07.03.2022

Weltfrauentag

«Frauen brauchen keinen Nachhilfeunterricht»

Warum beschäftigt uns das Thema Gleichstellung im Jahr 2022 immer noch? Was muss sich ändern? Myriam Käser, Kommunikationsleiterin beim Flugsicherungsunternehmen Skyguide, erklärt, wie weibliche Talente im Alltag gefördert werden können und warum sie nie ins Networking investiert hat.
Weltfrauentag: «Frauen brauchen keinen Nachhilfeunterricht»
Hat bis 2018 die Unternehmenskommunikation der NZZ-Mediengruppe geleitet: Myriam Käser. (Bild: zVg)
von Maya Janik
Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Braucht es aus Ihrer Sicht einen solchen Tag überhaupt?
Ich fände es super, wenn meine Töchter keinen Grund mehr sehen würden, einen solchen Tag zu feiern. Da liegt allerdings noch ein Stück Weg vor uns.
 
Wie können weibliche Talente gefördert werden?
Es braucht echte Chancengleichheit. Dazu zählen etwa ein entschiedener Umgang mit Sexismus und faire Spielregeln für alle. Zu Letzteren gehören für mich auch die politischen Rahmenbedingungen, etwa eine Elternzeit anstelle eines Mutterschaftsurlaubs. Dann erübrigen sich Frauenförderungsprogramme. Frauen brauchen keinen Nachhilfeunterricht, sondern ein vorurteilfreies Umfeld und sinnvolle, gleichberechtigte Ausgangsbedingungen. Dann werden sie Erfolg haben und in Unternehmen einen noch grösseren Beitrag leisten, als sie es jetzt schon tun. Das wird sich auszahlen.
 
Und was konkret unternimmt Skyguide, um Frauen gleiche Chancen zu geben?
Unsere Diversity-and-Inclusion-Politik zielt darauf ab, allen Menschen zu ermöglichen, ihr Potenzial bei uns zu entfalten und auszuschöpfen. Das geht weit über die Geschlechterfrage hinaus und ist mit einem ganzen Paket an Massnahmen verbunden. Mit einigen haben wir schon viele Jahre Erfahrung und sehen, dass sie wirken – etwa das Mentoring-Programm. Andere sind neuer. So absolvieren bei uns etwa neu alle Führungskräfte ein sogenanntes Unconscious-Bias-Training. Ziel ist es, dass wir uns die eigenen Wahrnehmungsfehler und Vorurteile bewusst machen und darin begründetes Fehlverhalten ändern.
 
Können Frauen auch selbst etwas dafür tun, dass sie in ihrem Arbeitsumfeld so behandelt werden wie ihre männlichen Kollegen?
Jeder Mensch kann etwas tun, um die Situation von Frauen in der Arbeitswelt zu verbessern. Nicht nur im Grossen, auch im Alltäglichen. Mir persönlich ist es wichtig, meine Stimme zu erheben, wenn ich sehe, dass jemand unfair behandelt wird. Wenn ich merke, dass jemand etwas zu sagen hat, aber nicht gehört wird, versuche ich diese Stimme zu verstärken. Und ganz grundsätzlich versuche ich, jeden Tag eine authentische Führungsperson zu sein und mich niemals einschüchtern zu lassen.
«Als Underdog ins Rennen zu starten, kann auch Vorteile haben»
Halten Sie Frauen-Netzwerke für sinnvoll?
Frauen wird immer geraten, sie sollen ins Networking investieren, um ihre Karriere voranzubringen. Ich mag Menschen und ich mag es, mich mit ihnen auszutauschen, aber unabhängig von ihrem potenziellen Einfluss auf meinen Berufsweg. In das, was die Leute gemeinhin Networking nennen, habe ich nie investiert. Wenn andere zum Networking-Apéro gingen, bin ich normalerweise im Büro geblieben und habe einfach weitergearbeitet. Tief in mir habe ich diese Überzeugung, dass gute Arbeit an sich wertvoll ist und – im Idealfall – für sich spricht. Darauf habe ich mich verlassen und das hat bis jetzt funktioniert.
 
Was würden Sie Frauen raten, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen?
Ich würde ihnen sagen: Eure, unsere Chancen waren nie besser und es geht weiter bergauf. Ja, es kommt noch immer vor, dass wir unterschätzt werden – oft unbewusst. Aber lassen wir uns davon nicht entmutigen. Niemals. Als Underdog ins Rennen zu starten, kann auch Vorteile haben. Es ist eine Gelegenheit, um positiv zu überraschen.
 
Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich persönlich in der Arbeitswelt bisher konfrontiert?
Es gab Momente, wo ich vor den Kopf gestossen war. Als ich etwa – damals als Geschäftsleitungsmitglied einer Agentur – gefragt wurde, ob ich bei einem Event an der Garderobe aushelfen könnte. Das hätte ich an sich sogar sehr gern gemacht. Irritierend war nur, dass man meinem männlichen Kollegen aus der Geschäftsleitung, der in diesem Moment neben mir sass, diese Frage nie gestellt hätte. Aber es gab auch Vorteile. Im Grunde sind ja alle Unternehmen auf der Suche nach weiblichen Führungspersonen. Das hat mir Türen geöffnet. Was ich immer wieder beobachte, ist, dass Frauen mit Kindern in einer anderen Kategorie abgespeichert werden. Und das fängt häufig schon an, bevor das Kind überhaupt auf der Welt ist.
 
Inwiefern?
Es werden Annahmen getroffen in Bezug auf ihre Motivation oder ihre Einsatzbereitschaft. Das müssen wir ändern, denn da verspielen wir uns viel Potenzial. Ich persönlich habe aufgrund meiner Elternschaft keine Nachteile erfahren. Das hängt mit der offenen Kultur von Skyguide und sicher auch damit zusammen, dass wir spät Eltern wurden. Ausserdem war für meinen Mann und mich immer klar, dass wir ein partnerschaftliches Modell leben. Die Elternzeit haben wir uns bei beiden Töchtern genau hälftig aufgeteilt und seither arbeitet mein Mann in einem 80- und ich in einem 100-Prozent-Pensum.
«Frauen mit Kindern werden in einer anderen Kategorie abgespeichert»
Haben Sie weibliche Vorbilder?
Es gibt viele, die mich geprägt und bestärkt haben, und ein paar, die mir ein Modell vorgelebt haben, das für mich passend ist. Als 17-Jährige habe ich ein Jahr bei einer Gastfamilie mit vier Töchtern in Chile gelebt. Die Mutter war und ist eine engagierte Ärztin, die nicht selten erst nach Mitternacht von der Klinik nach Hause gekommen ist. Gleichzeitig war und ist sie eine sehr liebevolle Mutter. Das hautnah und im Alltag erleben zu dürfen, war für mich ein Geschenk.
 
Ist die Unternehmenskultur eine andere mit einem ausgewogenen Anteil von Frauen und Männern?
Wir wissen, dass diverse Teams bessere Lösungen finden, weil sie Probleme aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten. In solchen Teams ist die Gesprächskultur eine andere. Es gibt mehr Raum für Reibung und Widerspruch, mehr Raum auch für Aha-Momente und gedanklichen Fortschritt. Ich bin überzeugt, dass das die Kultur und den Erfolg eines Unternehmens am Ende positiv beeinflusst. In homogenen Teams ist es sicher gemütlicher. Es geht da selbstgefälliger zu und her, aber das dient der Sache nicht.
 
Kommunizieren Frauen anders?
Jeder Mensch kommuniziert anders. Da gibt es tatsächlich grosse Unterschiede, die ich aber nicht am Geschlecht festmachen kann. Ich sehe etwa Unterschiede zwischen Menschen, die gerne Fragen stellen, und solchen, die gerne Antworten geben. Auch der Kommunikationsstil von humorvollen und humorlosen Menschen unterscheidet sich gewaltig.
 
Was bedeutet für Sie gute Kommunikation?
Sie muss authentisch sein. Und sie muss auf Augenhöhe stattfinden. Nachhaltig gute Kommunikation wird dann möglich, wenn wir uns öffnen und damit verletzlich machen.
«Ich lasse mich nie einschüchtern»
Sie sind seit mehreren Jahren in der Kommunikationsbranche tätig. Was reizt Sie daran?
Viel. Unternehmenskommunikation ist strategisch, gleichzeitig nah an den Menschen und nah am Zeitgeschehen. Gute Kommunikationsfachleute sind Menschen, die genau zuhören und ein scharfes Sensorium für ihr Umfeld haben. Menschen, die Zusammenhänge erkennen und Brücken schlagen. Menschen, die Vertrauen haben in sich, in andere und ganz besonders in den Dialog zwischen Menschen. Aus meiner Sicht ist das ein wunderbares Berufsfeld.
 
Die Pandemie hat viele Unternehmen vor noch nie dagewesene Herausforderungen gestellt. Wie haben Sie die letzten zwei Jahre erlebt?
Wir waren in dieser Zeit gefordert wie vielleicht noch nie. Plötzlich musste ein Grossteil unserer Belegschaft zu Hause bleiben, während der andere Teil vor Ort sein musste. Beides war nicht einfach. Wir haben unser Bestes gegeben, um die Verbindungen zwischen allen aufrechtzuerhalten. In kürzester Zeit haben wir die physischen Kommunikationsformate ins Digitale transferiert und dann rasch neue digitale Formate entwickelt, um den gesteigerten Informationsbedarf zu decken und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.
 
Am Internationalen Frauentag wird der Schweizer Luftraum grossmehrheitlich von Fluglotsinnen kontrolliert. Was bezweckt Skyguide damit?
Traditionell ist die Flugsicherung eine männlich dominierte Branche. Das ändert sich zunehmend und dazu leisten unsere vielen Flugverkehrsleiterinnen jeden Tag einen wichtigen Beitrag. Diese Aktion soll ein Zeichen der Wertschätzung für sie sein. Und es soll andere ermuntern, sich mit diesem Berufsfeld auseinanderzusetzen und vielleicht selbst eines Tages diesen faszinierenden Berufsweg einzuschlagen.  
  
Wie lange wird es aus Ihrer Sicht noch dauern, bis wir Diskussionen zur Förderung von Frauen nicht mehr führen müssen, weil Gleichbehandlung in der Gesellschaft und im Arbeitsumfeld selbstverständlich sind?
Es hat sich sehr viel verändert und gleichzeitig hat sich noch nicht genug verändert. Wenn ich meine Ausgangsbedingungen mit jenen meiner Mutter oder meiner Grossmütter vergleiche, muss ich sagen: Dazwischen liegen Welten. Ich glaube, dass meine Töchter einmal dasselbe sagen werden.


Myriam Käser ist seit 2018 Chief Communications & Public Affairs Officer und Mitglied der Geschäftsleitung. Davor war sie unter anderem Leiterin der Unternehmenskommunikation der NZZ-Mediengruppe. Sie studierte Politikwissenschaft, internationales Recht und Arabistik in der Schweiz, den USA, England, Frankreich und Ägypten und verfügt über einen Master von der Universität Zürich.



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