«Social Buying wird ein grosses Thema werden»

Sinnhafter Konsum - Wie konsumieren Schweizerinnen und Schweizer nach Corona? Markenexperte Klaus Dieter Koch prognostiziert, dass persönliche Kontakte wertvoller werden. Hornbach, Migros, Hiltl, Treca und Betty Bossi zeigten, wie Produkte auf transzendentale Elemente fokussieren können.

von Edith Hollenstein

Herr Koch, pro Haushalt wurden in dieser Krise 1000 Franken pro Monat mehr gespart als zu normalen Zeiten. Ist diese Zurückhaltung «die neue Normalität»?
Man muss unterscheiden in welcher Phase wir sind. In einer ersten Phase, in der wir uns seit etwa zehn Wochen befinden, herrschen nach dem Schock Unsicherheit und Angst vor. Da ist es normal, dass man sein Geld zusammenhält. Die Menschen haben keine Übung darin, mit so umfassenden Einschränkungen umzugehen. Wenn wir nach den Lockerungen in Phase 2 eintreten, werden wir uns mit der neuen Normalität und dem Leben mit einem Virus arrangieren – Anpassungsfähigkeit hat die menschliche Spezies dahin gebracht, wo sie heute ist. Und wir werden uns nach der Isolation und dem ganzen Verzicht belohnen wollen für das, was jeder durchmachen musste.  

Was für eine Art von Selbstbelohnung wird das sein?
Da Reisen, Wellness und soziale Aktivitäten mit Freunden wegfallen, und auch hier Geld zwangsweise angespart wurde, wird diese Selbstbelohnung anders zelebriert und das wird sich wieder in Konsum ausdrücken. In Phase 3, wenn der Abschwung hoffentlich in einen Aufschwung dreht, werden wir also verstärkt konsumieren und Geld ausgeben. Nebst dem Nachholen des Verpassten sehe ich auch Investitionen in Richtung der neuen Normalität, beispielsweise die Aufwertung der Wohnung oder des Hauses, von neuen Möbeln bis zum Garten-Bereich, mehr Unterhaltungselektronik, Verschönerung mit Kunst und Deko-Materialen, aber auch Selbstoptimierung wie Sportgeräte. Man lebt schliesslich nur einmal und das ist uns in den letzten Wochen intensiv bewusst geworden.

Wie wird sich das Konsumverhalten der Menschen verändern?  
Unser Konsum wird lokaler, regionaler, bewusster, nachvollziehbarer und sozialer, das ist in den letzten Monaten klar geworden. Social Buying wird ein grosses Thema werden. Wir sind uns bewusst geworden, dass unsere Kaufentscheidungen auch darüber entscheiden, welcher Anbieter überleben wird. Man wird langfristig verstärkt dort kaufen, wo eine intakte, gut gepflegte Beziehung existiert. Das soziale Element im Offline-Kauf wird eine Renaissance erleben. Jemanden in die Augen sehen zu können und sich persönlich zu unterhalten, bekommt eine neue Qualität, für die man bereit ist, etwas mehr zu bezahlen.

«Keine Marke wird ohne ein transzendentales Element auskommen, das Heilung und Erlösung verspricht»

In Ihrer Studie nennen Sie zudem «mentale Gesundheit», Fokus auf soziale Bindungen oder Transzendenz als künftige Bedürfnisse: Das sind doch Anliegen der Privilegierten.
Nein, überhaupt nicht. Psychische Erkrankungen wie Ess- oder Angststörungen bis hin zu Depressionen und Burnout gehören weltweit und auch in der Schweiz zu den häufigsten Leiden im Erwachsenenalter, das betrifft alle Gesellschaftsschichten. Ebenso das Thema Einsamkeit: Studien aus der Vor-Corona-Zeit zeigen, dass sich in der Schweiz jede dritte Person einsam fühlt. Diese Zahl hat mit der ganzen Isolation bestimmt nicht abgenommen. Und auch das dritte grundlegende Bedürfnis, die Transzendenz, ist sehr verbreitet. Religionen und Philosophie sowie deren literarische Begleiterscheinungen stillen unsere Sehnsucht nach Erlösung – «Das Cafe am Rande der Welt» (Anm. d. Red.: ein Buch über den Sinn des Lebens) stürmte nicht umsonst die Bestsellerlisten. Keine Marke wird in Zukunft mehr ohne ein transzendentales Element auskommen, das Heilung und Erlösung verspricht. Das war schon vor Corona so und wird sich jetzt noch verstärken. Alles beginnt in den Bildungseliten, aber auch Marken aus dem breiten Consumer- , Genussmittel- und Fashionbereich haben diese Technik erkannt und verstehen sie zu nutzen.

Wie ändert sich denn das Verhalten derjenigen fast 2 Millionen Schweizer, die in Kurzarbeit sind oder ihren Job bereits verloren haben?
Man kann die Schweiz nicht mit anderen Ländern vergleichen. Die soziale Gleichheit, das soziale Netz und der Wohlstand generell befinden sich allesamt auf sehr hohem Niveau. Bilder wie aus den USA wird es hier nicht geben. Trotzdem wird es auch hier in Phase 1 und 2 erstmal grosse Unsicherheiten und Rückzugserscheinungen geben, aber spätestens in Phase 3 werden die sehr potenten und gut aufgestellten Unternehmen wieder dringend Fachpersonal oder zuverlässige Hilfen suchen und das Bild wird sich wieder umkehren. Dennoch, etwas bleibt zurück, das ist eine neue Wertschätzung des sozialen, menschlichen Kontakts, der sehr teuer, aber eben auch sehr wichtig und etwas Besonderes ist.

Wann erwarten Sie für die Schweiz die Phase 3? Im Frühling 2021 oder später?
Wann zeitlich gesehen welche Phase eintrifft, kann ich nicht sagen. Denn dies ist eine epidemiologische Frage. Wenn wir auf die aktuelle Entwicklung blicken (Anm. d. Red.: siehe Abbildung unten), befinden wir uns jetzt in der Transitionsphase. Wie lange diese dauert und wie geradlinig sie verläuft, wüssten wir natürlich alle sehr gerne.


Wie können Firmen dieses «Warum» respektive «Search for Meaning» in den Vordergrund rücken?

Indem sie «Meaningful Consumption» anbieten. In Überflussgesellschaften zählt der Sinn und Zweck nun mal mehr als in Mangelmärkten. Die Geschichte um das Produkt herum wird das zentrale Element werden und nicht mehr die Leistung an sich. Innovationen werden sich viel mehr im Einbetten dieser Geschichte in den jeweils vorherrschenden Nährböden ausdrücken, als in neuen Produktefeatures. Der höhere Zweck des eigenen Tuns wird von Mitarbeitern, Intermediären und Kunden immer und ständig überprüft und auf die Probe gestellt. Das wird die neue Differenzierung, die sich nicht durch Werbung vermitteln lässt, sondern Handeln und Tatbeweise erfordert.

«Spätestens in Phase 3 werden die sehr potenten und gut aufgestellten Unternehmen wieder dringend Fachpersonal oder zuverlässige Hilfen suchen»

Gibt es Beispiele?
Meditations-Apps wie Calm oder Headspace sind sehr beliebt und greifen das Bedürfnis nach mentalem Wohlbefinden auf. Besonders viele spannende Beispiele gibt es im Bereich der sozialen Bindungen. Interessant ist da etwa der dänische Supermarkt Jumbo, der besondere «Plauderkassen» für ältere Menschen eingerichtet hat, so dass diese beim Einkaufen auch noch einen kleinen Schwatz abhalten können, ohne sich gestresst zu fühlen von weiteren Kunden.

Und in der Schweiz?
Hier hat sich Corona als guter Nährboden erwiesen, um dem Bedürfnis nach sozialen Bindungen nachzukommen. Hier sticht etwa die reaktivierte Amigos-App der Migros hervor, die innert Kürze Tausende freiwilliger Helferinnen und Helfer versammelt hat, die für Risikopersonen Einkäufe erledigen – selbstverständlich bei der Migros. Betty Bossi stellt kostenlos sämtliche Kochbücher zur Verfügung und der Vegi-Pionier Hiltl macht Kunden per Live-Streaming zu Chefköchinnen und -köchen. All dies sind wirkungsvolle Marken-Rezepte gegen die Einsamkeit und Trostlosigkeit zu Hause. Das Bedürfnis nach Transzendenz nimmt beispielsweise Schweiz Tourismus gekonnt auf mit der Inszenierung des grandiosen Naturerlebnis':

Oder der Baumarkt Hornbach mit der Kampagne «Der Morgen gehört uns»:

Einzigartige «metaphysische» Erlebnisse ermöglicht auch die Uhr-Marke Panerai, die ausgewählte Kunden gemeinsam mit Markenbotschafter Mike Horn in die Arktis schickt, um ihre physischen Grenzen zu testen und den gefährdeten Zustand unseres Ökosystems hautnah mitzuerleben. 

Sie, Herr Koch, sind Partner von BrandTrust. Haben Sie wegen Corona auch bei Ihren Kunden ein verändertes Konsumverhalten festgestellt?
Da sich unsere Kunden stark unterscheiden und in verschiedenen Segmenten tätig sind, kann ich das nicht generell beantworten. Viele haben jetzt endlich Zeit, ihre strategischen Hausaufgaben zu machen, die sie schon lange vor sich hergeschoben haben. Andere erkennen jetzt, dass ihre alten strategischen Pläne nicht mehr taugen und überarbeiten sie um vom Big Shift der von Corona ausgelöst wurde, zu profitieren.

Und in Ihrem eigenen Konsum: Wo sind Sie persönlich sparsamer als früher?
Zwangsweise sparsamer, würde ich sagen, da man wochenlang nur Geld für Lebensmittel ausgeben konnte. Ausserdem gingen einem die Kochrezepte langsam aus, die man so draufhat und man beginnt zu experimentieren. Aber in sehr guten Wein konnte ich dennoch investieren.

 

 




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