Bissiges Duell bei «Sternstunde Philosophie»

Daniel Binswanger vs. René Scheu - In der TV-Sendung kommt es zu einem verbalen Schlagabtausch, denn der aufsehenerregende No-Billag-Leitartikel von Eric Gujer kommt nochmals ins Spiel. René Scheu wirft Daniel Binswanger vor: «Sie reden wie mein Vater!».

von Edith Hollenstein

Der Druck sowohl auf private Medienhäuser als auch auf öffentliche war Thema in der letzten «Sternstunde Philosophie». Dazu lud Moderatorin Barbara Bleisch am Sonntagvormittag ins Sud nach Basel. Neben dem deutschen Medienwissenschaftler Norbert Bolz und der Kulturjournalistin Catherine Newmark sassen mit NZZ-Feuilletonchef René Scheu sowie Daniel Binswanger von der «Republik» für «Sternstunde Philosophie»-Verhältnisse sozusagen zwei handfeste Praktiker in der Runde. 

Vor einem gut gefüllten Glas Weisswein redet Binswanger in fast schon bühnengerechtem Duktus «von einer seit zehn Jahren andauernden, ganz massiven Medienkrise», während der «absolut dramatische Strukturverschiebungen» passierten. «Es ist ringsum apokalyptisch», sagt Binswanger nach etwas vielen verbalen Umwegen. Politiker hätten ein grosses Problem; sie könnten mit dem Bürger nicht mehr adäquat kommunizieren. Das sei ein Beispiel dafür, dass der Markt nicht funktioniere. Diese Entwicklungen sieht Scheu auch: «Selbstverständlich findet eine Bereinigung statt», sagt er, was aber nicht heisse, dass Politiker keine Wege hätten, um mit den Bürgern in Kontakt zu treten. Vieles in dieser Krisendebatte sei «reine Nostalgie».

Für Scheu ist das «kein Problem»

Richtig bissig wird die Sendung nach rund 20 Minuten, als es um die Frage geht, ob die Schweiz als demokratisch organisiertes Land ein Problem hat mit der Journalismus-Krise. Für Scheu ist die Situation nicht dramatisch, denn es herrsche gesunder Medien-Pluralismus aufgrund des privatwirtschaftlich organisierten Markts. Die zivilgesellschaftlichen Akteure bewegten sich in einem Wettbewerb. «Das ist schon mal sehr gut», so Scheu. 

Ihm zufolge haben viele Journalisten eine pädagogische Ader, sie hätten auch Macht, wobei sie zwar eher «Zaungäste der Macht» seien. Die Journalisten besässen die Macht der Sprache. Denn Sprache bilde nicht nur die Wirklichkeit ab, sondern erschaffe Wirklichkeit. Dieses Wissen, in Kombination mit dem «pädagogischen Impetus» führe dazu, dass der Journalist die Leser als manipulierbare Masse betrachte, so Scheu. Scheu merkt an, dass die Schweiz einen Millieu-Journalismus habe, dieser sei aber kein Problem, solange es den Binnenpluralismus gebe. Daher: Die Lage sei gut, das Land habe kein Problem mit mutmasslich fehlenden journalistischen Leistungen.

Dem widerspricht Binswanger. Überdeutlich, fast als ob er sich selber in seiner Rolle nicht so ganz ernstnehmen könnte, sagt der frühere «Magazin»-Journalist: «Selbstverständlich haben wir ein massives Problem». Scheu reagiert denn auch postwendend auf Binswangers überzogene Attitüde: «Jetzt reden Sie wie mein Vater!» Damit erntet er laute Lacher im Studiopublikum.

Streit um No-Billag-Text

Daraufhin bringt Binswanger den aufsehenerregenden No-Billag-Leitartikel von Eric Gujer nochmals ins Spiel: «Die Schweiz braucht keine Staatsmedien», hat der NZZ-Chefredaktor im Dezember 2017 geschrieben und löste damit heftige Reaktionen aus (persoenlich.com berichtete). «Ich wundere mich, dass Sie überhaupt hier sitzen, denn offenbar braucht es ja solche Sendungen gar nicht», stichelt Binswanger mit einem süffisanten Lächeln an die Adresse von René Scheu.

Scheu will klarstellen, dass das erstens nicht sein Text sei, sondern «der von Eric Gujer». Und zweitens sei das ein «sehr guter Text». Schliesslich will Binswanger aus seinen Notizen vorlesen, doch die beiden streiten darüber, ob Gujer geschrieben habe, die SRG sei «totalitär» (Binswanger) oder ob er seinen Kommentar mit der Pointe geschlossen habe, das eine Diskussion über die Rolle der SRG stattfinden müsse (Scheu).

Wer den Text Gujers nochmal liest, wird merken: Die Wahrheit liegt ziemlich sicher nicht bei Binswanger und auch nicht ganz bei Scheu, sondern irgendwo dazwischen, darüber oder weiter weg als sie es wahrscheinlich sein dürfte. Oder mit anderen Worten: Genau dort, wo sie laut der Philosophie am meisten Sinn macht.