bereich zu stärken?
Eine Fachredaktion aufbauen. Redaktorinnen und Redaktoren mit dem Fokus Technologie und Politik einstellen. Da gäbe es jeden Tag eine Geschichte. Dieses Team müsste dann auch Ansprechpartner für andere Ressorts sein. Die Neue Zürcher Zeitung mit NZZ Tech macht das zum Beispiel sehr gut.

Wo machen die Schweizer Medien im Bereich Technologie einen guten Job?
Da würde ich die aufgedeckte Crypto-Affäre beim Schweizer Geheimdienst sowie die F35-Kampfjetberichterstattung, die ja auch eine grosse technologische Dimension hat, nennen. Oder die Berichterstattung über den Rüstungskonzern Ruag.

«Investigative Recherchen im Tech-Bereich sind einfacher als anderswo»

Mit einer neuen Konferenz in Bern wollen Sie zusammen mit dem Recherchenetzwerk Investigativ den Fokus auf den Tech-Journalismus lenken. Was konkret sind Ihre Ziele?
Es gibt viele Verbände von Fachjournalistinnen und Fachjournalisten sowie Konferenzen – allerdings kaum welche auf diesem Themenfeld. In erster Linie wollen wir inspirieren. Wir wollen aber auch die oben erwähnte Hürde, dass es sich viele nicht zutrauen, abbauen. Das Eröffnungsreferat soll niederschwellige Tipps geben. Investigative Recherchen im Tech-Bereich sind nämlich einfacher als anderswo.

Wie meinen Sie das?
Will man Missstände im Spitzensport aufdecken, gilt es viele Gespräche zu führen, Vertrauen aufzubauen und Informationen zu verifizieren. Im digitalen Bereich lassen sich Missstände technisch relativ schnell festmachen. Man arbeitet auch mit Quellen. Aber rein technisch existiert eine Sicherheitslücke oder eben nicht.

Sie sprachen von niederschwelligen Tipps. Welche Tools haben Journalistinnen und Journalisten zu wenig auf dem Schirm?
Das Öffentlichkeitsgesetz wird zu wenig genutzt. Oder auch sogenannte Datenschutzauskunftsbegehren. Ein solches kann man bei jedem Dienst stellen und erhält alle Daten, die über einen gesammelt werden. So erhält man viele Hinweise.

Im Dezember werden zwei neue Mitglieder für den Bundesrat gewählt.  Die Organisation CH++ sowie das Portal Inside IT fordern nun einen «Tech-Bundesrat» oder schlicht mehr Digitalkompetenz im Gremium. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist ein klassisches Beispiel einer Tech-Politstory, die absolut unterbeleuchtet ist. Zum Beispiel die Frage, bei welchem Departement ein solches Cyberamt angegliedert würde, ist wichtig.

Warum wäre der Schweizer Journalismus ein besserer, wenn mehr Tech-Affinität vorhanden wäre?
Wenn ein Bereich derart unter dem Radar durchgeht, fühlen sich Entscheidungsträger nicht beobachtet. Es werden viele Entscheide gefällt und die Bevölkerung weiss nichts davon. Demokratiepolitisch liegt Technologie im Dunkeln. Politikern und auch der Bevölkerung muss klar sein, dass sie die Digitalisierung mitgestalten können.


Die Swiss Tech Journalism Conference findet am Freitagnachmittag, 11. November 2022, im Polit-Forum in Bern statt.



Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240419