Ist der Gillette-Spot cheesy oder Weltklasse?

Werbekampagne zu #MeToo - Gillette polarisiert derzeit mit einem Online-Werbespot zu #MeToo. Der seit Sonntag millionenfach angeklickte Film wird scharf kritisiert. Schweizer Kreative sind sich nicht einig. Was den einen «mutig» und «gut gemacht» erscheint, finden andere «unglaubwürdig».

von Edith Hollenstein

Gillette polarisiert mit einem Werbeclip, der derzeit viral geht. Der Rasierer-Riese will die global präsente #MeToo-Debatte nutzen für einen Imagewechsel. Dafür gibt es viel Kritik in den sozialen Medien – vor allem von Männern (persoenlich.com berichtete).

Was denken Schweizer Werber über den Spot, der in den letzten Tagen weltweit gross an Fahrt aufgenommen hat und in Social Media millionenfach angeklickt wurde? Was leistet das Werk der Agentur Grey New York aus kreativer Sicht?

«Der Spot ist cheesy und unglaubwürdig, von einem Brand der sonst hartnäckig alte Rollenbilder zementiert», sagt Philipp Skrabal, CCO & Partner bei Farner, einer der grössten Schweizer Kommunikationsagenturen, gegenüber persoenlich.com. Als Vater von drei Mädchen ist er der Meinung, dass «das Thema mehr verdient». Aber: «Meinen Rasierer werde ich deshalb nicht wegschmeissen.»



Auch für Peter Brönnimann, Creative Director bei Publicis Communications, reicht der Spot nicht aus: «Das Problem der Gillette-Werbung ist, dass sie vorne ein altertümliches Männerbild bedient, um hinten über das richtige Verhalten zu reden. Als würden Männer heutzutage den ganzen Tag nur prügeln, Frauen herablassend behandeln und sexuell belästigen.»

Der Marktanteil von Gillette in den USA sei in den letzten 10 Jahren von 70 Prozent auf 50 Prozent gesunken. Start-ups wie Dollar Shave Club seien mit neuen Vertriebsideen und «modernem No-Bullshit-Marketing» erfolgreich geworden, weiss Brönnimann. Er fügt an, dass Gillette hingegen «seit Ewigkeiten nur Pseudoinnovationen zustande bringt wie die Klingen-Inflation von zwei auf fünf oder die Idee, Rasierer pink einzufärben und an Frauen zu verkaufen». Darum appelliert Brönnimann an die Rasierer-Firma: «Liebe Gillette, die meisten Männer haben sich in den letzten Jahren weit mehr entwickelt als Ihr.»

«Gut gemachter Spot tritt Zeitgeist»

Etwas weniger kritisch ist Mateo Sacchetti, der seit Januar als Creative Director bei Rod Kommunikation amtet: «Ein politisches Klima oder ein gesellschaftliches Thema als Werbeanlass zu nutzen, ist völlig legitim, solange es anständig passiert. Das ist hier der Fall.» Wenn Gillette damit ehrlich eine Haltung einnehmen wolle, um mehr Rasierer zu verkaufen: «Bitte schön. Wenn Gillette damit nur mehr Rasierer verkaufen will: auch gut», so Sacchetti.

Er fragt sich aber, wie man sich dermassen über Werbung aufregen kann, «die zu Recht den Zeitgeist aufgreift». «Das ist mir ein Rätsel – zumal der Spot ja gut gemacht ist. Dann den Shitstorm lieber für den nächsten Schrott-Spot aufsparen», so Sacchetti.


Ähnlich schätzt es Frank Bodin ein. Von der Crypto Finance Conference in St. Moritz aus sendet der Präsident des Art Directors Club Schweiz am Mittwoch seine Einschätzung per Smartphone zu persoenlich.com. Diese lautet: «Eine Weltklassekampagne. Weil sie die Marke Gillette fundamental weiterentwickelt und mit einer mutigen Portion Selbstkritik von ihren Klischees befreit. Und das erst noch mit einem aktuellen gesellschaftlichen Dialog.» Bodin ist so begeistert, dass er sogar ein Versprechen macht: «Zur Feier des Tages rasiere ich meinen Dreitagebart. Mit Gillette.»