29.05.2013

SRF

Erster Medienclub diskutiert über Medien als Terrorhelfer

Blick.ch-Chef Rolf Cavalli rechtfertigt Video-Publikation zum London-Attentäter.
SRF: Erster Medienclub diskutiert über Medien als Terrorhelfer

Sinnvoll ist die Entscheidung, dass das Schweizer Fernsehen mit dem Start des Medienclub zugewartet hat, bis ein wirklich relevantes Medienthema vorliegt, an dem sich die Verantwortung der Medien anschaulich diskutieren lässt. Im Umgang mit dem Attentat von London war diese Voraussetzung zweifelsohne gegeben, denn auch Schweizer Medien hatten die schockierenden Bilder publiziert, allen voran die Gratiszeitung "20 Minuten". Zu sehen war der Täter mit blutverschmierten Händen und Messer. Die Video-Version dieser Tat fand sich auf Blick.ch und 20min.ch und einen kurzen Ausschnitt zeigten sowohl die SRF-Tagessschau als auch 10vor10. Daher stellte der allererste SRF-Medienclub vom Dienstag die berechtigte Frage: "Machen sich die Medien zu Komplizen des Terrors?"

Rolf Cavalli statt Andrea Bleicher
Auch wenn die Diskussion etwas kompliziert und holprig startete, und nach rund einer Dreiviertelstunde die Spannungskurve zwischenzeitlich deutlich abflachte, lohnt es sich die Sendung mitzuverfolgen. Zum Thema "Machen sich die Medien zum Helfer des Terrorismus?" diskutierten unter der Leitung von Gastgeberin Karin Frei der NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler, Journalistik-Professor Vinzenz Wyss, SRF-TV-Chefredaktor Diego Yanez sowie die beiden ständigen Medienclub-Gäste MAZ-Studienleiterin Alexandra Stark und "Schweiz am Sonntag"- Chefredaktor Patrik Müller. Rolf Cavalli komplettierte die Runde. Ursprünglich hatte der "Club" zwar Andrea Bleicher angefragt, doch schliesslich schickte Ringier statt der interimistischen Chefredaktorin den SoBli- und Blick.ch-Chef Cavalli ins Leutschenbach. Der offizielle Grund: "Beim Vorgespräch mit Moderatorin Karin Frei stellte sich heraus, dass wohl primär Online-, Quoten-,  WebTV- sowie Social-Media-Themen angesprochen werden. Deshalb der logische Wechsel zu Blick.ch-Chefredaktor Rolf Cavalli", so Ringier-Mediensprecher Edi Estermann auf Anfrage von persoenlich.com.

Blick will "zeigen, was ist"
"Ob ich damit, was wir vom Blick bringen, den Terrorismus eher beflügeln oder dämmen könnte, darüber habe ich bei der Video-Publikation nicht nachgedacht. Diese Anmassung mache ich nicht", sagt Rolf Cavalli als sich die Diskussion nach einer kurzen Einleitung um die zentrale Frage der Instrumentalisierung drehte. Cavalli findet es richtig, das Video vom Attentäter zu zeigen. Er würde im Nachhinein wieder gleich handeln. "Bei den Bildern vom Attentat von London haben wir auf der Redaktion die Publikation genau abgesprochen. Wir haben das ganze Video gezeigt, weil es den Lesern zumutbar ist".

Auf die Frage nach den Grenzen, sagt er: "Den Vorgang der Tötung mit dem Hackbeil, hätten wir nicht gezeigt." Die Aufgabe des "Blick" sei es, darüber zu berichten, was ist. Unter anderem gehöre bei blick.ch auch Bewegtbild dazu. Cavalli verwies darauf, dass gerade im Online-Journalismus in einem ersten Schritt berichtet werden müsse. Einordnung gebe es auch, jedoch schrittweise und später. "Klar, müssen wir nach dem reinen Berichten auch einordnen und Kontexte herstellen. Dies haben wir getan."

Journalisten brauchen ein Sensorium
Vinzenz Wyss ist ganz anderer Meinung. Der Journalistik-Professor findet, Journalisten sollten wohlüberlegt und verantwortungsvoll entscheiden: "Der Terror lebt von Journalismus, deshalb müssen Journalisten in einem solchen Fall besonders vorsichtig sein, um nicht zum Handlanger der Terroristen zu werden." Er weist auf die Notwendigkeit hin, in Redaktionen Reglemente aufzustellen, die das Verhalten in solchen Situationen vorgeben. MAZ-Studienleiterin Alexandra Stark setzt sich nicht unbedingt für solche Regelwerke ein, sondern vielmehr für praktische Ausbildung: "Journalisten müssen möglichst viele Fälle diskutieren und darüber nachdenken, wie sie bei Problemfällen reagieren würden. Journalisten müssen ein Sensorium für heikle Fälle entwickeln."

SRF diskutierte kontrovers
Diego Yanez spricht von intensiven Gesprächen, die man auf der Redaktion geführt habe. "Wir wollten auf der sicheren Seite sein, daher berichteten wir eher zurückhaltend. Das ganze Video zu zeigen, kam für uns nicht in Frage. Auch wollten wir die ideologische Aussage des Täters nicht weiter verbreiten, das war von Anfang an klar", so Yanez über das Vorgehen der SF-Redaktoren. Nach kontroversen Diskussionen habe man beschlossen, einen ganz kurzen Ausschnitt des Videos zu zeigen, um den Bericht über das Attentat zu illustrieren.

Instrumentalisierung ist kein Thema
Darüber, dass der "Blick" behauptet, sich keiner Instrumentalisierung bewusst zu sein, wundert sich Rainer Stadler: "Ich staune, dass der Blick nicht einmal in Betracht zieht, dass er instrumentalisiert werden könnte!", beanstandet er an die Adresse von Rolf Cavalli. Der Blick.ch-Chef geht jedoch nicht auf diese Provokation ein, sondern bringt das Beispiel der "Tanz dich frei"-Ausschreitungen vom Wochenende in die Diskussion ein. "Dürfen wir solche Bilder nicht mehr transportieren, weil es sonst jugendliche Nachahmungstäter gäbe?", fragt er.

Kritik an "Blicks" Quasi-Vorschau
Moderatorin Frei nimmt "Tanz dich frei" auf und zitiert eine "Blick"-Schlagzeile vom Dienstag: "Gibt’s in Aarau den nächsten Krawall?", titelte damals das Boulevardblatt. Frei fragt: "Überlegen Sie sich, ob und wie Sie mit Ihrer Berichterstattung diese Diskussion anheizen?". "Klar überlege ich mir das", antwortet Cavalli. "Ich finde einfach, im Falle des London-Attentäters den Sprung zum Terrorismus etwas weit hergeholt." Bei SRF sieht man das anders: Yanez gibt sich verständnisvoll, was die Berichterstattung über Ereignissen der Vergangenheit anbelangt. "Wenn in Bern 100 Personen demonstrieren, muss man darüber berichten". Er gibt aber zu bedenken: "Eine Quasi-Vorschau des 'Blick' wie es in Aarau weiter gehen könnte, finde ich sehr problematisch."

Diskussion auf Nebenschauplätzen
Die Frage der Instrumentalisierung beschäftigte den "Club" nicht allzu lang. Leider etwas zu früh gibt Moderatorin Karin Frei auf: "Ich sehe, wir finden hier keine Lösung". Im Anschluss wird die Diskussion zu fachverliebt und sickert auf Nebenschauplätze. Ausschweifend besprochen werden Faktoren wie: Eigenständigkeit im Themen setzen vs. Abschreiben (also Konkurrenz mit anderen News-Websites), Sparmassnahmen in den Medienhäusern, Zeitdruck, Einfluss durch Social-Media, Schwierigkeit der Quellenkritik oder etwa die Ausbildung der Journalisten. Diese Parameter beeinflussen die Arbeit der Journalisten, teilweise sogar stark. Jeder für sich genommen, würde genügend Stoff für eine eigene Sendung liefern.

Ein nächster Medienclub ist angekündigt, hoffentlich kommt er aber nicht erst in zwei Jahren. So lange nämlich hatte es gedauert, bis Roger de Wecks Ankündigung nun endlich zur Umsetzung kam. (eh)

 

 

 



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