Joel Bedetti hat am 23. Mai den Zürcher Journalistenpreis in der Kategorie Nachwuchs gewonnen. Ausgezeichnet wurde sein Porträt "Der Baron ist mit seinem Latein am Ende", das am 25. Februar 2011 in der "Zürcher Studierendenzeitung" erschienen ist, persoenlich.com berichtete. Im Porträt beschreibt Bedetti das wechselvolle und einzigartige Leben des bayrischen Landadligen, Langzeitstudenten und nunmehrigen Sozialhilfeempfängers Meinhard von Seckendorff, der sein Leben noch in wenigen Zimmern seines Schlosses fristet, die er vor der Zwangsverpfändung retten konnte. Persoenlich.com hat sich mit dem Preisträger unterhalten.

Herr Bedetti, mit Baron Meinhard von Seckendorff haben Sie über einen Menschen geschrieben, der geradezu literarisch anmutet, aber offenbar ganz und gar real existiert und ebenso real 90 Semester an der Uni Zürich studiert hat. Wie sind Sie zu Ihrem Porträtierten gekommen?
Am Anfang stand ein Podiumsgespräch anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Universität Zürich. Meine Eltern haben den Anlass besucht. Da kam die Rede auf die ewigen Studenten. Der damalige Rektor Hans Weder meinte, der Diskurs um die Langzeitstudenten sei völlig übertrieben, gleichwohl erwähnte er den Fall eines Adligen, der schon seit Jahrzehnten an der Uni Zürich studiere und alle paar Semester das Hauptfach wechsle. Meine Eltern haben mir davon erzählt und mich hat die Geschichte von Anfang an interessiert. Ich habe darauf Rektor Weder ein Mail geschrieben, und mich nach dem fraglichen Adligen erkundigt. Der wusste nicht mehr über ihn, als dass er jeweils im Uni-Hauptgebäude sitze und im Rondell seinen Kaffee trinke. Da habe ich mich wiederholt aufgemacht und im Rondell Kaffee getrunken, ohne jedoch eine Person anzutreffen, die meinen Vorstellungen von Baron von Seckendorff entsprochen hätte.
Wie ging es weiter?
Für ein paar Monate habe ich den Baron aufgegeben, bis wir eine spezielle Ausgabe der "Zürcher Studierendenzeitung" (ZS) zum Thema "Uni-Legenden" planten. Da haben wir in der "ZS" einen Aufruf gemacht und den Baron gebeten, sich bei der Redaktion zu melden. Wir schrieben "Gewähren Sie uns bitte eine Audienz" oder so ähnlich. Darauf haben sich ehemalige Studienkollegen aus dem Bereich der kauzigen, ewigen Studenten gemeldet, die sich an den Baron Meinhard von Seckendorff erinnerten. So habe ich seinen Namen und sein Studienfach erfahren. Ich habe mich dann im Umfeld des Philologischen Seminars ein wenig kundig gemacht. Man sagte mir, der Adlige besitze ein Schloss, lebe die meiste Zeit jedoch im Hotel Montana in Zürich. Dort wiederum liess man mich wissen, dass der Baron schon vor Monaten verreist sei und man von ihm keine Nachricht habe.

Im deutschen Telefonbuch habe ich den Baron dann aber einfach gefunden und ihn angerufen. Der Baron war am Hörer grauenhaft in Rage er befand sich gerade in der Situation, dass Teile seiner Möbel abtransportiert und zwangsverkauft wurden. Wütend schilderte er mir den Vorgang. Ich fragte ihn, ob ich ein Porträt über ihn schreiben dürfe. Ich befürchtete, er würde mir angesichts seiner misslichen Lage eine Absage erteilen. Aber er willigte begeistert ein. So hat es sich ergeben, dass ich für drei Tage nach Obernzenn, in Nordbayern, gereist bin, um den Baron zu porträtieren.
Von Seckendorff scheint sehr exhibitionistisch veranlagt zu sein, hatten Sie Angst, mit dem Porträt die Offenherzigkeit des Mannes auszunutzen?
Ja, diese Angst war tatsächlich vorhanden. Es war mir wichtig, den Baron nicht lächerlich oder zur Witzfigur zu machen. Ich versuchte deshalb beim Schreiben die Entstehung eines solchen Eindrucks unbedingt zu vermeiden. Die Leute, denen ich das Porträt zum Gegenlesen gab, fanden den Text gut und bestätigten, dass sie meine Sympathie für den Baron klar aus dem Text gelesen hätten. Er lebt alleine in einer hundstraurigen Pampa. Dies zwar selbstverschuldet gleichwohl tat er mir leid. Dieses Mitgefühl war wohl entscheidend, dass der Text nicht die Wirkung einer Zurschaustellung hat. Der Baron hat meine Sympathie gewonnen, obwohl er ein verschrobener Kerl ist.
Wie war das Feedback des Porträtierten Meinhard von Seckendorff?
Das Feedback war gut, er hatte Freude an der Geschichte. Ein paar Jahreszahlen waren noch durcheinander geraten, die hat er korrigiert. Ein paar Briefe von Verehrerinnen hat er auf die Veröffentlichung des Porträts auch erhalten.
Die haben sein beklagtes Beziehungsleben wieder ein bisschen aufgemöbelt.
Ja, genau.
Susan Boos hielt die Lauditio auf Ihren Text und deklarierte ihn als "mit leichter Hand hingeworfen". Ist das zutreffend?
Das war natürlich das Ziel. Aber wie das halt immer so ist bei Dingen, die wirken, als seien sie mit leichter Hand hingeworfen, steckte auch in diesem Text viel Arbeit. Ich habe sicher zehn Tage lang voll daran geschrieben und den Text von 50'000 Zeichen auf die Hälfte gekürzt. Ich habe ihn Kollegen mehrmals zum Gegenlesen geschickt und viele Male überarbeitet. Es war also harte Arbeit.
Nach der Matura haben Sie für eine christliche Wochenzeitschrift, in Lokalblättern und bei der Studentenzeitung geschrieben. Man hat das Gefühl, Sie wollten auf Teufel komm raus Journalist werden. Sind Sie vom Beruf des Journalisten nach wie vor so begeistert?
Ja, ich wollte von Anfang an Journalist werden, und habe dieses Ziel ziemlich konsequent verfolgt, seit ich mit dem Gymi fertig bin. Heute bin ich nicht mehr ganz so begeistert, wie ich das in meiner journalistischen Anfangsphase bei der "ZS" war. Die "ZS" war wie ein Sandkasten, in dem ich mich völlig verwirklichen konnte. Beim kommerziellen Journalismus, in dem ich längerfristig überleben möchte, handelt es sich aber immer noch um meinen Wunschjob. Trotzdem merkt man natürlich, dass nicht alles goldig ist, dass man nicht ständig seine Traum-Artikel schreiben kann.
Die Realität der täglichen Berichterstattung gestaltet sich nach einer spannenden Reportage also besonders ernüchternd.
Ja, so empfinde ich das schon.
Sie stehen kurz vor den Lizentiatsprüfungen und machen momentan eine Vertretung in der Inlandredaktion der "NZZ". Was sind Ihre Ziele, wo möchten Sie in zehn Jahren sein?
Das habe ich mir so noch nie überlegt. Mit ein paar Kollegen habe ich das Reporter-Kollektiv Also gegründet. Unsere Vorstellung ist es, als freie Reporter unsere Geschichten zu machen. Wir treffen uns regelmässig, schreiben Reportagen, stellen sie auf unsere Homepage und versuchen sie den wenigen Medien, die noch Reportagen veröffentlichen, zu verkaufen. Ich stehe dem Unterfangen aber auch mit Skepsis gegenüber, denn ich sehe, wie viel Arbeit hinter einer Reportage steckt und wie wenig man an ihr verdienen kann.
Sie haben mit Baron von Seckendorff einen hervorragenden Stoff für eine Reportage gefunden. Kann man eine solche Stoff-Findung provozieren?
Man kann sie sich erarbeiten. Klar, war es einerseits Zufall, dass ich vom Baron erfahren habe, andererseits liegt es aber doch auch daran, dass ich mit offenen Augen und Ohren durch die Uni gegangen bin. Ich habe immer überlegt, was eine interessante Geschichte sein könnte. Wenn dieser Fokus da ist, erkennt man Geschichten und sie springen einen an.
Können Sie jungen Leuten, die in den Journalismus wollen, einen Tipp geben?
Ich empfehle, am Anfang eine Position zu suchen, in der man sich austoben kann und keine Texte nach Mass abliefern muss auch wenn diese unbezahlt ist. Denn erst, wenn man sich in verschiedenen Textsorten versucht, merkt man, was man am besten kann und am liebsten macht.
Der prämierte Text ist unter reporterkollektiv.ch verfügbar.
Interview: Benedict Neff, Bilder: reporterkollektiv.ch