«Die NZZ wurde zu einem erotischen Objekt»

NZZ - Der berühmte Schweizer Künstler Urs Fischer hat die NZZ vom Dienstag ganz in Cyan gestaltet. Ausserdem wurden über das gesamte Blatt kleine Zeichnungen verteilt. Feuilletonchef René Scheu über die Aktion.

von Matthias Ackeret

Herr Scheu, was hat Sie bewogen, die gesamte NZZ-Ausgabe in Cyan zu machen?
Wir haben Urs Fischer gebeten, unsere Zeitung künstlerisch zu gestalten. Dabei gewährten wir so viel Freiheit wie möglich – denn auch in der Kunst ist Freiheit essenziell. Urs Fischer ist mit einem Gesamtkonzept auf uns zugekommen, das uns überzeugt hat. Er hat nicht nur seine Kunst dargestellt, sondern die Zeitung selbst zu einem erotischen Objekt gemacht, das besondere Aufmerksamkeit verdient, mitunter durch eigene Farbgestaltung. Das war gewagt, gewiss, aber es war auch schön. Die Idee dahinter: Die Zeitung, die jeden Tag erscheint, ist nichts Selbstverständliches, sondern schon an sich ein kleines Wunderwerk. Und das merkt man erst, wenn alles ein wenig anders daherkommt.

War dies technisch aufwendig?
Klar. Aber wir konnten uns erstens vorbereiten – und zweitens funktionieren wir als Zeitung wie ein Uhrwerk, Rad greift in Rad, Redaktion, Produktion, Verlag, Druck. Alle involvierten Parteien haben wunderbar zusammengearbeitet. Das war ein Sondereffort – aber einer, der sich gelohnt hat.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Urs Fischer, der in den USA lebt?
Easy. Wir haben regelmässig gezoomt. Urs Fischer ist ein lockerer Typ, der vor Ideen sprüht, zugleich ist er super bodenständig. Dabei geht es ihm nicht um den schrillen Auftritt, sondern um die zündende Idee. Urs Fischer wurde selbst mit Printzeitungen in der Schweiz sozialisiert, und er wollte diesem Objekt der Begierde durch seine Gestaltung die Referenz erweisen. Ich finde, das ist ihm gelungen.

«Das Experiment war inspirierend»

Gab es intern Widerstände gegen die Umgestaltung der NZZ?
Nein, im Gegenteil. Das Experiment war inspirierend. Und wenn die Welt digital wird, hat der Print eine besondere Bedeutung. Das wollten wir unterstreichen.

Und wie waren die Reaktionen bei den Leserinnen und Lesern? Fibo Deutsch hat beispielsweise auf Facebook bemängelt, dass das Ganze ein «Unsinn» sei, da man die Texte nicht richtig lesen könne …
Urs Fischer hat Cyan als Farbe gewählt – und zwar eben deshalb, weil sie als gut lesbar gilt. Wir haben das mit Andrucken selbstverständlich auch getestet. Die Anmutung ist gewöhnungsbedürftig – aber sie hat auch ihren Reiz. Die Feedbacks waren mehrheitlich positiv. Apropos: Alle Skulpturen, die Urs Fischer für die NZZ-Edition angefertigt hat – Vöglein mit Ei auf dem Kopf –, sind schon weg. Das NZZ-Publikum ist ja tendenziell zweifellos kunstaffin. Aber natürlich gab's auch einzelne kritische Reaktionen angestammter Leser – wir haben ihnen unsere Ideen und Intentionen erklärt. Auch sie dürfen sich freuen: Schon am Tag darauf ist die Zeitung wieder in bewährtem Schwarz auf Weiss erschienen.

«Ein perfekter Match, wie ich finde»

Urs Fischer ist einer der erfolgreichsten Schweizer Künstler weltweit. Seine Karriere startete er als Kulissenschieber bei TeleZüri, als Türsteher im Kaufleuten und als Partyveranstalter. Wie gelang ihm dieser phänomenale Durchbruch zum Blattmacher der NZZ?
Ein- bis zweimal im Jahr soll ein Künstler oder eine Künstlerin die NZZ gestalten dürfen beziehungsweise können. Unsere Wahl fiel nach Julian Schnabel auf Urs Fischer, weil uns sein vielfältiges Schaffen beeindruckt hat. Was er macht, ist nie 08/15, sondern passt zur neuen Umgebung. Oder in seinen Worten: the context ist the message! Wir haben ihn angefragt, und er hat gleich zugesagt. Ein perfekter Match, wie ich finde.

Wie hat Urs Fischer auf die Zeitung reagiert?
Er hat uns geschrieben, und ja, der Enthusiasmus lässt sich nicht wirklich leugnen. Im Wortlaut: «Bin super glücklich, wie ihr das gemacht habt! Habe gestern in der Druckerei via Zoom die ersten Impressionen bekommen. Freue mich auf ein Exemplar in meinen Händen.» Urs, sei gewiss – es ist unterwegs zu dir nach New York!

Sie erwähnten es: Letztes Jahr war Julian Schnabel NZZ-Macher, jetzt Urs Fischer. Sind bereits nächste Projekte geplant?
Gewiss. Mehr kommunizieren wir aber erst, wenn die nächste Kooperation spruchreif ist. Seien Sie gespannt.