20.01.2020

Cambridge Analytica

«Wir führten auch mit Schweizer Firmen Gespräche»

Als Campaignerin in leitender Funktion war Brittany Kaiser massgeblich daran beteiligt, den Datenskandal um Cambridge Analytica aufzudecken. Ein Gespräch über Trump und Brexit sowie über die Zukunft von Facebook. Und darüber, wann personalisierte Werbung sinnvoll ist.
Cambridge Analytica: «Wir führten auch mit Schweizer Firmen Gespräche»
Setzt sich nun mit ihrer Organisation #OwnYourData für mehr Datensicherheit ein: Whistleblowerin Brittany Kaiser. (Bild: Keystone/HarperCollins)
von Loric Lehmann

Frau Kaiser, wenn Sie jetzt zurückkönnten als sie Alexander Nix, ehemaliger CEO von Cambridge Analytica, gefragt hatte, ob Sie für ihn arbeiten würden: Würden Sie es wieder tun?
(Überlegt). Ich würde das Angebot annehmen, aber ich wäre früher an die Öffentlichkeit getreten, um den Skandal aufzudecken. Wahrscheinlich, bevor wir die Brexit- oder die Trump-Kampagne gewonnen hatten.

Als Sie zum ersten Mal davon erfuhren, wie Cambridge Analytica Wählerinnen und Wähler manipuliert?
Ich verstehe Microtargeting nicht als Manipulation. Wir wissen ja, dass datengestützte Kommunikation wirkt. Man kann diese Tätigkeit auch nutzen, um gute oder wenigstens neutrale Dinge zu beeinflussen. Sprich den Leuten die Musik vorschlagen, die sie auch hören wollen oder Kleider anpreisen, die sie auch wirklich kaufen wollen. Oder Positives, wie die Wähler dazu zu bringen, wählen zu gehen. Diese Praxis ist also nicht nur schlecht. Bevor ich bei Cambridge Analytica anfing, war das auf jeden Fall meine Erfahrung in Zusammenhang mit Daten. Aber es ist eben nicht so, dass alle Unternehmen Daten nur für Gutes nutzen. 

Bei der personalisierten Werbung wird argumentiert, dass den Leuten Inhalte gezeigt werden, die sie auch sehen wollen.
Ich habe kein Problem damit, werberische Inhalte zu sehen, solange ich weiss, dass es Werbung ist. Wenn ich einen Post auf Facebook sehe mit Millionen Likes, die alle gekauft sind, dann will ich wissen, dass diese Likes gekauft sind. Wenn Geld hinter einem Inhalt steckt, sollte das offengelegt sein. Momentan geschieht das nicht – und das sollte nicht erlaubt sein.

«Es gibt immer verschiedene Teile eines Puzzles»

Sie fordern, Facebook solle transparent machen, dass es die Daten der Nutzer verkauft. Wenn dies Facebook getan hätte, wäre dann der Cambridge-Analytica-Skandal gar kein Skandal gewesen?
Nicht so stark. Wenn in Facebooks Geschäftsbedingungen stehen würde, dass sie die Daten aller Nutzer verwenden, um sie an externe Firmen weiterzugeben, wäre das ganz anders gewesen. Aber die meisten Leute lesen die AGBs ja nicht mal. Und auch wenn sie sie lesen, verstehen die wenigsten, worum es genau geht.

Wenn Cambridge Analytica für die Gegenseite, sei es das Wahlkampfteam von Hillary Clinton oder beim Brexit-Referendum für die «Remain»-Seite gearbeitet hätte: Wäre dann die Geschichte anders ausgegangen?
Wahrscheinlich schon. Klar, es gibt immer verschiedene Teile eines Puzzles, die zum Erfolg einer politischen Kampagne beitragen. Cambridge Analytica war aber sicherlich ein wichtiger Teil dieses Erfolgs. Besonders in der Trump-Kampagne. Und auch in den beiden «Leave»-Kampagnen zum Brexit. Mir wurde gesagt, dass Cambridge Analytica bei der «Remain»-Kampange mitgepitcht hatte. Die Verantwortlichen gingen aber davon aus, sowieso zu gewinnen. Deshalb hat Alexander Nix entschieden, mit der «Leave»-Partei zusammen zu arbeiten – und so nahm die Geschichte ihren Lauf.

Wären Sie auch an die Öffentlichkeit getreten, wenn die jeweilige – liberale – Gegenseite gewonnen hätte?
Das eigentlich Schlimme war, dass in den Kampagnen der konservativen – besonders in der Trump-Kampagne – Rassismus, Sexismus, Diskriminierung und Gewalt verwendet wurden, um Leute davon abzuhalten, überhaupt wählen zu gehen. Ich habe ja auch schon für die Obama-Kampagne 2012 gearbeitet, und da arbeiteten wir bereits mit datengestützter Kommunikation. Dies wurde aber nur dafür benutzt, um den Leuten positive Botschaften zu senden. Es wurden also niemals Falschinformationen verbreitet. Ich muss aber sagen, ich habe nie für Hillary Clinton gearbeitet – daher kann ich nicht sagen, ob sie dies getan hat oder nicht.

«Ich fordere, dass Facebook aufhört, Daten zu missbrauchen»

Gewisse Leute fordern, die Sozialen Medien, insbesondere Facebook, zu zerschlagen und sie unter staatlicher Aufsicht zu stellen. Wäre das eine Option?
Facebook hat bewiesen, dass es keine ethischen Entscheidungen treffen will. Also müssen die staatlichen Gesetze und Vorschriften das durchsetzen, was Ethik und Moral sein sollte. Mark Zuckerberg scheint diese Eigenschaften nicht aufzuweisen. Man muss vielleicht nicht gleich Facebook aus dem Geschäft drängen. Aber ich fordere, dass der Konzern aufhört, Daten zu missbrauchen. Aber sie scheinen nicht sehr motiviert zu sein, dies zu tun.

Sie haben in Ihrem Referat am Worldwebforum angekündigt, dass Sie Dokumente über Schweizer Firmen veröffentlichen werden. Können Sie mir dazu etwas erzählen?
Es geht um die Frage, welche Schweizer Firmen mit Cambridge Analytica zusammenarbeiten wollten. Aber es ist wirklich schwierig, Daten über Schweizerinnen und Schweizer zu bekommen. Die gibt es schlichtweg nicht – wegen dem guten Datenschutz. Ich habe es versucht. Glauben Sie mir, das geht nicht (lacht). Die Idee war es dann, Daten von Unternehmen wie der Swisscom oder einem Schokoladenfabrikanten zu erhalten und dann diese für politische Kampagnen zu nutzen. Die Verhandlungen diesbezüglich sind aber nicht so weit gekommen. Sie werden aber mehr nächste Woche erfahren, wenn ich die Dokumente dazu veröffentlichen werde.

Wir sind gespannt. Wie wird Facebook wohl in zehn Jahren aussehen?
Der Tech-Gigant wird viel mehr Produkte und Services haben. Es ist fraglich, ob die Facebook-Währung Libra in Europa oder Nordamerika lanciert wird, aber wahrscheinlich in Südamerika, Afrika oder Asien. Ich denke, Facebook wird mehr für den Datenschutz machen, aber wahrscheinlich immer noch nicht genug. Einfach, weil einzelne Staaten sich dagegen wehren werden.

Denken Sie, dass eine soziale Plattform, die von einem Rechtstaat kontrolliert wird, die Lösung für den Datenschutz wäre?
Ich denke vor allem, dass soziale Medien mit der Blockchain-Technologie Zukunft haben werden. Da starten einige dieses Jahr. Transparenz und die Rückverfolgbarkeit der Daten wird für die Menschen immer wichtiger werden. Ich habe die Hoffnung, dass eines Tages Facebook gezwungen werden kann, ethisch zu handeln, auch wenn die Führungskräfte diese Entscheidungen nicht selbst treffen wollen.

«Die Chinesen bemühen sich, Fake News zu verbieten»

TikTok ist momentan im Aufwind. Wie denken Sie darüber, dass jetzt die Chinesen Einfluss nehmen auf soziale Plattformen?
Das macht mich recht traurig. Ich habe lange Zeit an der Analyse von Menschenrechtsverletzungen in China gearbeitet. Ich habe eine Kampagne gegen die Chinesen für das Europäische Parlament und die Vereinten Nationen geführt. Was die Kommunistische Partei in China tut, ist ziemlich ekelhaft.

Wird das Aufkommen von TikTok aber nicht mehr Druck auf Facebook auslösen? Eben, dass Facebook einlenken muss, um ethischer zu werden.
Ja, das stimmt. Es gibt auch Dinge bei Facebook, die sogar schlechter sind bei Facebook als bei TikTok. Zum Beispiel bemühen sich die Chinesen, Fake News zu verbieten.

Das kommt ja auch immer darauf an, wie man Fake News definiert.
Trotzdem. Stellen Sie sich vor, Mark Zuckerberg würde sich entscheiden, eine Menge Geld auszugeben, um gefälschte Nachrichten und Desinformationen aufzudecken und zu verhindern. Die chinesische kommunistische Partei investiert dazu eine Menge Geld. Mehr als Zuckerberg irgendwann je investieren wird. Für Mark sollte das ein Weckruf sein, dass es Dinge gibt, die die chinesische Kommunistische Partei besser macht als er.


Das Gespräch mit Brittany Kaiser hat am Worldwebforum vom Freitag in Zürich stattgefunden.

 


 

Das Unternehmen Cambridge Analytica hatte 2016 einen riesigen Datenskandal ausgelöst: Durch die unerlaubte Nutzung der Daten von 87 Millionen Facebook-Usern soll unter anderem der Wahlsieg Donald Trumps herbeigeführt worden sein. Durch Microtargeting auf Facebook, also das gezielte Vermitteln von personalisierten Botschaften an verschiedene Wählergruppen, wurde unter anderem versucht, bestimmte Zielgruppen zu beeinflussen. Dies wurde durch Brittany Kaiser offengelegt, die knapp vier Jahre als Business Developer für Camebridge Analyticas Mutterfirma SLC arbeitete. Nach dem Ausscheiden aus der Firma trat sie als Whistleblowerin an die Öffentlichkeit. Unter anderem durch ihre Aussagen musste Mark Zuckerberg vor dem amerikanischen Kongress über Facebooks Umgang mit Daten aussagen.

In der Oskar-nominierten Netflix-Dokumentation «The Great Hack» ist Kaiser eine der Protagonisten. Nun setzt sie sich mit einer von ihr gegründeten Organisation für mehr Datenschutz ein und veröffentlicht ausserdem auf einem Twitteraccount Dokumente, die Verstrickungen von Regierungen oder Unternehmen weltweit mit Camebridge Analytica beweisen sollen.

 



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Kommentare

  • Siegfried Bernath, 20.01.2020 11:38 Uhr
    Besten Dank für das Interview.
  • Manfred Klemann, 20.01.2020 08:08 Uhr
    Das ist jetzt mal ein wirklich gutes Interview. Einfache klare Fragen, die das komplizierte Thema verständlich machen. Und natürlich auch eine Interview Partnerin, die klar, ehrlich und gerade heraus spricht. Danke. Endlich weiss ich mal, was diese Cambridge Analytica Leute eigentlich machen.
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