Herr Eisenegger, Frau Schwaiger, das Jahrbuch zeigt, dass sich die Einordnungsleistung innerhalb der Corona-Berichterstattung deutlich verbessert hat: Zahlen und Statistiken werden also im Vergleich zur ersten Corona-Welle von den Medien häufiger eingeordnet. Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Mark Eisenegger: Wir vermuten, dass verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Erstens wurden in der ersten Welle alle, nicht nur die Journalistinnen, vom Tempo der Ereignisse und diesem neuen Thema überrumpelt. Da blieb auch weniger Zeit für Einordnung. Zweitens gibt es wohl Lerneffekte. Journalisten haben im Laufe der Zeit mehr Expertise aufgebaut, zum Beispiel im Datenjournalismus.
Sprechen Sie weiter.
Eisenegger: Drittens hat die Corona-Thematik über die Zeit nicht an Relevanz eingebüsst, jedoch ist die Komplexität gestiegen. Das Thema hat über den ursprünglichen medizinischen Fokus immer weitere gesellschaftliche, zum Beispiel auch wirtschaftliche, Bereiche erfasst. Entsprechend muss man vermuten, dass die Redaktionen und die verschiedenen Ressorts ihre Ressourcen zunehmend auf das Thema konzentriert haben, was sich wohl in erhöhter Einordnung niederschlug.
Das Vertrauen in der Schweiz in die Medien hat zugenommen. Bedeutet dies, dass das Publikum den Schweizer Medien also ein gutes Zeugnis ausstellt über die Corona-Berichterstattung?
Lisa Schwaiger: Das ist empirisch plausibel. Wenn Personen inmitten der Corona-Pandemie befragt werden, was sie von den Medien halten, spielt die Corona-Berichterstattung eine wichtige Rolle. Denn das Corona-Thema war in den Medien nach wie vor omnipräsent. Darüber hinaus macht sich nun auch in der Schweiz eine wachsende Sorge um das Problem der Desinformation bemerkbar.
«Eine auf Diversität ausgerichtete Berichterstattung ist mit Aufwand für den Journalismus verbunden»
Was haben Sie diesbezüglich herausgefunden?
Schwaiger: Unsere Studie zeigt, dass dem professionellen Journalismus in der Wahrnehmung der Bevölkerung eine wichtige Rolle zukommt, Falschnachrichten aufzudecken. Ausserdem stossen Bürgerinnen in professionellen Medien seltener auf Desinformation, zum Beispiel im Vergleich zu Social Media. Auch dies dürfte den Vertrauenszuwachs erklären.
Die Vielfalt an Wissenschaftlern in der Berichterstattung ist jedoch klein, wie Ihre Studien zeigen. Hängt das vielleicht damit zusammen, dass das Publikum sich mehr für Medizinerinnen, Epidemiologen und Virologinnen interessiert? Warum ist diese Vielfalt so wichtig?
Schwaiger: Das Thema Gesundheit hat seit jeher einen ausgesprochen hohen Nachrichtenwert, weil es alle Menschen etwas angeht. Im Zuge der Pandemie hat sich diese unmittelbare Betroffenheit weiter zugespitzt. Allerdings stellen sich nicht erst seit dem Lockdown Fragen, die weit über den medizinischen Bereich hinausreichen. Die mit der Pandemie ebenfalls prominent aufgeworfenen sozialen, wirtschaftlichen, grundrechtlichen oder psychologischen Fragen würden es erfordern, ein deutlich breiteres Spektrum an Experten beizuziehen.
Weibliche Wissenschaftlerinnen bleiben immer noch untervertreten in der Berichterstattung. Warum geht dies so langsam?
Schwaiger: Hierfür gibt es mehrere Gründe. Einerseits dürfte es eine Rolle spielen, dass eine auf Diversität ausgerichtete Berichterstattung mit Aufwand für den Journalismus verbunden ist. Voraussetzung wäre, nicht einfach die immer gleichen, bereits bekannten Experten beizuziehen, sondern das Feld der Expertinnen zu einem Thema zu recherchieren, bevor die Anfrage gestartet wird. Dies verlangt journalistische Ressourcen.
Gibt es weitere Gründe?
Ja, zudem sind Professorinnen an den Hochschulen immer noch deutlich untervertreten. Der Status ist gleichzeitig für viele Journalistinnen ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Experten. Und schliesslich kann auch die Entscheidung von weiblichen Expertinnen, sich öffentlich zu äussern, dadurch gehemmt werden, dass Frauen, insbesondere im digitalen Raum, häufiger von persönlichen Anfeindungen betroffen sind.
«Während der Pandemie wurde der Rückhalt für den professionellen Journalismus in der Bevölkerung gestärkt»
Ebenfalls bei den Akteurinnen der Berichterstattung sind Frauen mit 23 Prozent krass untervertreten. Sie kritisieren, dass besonders bei Texten aus Agenturmeldungen Frauen kaum vorkommen. Ist die Geschlechtergleichstellung bei Keystone-SDA und Co. noch nicht angekommen?
Schwaiger: Dieser Befund bezieht sich nur auf jene Agenturmeldungen, die in den untersuchten journalistischen Medien vorkamen. Auch die erfassten Agenturmeldungen sind also von Auswahlentscheidungen der journalistischen Redaktionen abhängig. Deshalb ist es nicht zulässig, daraus einen generellen Befund zur Informationsleistung von Keystone-SDA abzuleiten.
Sie schreiben, innerhalb der Kulturberichterstattung gebe es eine Verschiebung, sodass Informationsleistungen zunehmend von Verbänden und anderen Interessenvertretern verbreitet werden, da der Kulturjournalismus dies nur noch beschränkt könne. Ist die Lage so schlimm?
Schwaiger: Von einem gravierenden Problem würden wir momentan nicht sprechen. Die Tendenz, dass der Journalismus von einem Ressourcenabbau betroffen ist, während die Organisationen mit Partikulärinteressen ihre Kommunikationsaktivitäten ausbauen, scheint uns aber eindeutig. Davon ist nicht nur der Kulturbereich betroffen, sondern auch andere Bereiche wie die Wirtschafts- oder Wissenschaftsberichterstattung.
Im internationalen Vergleich ist die Akzeptanz für eine direkte Medienförderung in der Schweiz auffallend hoch. Dies war ein weiteres Ergebnis Ihrer Untersuchung. Können Sie sich dies erklären?
Eisenegger: In der Tat befürworten 37 Prozent der Bevölkerung die staatliche Förderung von privaten Medien. Genau gleich viele, nämlich 37 Prozent, sprechen sich aber dagegen aus. Der Rest – 26 Prozent – ist unentschieden. Aber auffallend ist: In der Schweiz gibt es mehr Akzeptanz als in vielen anderen Ländern. Zu den Gründen gibt es keine empirisch abgesicherten Antworten. Eine Rolle dürfte spielen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den professionellen Journalismus in der Schweiz hoch ist. Auch wurde während der Pandemie der Rückhalt für den professionellen Journalismus in der Bevölkerung gestärkt.
«Öffentlich geförderte Medien bieten eine hohe Qualität»
Zum Schluss sprechen Sie sich offen für eine staatliche Förderung der Medien aus: Direkte Medienförderung sei «unerlässlich». Lehnen Sie sich damit in Ihrer Rolle als Wissenschaftler nicht etwas weit aus dem Fenster?
Eisenegger: In der Wissenschaft geht es darum, mit objektiven Methoden nach Ursachen und Wirkungen zu forschen. Wir können empirisch feststellen, dass in der Schweiz öffentlich geförderte Medien eine hohe Qualität anbieten. Wir wissen auch, dass gerade die Abonnementszeitungen, die ebenfalls eine gute Qualität anbieten, grosse finanzielle Schwierigkeiten haben und sich nur noch schlecht über den Markt allein finanzieren können. Und wir wissen auch empirisch, dass in Ländern mit stärkerer Medienförderung wie in Skandinavien die Leute den Medien vertrauen und die Medienfreiheit hoch ist, sprich dass das Modell funktioniert, wenn es bestimmten Grundsätzen folgt.
Sehen Sie mit diesem Modell nicht die Unabhängigkeit des Journalismus gefährdet?
Eisenegger: Natürlich muss sich eine Medienförderung an bestimmten Grundsätzen orientieren, um die Unabhängigkeit des Journalismus zu gewährleisten. Gefördert werden sollen primär journalistische Strukturen. Inhaltliche Leistungskriterien sollen nur sehr allgemein vorgegeben werden, beispielsweise dass ein Angebot hauptsächlich Informationen zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen beinhalten soll.
Sie schreiben, bei der direkten Medienförderung seien auch die Kantone gefordert, aktiv zu werden. Würde mehr Föderalismus dem Journalismus guttun?
Eisenegger: Einige Kantone engagieren sich ja bereits in der Medienförderung. Uns erscheint es sinnvoller, wenn Kantone mit öffentlichen Geldern den Journalismus unterstützen, anstatt mit öffentlichen Geldern eigene Kommunikationsabteilungen aufzubauen, die dann versuchen, Journalistinnen und Journalisten zu beeinflussen. Und klar, eine Mischung von Finanzierungsquellen ist zu begrüssen.
«Für viele Leute ist es unverständlich, warum Medienredaktionen sparen müssen, wenn die Mutterhäuser Gewinn machen»
Sie verweisen in der Studie auf Beispiele von direkter Medienförderung in skandinavischen Ländern. Kann man dies so ohne Weiteres auf die Schweiz anwenden?
Eisenegger: Es gibt wissenschaftlich abgestützte Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und den skandinavischen Ländern. In der Kommunikationswissenschaft werden die Schweiz und die skandinavischen Länder der gleichen Gruppe mit demokratisch-korporatistischem Mediensystem zugeordnet. Es handelt sich um relativ kleine Medienmärkte, private Abonnementszeitungen (online und gedruckt) spielen in der Schweiz wie in skandinavischen Ländern eine grosse Rolle; die Akzeptanz für einen starken öffentlichen Rundfunk ist hoch – ebenso wie das Vertrauen in journalistische Medien generell.
Gegner der direkten Medienförderung argumentieren damit, dass gerade grosse Medienhäuser immer noch grosszügig Dividenden ausschütten – trotz Krise. Würde dieses Geld also nicht einfach in den Taschen der Aktionärinnen landen?
Eisenegger: Es ist tatsächlich für viele Leute unverständlich, warum Medienredaktionen sparen müssen, wenn die Mutterhäuser Gewinn machen. Das Problem ist, dass die Konzerne ihr Geld immer mehr mit anderen Geschäften verdienen und teilweise keine Quersubventionierung der Journalismussparte wollen. Das sehen wir problematisch. Die strikte Trennung von Geschäftsbereichen könnte immerhin dann ein Vorteil sein, wenn damit tatsächlich sichergestellt wird, dass das Fördergeld ausschliesslich dem Journalismus zugutekommt, also zweckgebunden verwendet wird.
Was halten Sie davon, die Serafe-Gebühren auszuweiten?
Eisenegger: Eine substanzielle Erhöhung der Fördersumme im Rahmen der «Radio- und Fernsehabgabe» wäre wünschenswert, ist aber politisch aktuell nicht machbar. Deshalb ist ja der Weg im vorgeschlagenen Mediengesetz, für einen befristeten Zeitraum Onlinemedien direkt aus allgemeinen Bundesmitteln zu unterstützen, mit indirekter Presseförderung die Frühzustellung von Zeitungen zu unterstützen und private Medien an den Einnahmen der Radio- und Fernsehgebühren etwas mehr zu beteiligen. Die nächsten Jahre wird man dafür nutzen müssen, den rechtlichen Rahmen so anzupassen, dass Medien unabhängig von Gattungen gefördert werden können. Denn Gattungsgrenzen lösen sich im digitalen Zeitalter immer mehr auf.
«Rundfunkbeiträge zu reduzieren, wäre kontraproduktiv»
Hinsichtlich einer Initiative gegen die TV- und Radiogebühren schreiben Sie, diese sei «kontraproduktiv». Könnte es nicht sein, dass gerade durch diesen Diskurs über den Sinn der Gebühren diese gestärkt werden?
Eisenegger: Guter Journalismus ist auf Ressourcen angewiesen und gerade die Pandemie hat gezeigt, dass Journalismus unverzichtbar ist. Wir müssen als Gesellschaft ein Interesse daran haben, dass der Journalismus eher mehr Ressourcen hat und sicher nicht weniger. Deshalb sind Bestrebungen, Rundfunkbeiträge zu reduzieren, kontraproduktiv.
Zurück zu meiner Frage.
Eisenegger: Natürlich wäre eine breite Debatte über die Rundfunkgebühren wünschenswert, genauso wie medienpolitische Themen einen grösseren Stellenwert in öffentlichen Diskussionen haben sollten. Eine solche Debatte müsste dann aber auch so ausgestaltet sein, dass Eigeninteressen der Medienhäuser in der Berichterstattung keine Rolle spielen.
Ebenfalls fordern Sie, dass die Schweizer Medienhäuser stärker zusammen gegen die nordamerikanischen Tech-Giganten vorgehen sollen. In der Praxis zeigt sich, dass die Medien untereinander oft zu zerstritten sind. Oder sind sie da optimistischer?
Eisenegger: Natürlich sind Medienorganisationen noch immer Konkurrentinnen in einem kleinen Markt. Wir meinen aber zu beobachten, dass der Konflikt zwischen Medienorganisationen mittlerweile abgenommen hat. Bei allen Differenzen ist das Verständnis gewachsen, dass Kooperation in gewissen Bereichen notwendig ist. Die Schweizer Medienorganisationen sind für sich genommen zu klein. Zusammen können sie zum Beispiel technische Infrastrukturen teilen – darauf zielen ja auch Teile des neuen Mediengesetzes. Und in diesem Infrastruktur-Kontext lässt sich auch die Login-Allianz der Medienhäuser verorten.