Ab kommendem Montag muss Christian Dorer für ein halbes Jahr aussetzen. Am Samstag hat er sich in seinem Newsletter von seinen Leserinnen und Lesern verabschiedet. Formell bleibt er zwar noch Chefredaktor der Blick-Gruppe, übt sein Amt aber nicht aus. Grund für die verordnete Auszeit: Vorwürfe von bevorzugter Behandlung einer bestimmten Mitarbeitenden-Gruppe und eine zu wenig klare Differenzierung von Privat und Geschäft, wie Ringier am vergangenen Mittwoch mitteilte.
Der Tages-Anzeiger sucht nun nach den genauen Gründen für die temporäre Absetzung und bringt etwas Licht in die Angelegenheit. Gemäss Aussagen früherer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgebe sich Christian Dorer gerne mit jungen, gut aussehenden Männern. «Er fördere ihre noch frischen Karrieren, lade sie zum Essen ein, sie gingen mit ihm in die Ferien, er jogge mit ihnen, verschaffe ihnen Artikel auf bevorzugten Zeitungsseiten», zitiert der Tagi die namentlich nicht genannten ehemaligen Ringier-Mitarbeitenden.
Keine Hinweise auf körperliche Übergriffe
Doch reicht das für eine befristete Absetzung, zumal sich die Betroffenen nicht als Opfer sehen und praktisch alle jungen Gesprächspartner gegenüber dem Recherchedesk der Tages-Anzeiger-Redaktion betonen, es habe keine Anzüglichkeiten gegeben? «Die Gespräche des Recherchedesks deuten in keiner Weise auf körperliche Übergriffe hin.»
Zwei Vorwürfe bleiben aber hängen: Christian Dorer habe Privat- und Berufsleben nicht sauber getrennt und Betroffene bezeichnen das Verhalten des Chefredaktors als Machtmissbrauch. Ob das eine vorübergehende Absetzung rechtfertigt, diskutiert der Tagi mit Thomas Geiser, emeritierter Professor für Arbeitsrecht.
Geiser weist darauf hin, dass die Bevorzugung einer Gruppe im Team arbeitsrechtlich nicht a priori ein Problem darstelle. «Es gibt im Arbeitsverhältnis kein Gleichbehandlungsgebot», zitiert der Tages-Anzeiger Geiser. Verboten sei hingegen Diskriminierung, also die schlechte Behandlung von Angestellten. Was das Verhältnis zwischen Dorer und den jüngeren Mitarbeitern angeht, gibt Geiser zu bedenken, dass private Beziehungen zwischen Chefs und Untergebenen strafrechtlich nur relevant seien, «wenn Zwang ins Spiel kommt.»
Klar ist aber auch, dass das Verhalten Dorers die Stimmung auf der Blick-Redaktion negativ beeinflusste. «Es gab Gerede. Und offenbar auch Neid. Und es gibt Frauen, die sich von Dorer zu wenig wahrgenommen fühlten», schreibt der Tages-Anzeiger.
Arbeitsrechtler kritisiert Ringier-Kommunikation
Ob das eine Auszeit rechtfertige, sieht Arbeitsrechtler Geiser kritisch. Die Gefahr sei gross, dass Unternehmen überreagierten bei Missbrauchsvorwürfen. Geiser kritisiert in diesem Zusammenhang die Kommunikation von Ringier. Die Mitteilung des Unternehmens könne den Eindruck erwecken, dass Dorer Untergebene belästigt habe. Falls die Untersuchung zeigen sollte, dass dies nicht zutreffe, sei das vorverurteilend.
Ringier will während Dorers Auszeit den «Meldungen und Beobachtungen nachgehen, sie lückenlos aufklären und aufarbeiten». Gegenüber dem Tages-Anzeiger nahm das Unternehmen keine Stellung. Auch Dorer reagierte nicht auf Anfragen.
In seinem letzten Newsletter vor der Zwangspause zeigt sich der Blick-Chefredaktor zuversichtlich, dass er sein Amt im Herbst wieder antreten wird, wenn er schreibt: «Ich danke fürs Lesen und freue mich aufs nächste Mal.» (nil)