14.01.2021

Konto-Sperren für Trump

Von «erschreckend» bis «höchst problematisch»

Schweizer Digitalexperten kritisieren mehrheitlich die verschärften Massnahmen der Internetplattformen. Tech-Unternehmen sollten nicht über derart relevante demokratiepolitische Fragen allein entscheiden dürfen, sagt etwa die Journalistin und Politologin Adrienne Fichter.
Konto-Sperren für Trump: Von «erschreckend» bis «höchst problematisch»
Verfolgen das Geschehen in den USA mit Interesse (v.l.): Adrienne Fichter (Republik), Christiane Hanna Henkel (NZZ), Dominic Stöcklin (HWZ) und Dirk Helbing (ETH Zürich). (Bilder: Keystone/zVg.)

Twitter, Facebook und nun auch YouTube: Diese drei grossen Internetplattformen haben in den vergangenen Tagen die Accounts des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump gesperrt (persoenlich.com berichtete). Auslöser waren unter anderem der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington D.C. vor gut einer Woche und das von Trump ausgehende Risiko «einer weiteren Anstiftung zur Gewalt». Am Montag hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisch gegenüber der dauerhaften Sperre durch Twitter geäussert. Die Meinungsfreiheit könne nur durch den Gesetzgeber, nicht von Unternehmen eingeschränkt werden, sagte sie.

Hiesige Digitalexperten kritisieren die verschärften Massnahmen der Social-Media-Plattformen ebenfalls. Dirk Helbing, Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich, sagt auf Anfrage: «Es ist ja nicht nur Trump betroffen, sondern es geht um Zehntausende von Accounts. Über Politik kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber Zensurmassnahmen und die Verunmöglichung der Kommunikation haben in einer Demokratie nichts zu suchen.» Das sei Bevormundung durch private Unternehmen und Interessen – ein bedenklicher Versuch der Meinungsmonopolisierung und Gleichschaltung, «ein gefährlicher Verstoss gegen die Verfassung».

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Helbing glaubt, dass sich die Situation in den nächsten Wochen noch zuspitzen werde. «Die Demokratien der Welt werden Gefahren von verschiedenen Seiten abzuwehren haben», sagt er. «Wenn die pluralistische Zivilgesellschaft nicht die Oberhand gewinnt, ist es mit der Demokratie vorbei. Wir müssen unsere Probleme mit einem Ideenwettbewerb lösen, nicht mit Gewalt oder totalitären Massnahmen.»

Christiane Hanna Henkel, Leiterin der Wissenschafts- und Technologieredaktion der NZZ, findet es «erschreckend», vor allem weil es sich um eine konzertierte Aktion der Tech-Firmen handle. «Wer ist der nächste Politiker, Intellektuelle, Unternehmer oder Querdenker, der von einem kleinen Grüppchen von Tech-Milliardären vom öffentlichen Diskurs ausgesperrt wird?», fragt sie. Facebook und Co. hätten über Jahre von Trump profitiert und ihn daher indirekt hofiert. «Dass sie ihn jetzt ausschliessen, ist mitnichten ein Akt von Zivilcourage. Es ist eine Anbiederung an die künftige Regierung Biden – die ja die Rahmenbedingungen für die Tech-Branche massgeblich mitbestimmen wird.» 

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Henkel ist der Meinung, dass sich künftig wohl noch mehr Unternehmen entschliessen werden, Trump und ihm nahestehende Republikaner im politischen und unternehmerischen Lager von ihren Angeboten auszuschliessen. «Die Stimmung in den USA ist sehr aufgeladen, und dieses Vorgehen der Plattformen und anderer Tech-Firmen dürften auch gemässigte Trump-Wähler als Provokation empfinden.»

Plattformen wurden «staatsbürgerlicher»

Die Tech-Journalistin der Republik und Politologin Adrienne Fichter ist, wie sie selbst sagt, «zwiegespalten» bei diesem Thema. «Zum einen ist die Brandstifterrolle der Sozialen Medien und von Donald Trump nicht zu übersehen. Obwohl er in der Vergangenheit stets zu Gewalt aufgerufen hat, blieb Twitter immer untätig. Andere Konten wurden bei demselben Verhalten gesperrt. Das war höchst inkonsequent», sagt sie. Facebook und Co. seien beispielsweise bei der Leugnung des Holocaust lange Zeit untätig geblieben.

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Die Plattformen hätten aufgrund des zunehmenden öffentlichen Drucks ihre Richtlinien «upgedated» und seien «staatsbürgerlicher» geworden. «So waren in den letzten Monaten auch Falschaussagen zum Wahlvorgang nicht mehr unwidersprochen möglich», so die Expertin. «Ich denke, dass dies der bessere Weg ist; also nicht löschen, dafür Reichweite entziehen oder klar deklarieren. So waren auch keine Retweets möglich.»

Zum anderen sollten ihrer Meinung nach aber Tech-Firmen nicht über derart relevante demokratiepolitische Fragen allein entscheiden, sondern gemäss einem rechtstaatlich abgestützten Verfahren handeln. «Dafür braucht es nicht zusätzliche Gesetze, denn die gibt es bereits, sondern definierte Prozeduren und vor allem Ressourcen für Behörden, die bei Hate-Speech-Postings schnelle Entscheide fällen und auch als Anlaufstelle fungieren können. So werden Plattformen auch nicht zur Meinungspolizei.»

Richtiger Entscheid, aber ...

Dominic Stöcklin ist Studiengangsleiter des CAS Social Media & Content Marketing an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Er ist der Ansicht, dass der Entscheid zwar richtig, gleichzeitig aber auch «höchst problematisch» ist. «Freedom of Speech» sei nicht gleich «Freedom of Reach» und das Löschen von Accounts nach der Einschränkung der Reichweite die «Ultima Ratio». 

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«Natürlich kann man sich fragen, warum die Plattformen erst jetzt – nach dem Wahlentscheid – reagieren», sagt Stöcklin. «Zumindest ein Verdacht des Opportunismus ist nicht in Abrede zu stellen.» Im Endergebnis halte er das Deplatforming aber für richtig. Der Prozess, welcher dazu führte, sei jedoch heikel. «Einige wenige Menschen kontrollieren, wer die heute wichtigsten Kommunikationsplattformen nutzen kann. Insbesondere wenn wir Social-Media-Plattformen als fünfte Gewalt verstehen, wird die Problematik daraus ersichtlich», sagt er. Seiner Meinung nach sollte es in Zukunft darum gehen, zu definieren, wie eine Kontrolle dieser Plattformen auf demokratischer Basis aussehen könnte.


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KOMMENTARE

Thomas Läubli
15.01.2021 05:08 Uhr
Ich glaube diesen "Experten" kein Wort, zumal man heute ja auch in den entsprechenden Zeitungen Kommentare nicht mehr freigeschaltet bzw. Leserbriefe nicht publiziert werden, wenn sie die Journalisten kritisieren. Bei der NZZ habe ich bspw. Dutzende von Leserbriefen geschrieben, die das unprofessionelle Feuilleton des René Scheu zum Thema haben, aber abgedruckt wurde kein einziger. Beim Tagesanzeiger mit dem neuen Ressort «Leben» genau das Gleiche. Folglich sollten nicht die, die selber für Zensur verantwortlich sind, die berechtigte Zensur eines gemeingefährlichen Psychopathen kritisieren.
Christoph Glauser
14.01.2021 14:31 Uhr
Man kann die Sache auch so anschauen, dass die Blockierung der Online Accounts reichlich spät respektive zu spät erfolgte. Wenn die Tech Anbieter mutig wären, hätten sie ja schon viel früher etwas konsequenter gegen die fake news von Donald Trump vorgehen können. Andererseits erscheint es aus unserer Schweizer Perspektive unschön, dass man Politiker mundtot macht. Für die direkte und halbdirekte Demokratie ist der Dialog über alle Kanäle natürlich viel zu wichtig. Digitalexperte und Politologe Christoph Glauser von ArgYou.com
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