25.02.2019

Christian Jott Jenny

«Mich interessiert der Kantönligeist herzlich wenig»

Seit Anfang des Jahres ist der 40-jährige Tenor und Entertainer Christian Jott Jenny Gemeindepräsident von St. Moritz. Im Interview zieht der Gründer des Festival da Jazz St. Moritz nach seinen ersten Wochen als Exekutivpolitiker Bilanz.
Christian Jott Jenny: «Mich interessiert der Kantönligeist herzlich wenig»
Gemeindepräsident Christian Jott Jenny in St. Moritz. (Bild: Keystone/Gian Ehrenzeller)
von Matthias Ackeret

Herr Jenny, Sie sind nun seit Anfang Jahr Gemeindepräsident von St. Moritz. Hatten Sie in dieser Zeit bereits einmal das Gefühl, ein richtiger Politiker zu sein?
Jein. Es gibt ja keine Politiker-Ausbildung. Man ist einfach per definitionem Politiker, sobald man Politiker ist. Und ja, beim Eintauchen in die Dossiers, beim Kennenlernen der Angestellten, der Polizei et cetera habe ich mich schon schnell wie ein Politiker gefühlt. Im Guten und auch mal im weniger Guten.
 
Sie haben für Ihre neuen Mitarbeiter ein Konzert gegeben. Wie kam dies an?
Na ja, ein Konzert ist leicht übertrieben: Beim Neujahrsapéro für die Gemeindemitarbeiter habe ich am Ende meiner Ansprache noch «Nessun Dorma» aus Puccinis -«Turandot» gesungen. Denn ich finde, dass die Aussage, dass «niemand schlafe», irgendwie zu St. Moritz, aber auch zu meiner Tätigkeit als Aufforderung passen könnte. Im Gegensatz zur Nachbargemeinde Pontresina: Von dort stammt das bekannte Gutenachtlied «Dorma Bain». Ich glaube, die Mitarbeiter haben es geschätzt. Müssen sich aber noch etwas an mehr Musik im Rathaus gewöhnen.
 
Wie ist Ihr Führungsprinzip im Gemeindehaus? Sind Sie mit allen Mitarbeitern per Du?
Solange wir nicht «perdu» sind, ist ja alles gut! Nein, Scherz am Rande: mit den meisten, ja. Wir sind ein Dorf. Man kennt sich. Es käme wohl merkwürdig daher, wenn ich versuchen würde, mit dieser Tradition zu brechen – obwohl ich ein höfliches, angenehmes Sie eigentlich sehr schätze.
 
Ihre Anhänger sind viele Junge. Wie verändert dies die Politik?
Es kann nur guttun. Die Jungen sollen sich einbringen und aktiv die Gemeinde mitgestalten. Noch heute ist die Abwanderung aus den Berggemeinden ein Problem. Wir alle sind natürlich in höchstem Masse daran interessiert, dass die Jungen hier Perspektiven sehen. Ideal also, wenn sie sich für Politik interessieren.
 
Sie stammen aus Zürich. Gibt es auch einen Anti-Zürich-Reflex?
Nun, mein Vorgänger war auch nicht gerade ein Eingeborener. Mich interessiert der Kantönligeist herzlich wenig. Meist sind das ja nur Klischees, über die man scherzt. Im persönlichen One-on-one tritt meine Herkunft in den Hintergrund. Ich bin Zürcher und St. Moritzer. Meine Arbeit muss stimmen, nicht mein Bürgerort. Letzterer ist sowieso eine Autobahnausfahrt: Glarus Süd.

«Ein Soho House oder so, das wäre mein Traum»
 

Was war Ihre erste Amtshandlung?
Das Gemeindelogo vom jetzigen grauenvollen Logo mit dem Charme eines Werkhofes im Kanton Aargau zurück zur Sonne und zum weltbekannten Schriftzug zurückverwandeln. Mit den einzelnen Mitarbeitern reden, Bilder aufhängen.
 
Nun wurde St. Moritz bereits in den ersten Tagen vom grossen Schneefall überrascht. Welche Massnahmen haben Sie als Gemeindepräsident getroffen?
Nun, einen Krisenstab mussten wir nicht einberufen. Aber ja, es war sehr viel Schnee. Doch solche Dinge funktionieren in den Berggemeinden sehr gut. Spezielle Massnahmen meinerseits waren nicht nötig – ausser Schnee schaufeln und ein paar Gäste in den zugeschneiten Hotels besuchen, was ich sehr gern mache!

Lange Zeit hiess der Slogan von St. Moritz «Top of the World». Gegenüber der NZZaS haben Sie erklärt, dass Sie darüber nie ganz glücklich waren. Warum?
Auch hier geht es um Nuancen. Natürlich ist das ein knackiger Slogan, der eine klare Aussage macht. Aber für mich wird die Exklusivität und Einzigartigkeit von St. Moritz falsch konnotiert. Halt etwas von oben herab. Er ist mir schlicht zu arrogant.
 
Ihr Ziel ist die Fusion aller Oberengadiner Gemeinden. Wie realistisch ist dies?
Das ist nicht einfach mein erklärtes Ziel. Das funktioniert nur, wenn alle an einem Strick ziehen. Aber es gibt Vorbilder für ähnliche Fusionen, die sehr erfolgreich waren. Natürlich passiert das nicht von heute auf morgen, aber ich finde, man sollte es zumindest in Erwägung ziehen.

Hat St. Moritz genügend Hotels?
Im mittleren Bereich mit drei bis vier Sternen dürfte es durchaus noch etwas richtig Cooles geben. Es fehlt uns an guten Leuten, die aber nicht ihr Jahresgehalt für zwei Wochen Urlaub ausgeben wollen. Ein Soho House oder so, das wäre mein Traum. Oder ein Hotel St. Moritz, mitten in der Fussgängerzone, mit Coworking-Plätzen, 365-Tage-Coffeeshop, irgendetwas für Herz und -Seele.

«Ich plädiere für einen etwas angstfreieren Umgang mit neuen Ideen»


Wo soll St. Moritz in fünf Jahren stehen?
St. Moritz soll wieder lebendiger sein. Wenn die Einheimischen mehr Lebensfreude haben und dies zeigen, sich nicht zu schade sind, im Guten zu dienen und die Extrameile zu gehen, dann wird davon auch die Tourismusdestination profitieren. Die Weltwirtschaft kann ich nicht beeinflussen, aber wir können unseren Teil erledigen und St. Moritz breiter aufstellen.
 
Welcher Ort wäre für Sie das Vorbild für St. Moritz?
Ich plädiere ja für einen etwas angstfreieren Umgang mit neuen Ideen. Natürlich muss man die Konkurrenz anschauen. Aber nur Trends nachzuhecheln, wäre der falsche -Ansatz. Mir wäre es lieber, St. Moritz wäre wieder mehr ein Vorbild für die anderen. Wichtig ist, dass wir eine eigene Identität -leben, unsere eigene DNA. Unverwechselbar sind.
 
St. Moritz ist der Ort der «Schönen und Reichen». Welches war für Sie die spannendste Begegnung mit dem Jetset?
Ich bin selten «star-struck». Sie werden von mir also nicht hören: «Ich habe mal Kyle Minogue gesehen.» Spannender finde ich, wenn sich Welten vermischen: Weltklassepianist Chick Corea hat sich nach einem Konzert am Festival da Jazz völlig spontan neben den Barpianisten im Kulm gesetzt. Zusammen haben sie musiziert. Hier der Weltstar, da der unterbezahlte Barpianist, der endlich mal mehr als «Girl from Ipanema» spielen kann, und rundherum ein gemischtes Publikum aus Musikfans und sonst eher hüftsteifen 5-Sterne-Gästen. Wunderbar.


Was Christian Jott Jenny über zukünftige musikalische Projekte sagt und wo St. Moritz in fünf Jahren stehen soll, lesen Sie im vollständigen Interview. Dieses finden Sie in der aktuellen Ausgabe des «persönlich»-Magazins.

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