Frau Weiss*, viele Menschen meiden das Thema Klimawandel. Sind wir klimamüde?
In den Anfangsjahren war die Klimaberichterstattung vor allem eine Krisenberichterstattung. Der Fokus lag auf dem extremen Wetter als Folgeerscheinung des Klimawandels. Es ist bekannt, dass viele Menschen negative Nachrichten bewusst nicht konsumieren. Dass wir heute verschiedene Krisen gleichzeitig erleben, überfordert viele von uns und löst bei ihnen eine Ohnmacht aus. Weil sie das Gefühl haben, nichts gegen die Klimakrise tun zu können, beschäftigen sie sich erst gar nicht mit dem Thema.
Ist die Berichterstattung zum Klima zu alarmistisch?
Wir können die negativen Folgen des Klimawandels nicht ausblenden. Es ist wichtig, die Dimension des Problems aufzuzeigen und Politikern, die für den Klimaschutz etwas tun können, auf die Finger zu schauen. Konstruktive Lösungsansätze oder Handlungsmöglichkeiten sind aber genauso wichtig. Als Klimajournalistinnen ist es unsere Aufgabe, Leserinnen, Hörer und Zuschauerinnen nicht nur zu warnen, sondern ihnen auch aufzuzeigen, was sie persönlich für den Klimaschutz tun können.
Fehlen in der Berichterstattung zum Klima kritische Stimmen zu extremen Tendenzen innerhalb der Klimabewegung?
Ich sehe viele verschiedene Perspektiven und Stimmen zur jüngsten Welle der Klimaproteste in den Medien. Ich persönlich vermisse jedoch Diskussionen darüber, was uns die Wissenschaft darüber sagen kann, ob die extremen Protestaktionen der Klimabewegung helfen oder schaden. Journalisten und ihre Interviewpartner scheinen sich nicht vor Meinungen zu scheuen, aber nur sehr wenige Berichte setzen sich mit den Erkenntnissen aus veröffentlichten Studien und Umfragen auseinander.
«Wir haben Klimaleugner zu lange zu Wort kommen lassen»
Sollten Medien Klimaleugnerinnen zu Wort kommen lassen?
Wir haben Klimaleugner zu lange zu Wort kommen lassen. Dass Journalistinnen und Journalisten bestrebt waren, beide Seiten gleichwertig darzustellen, hat zu einer «false balance», also einer «falschen Ausgewogenheit» geführt. Studien haben gezeigt, dass eine solche Berichterstattung die Fähigkeit der Öffentlichkeit beeinträchtigen kann, Fakten von Fiktion zu unterscheiden, und bewirken kann, dass das Publikum den wissenschaftlichen Konsens über drängende gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel anzweifelt. Die wissenschaftlichen Fakten sind klar. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel menschengemacht ist oder nicht, sondern was wir gegen den Klimawandel unternehmen können. Es ist wichtig, zu diesen Fragen Personen zu Wort kommen zu lassen, die eine unterschiedliche Vorstellung darüber haben, welche Lösungen zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen und welche Schritte zur Anpassung an den Klimawandel die richtigen sind.
Medienschaffenden, die über die Klimakrise berichten, wird zuweilen vorgeworfen, dass sie Aktivismus betreiben. Die NZZ beispielsweise warnt in einigen Kommentaren zur Klimaberichterstattung davor, dass ein Mangel an Distanz die journalistische Glaubwürdigkeit untergrabe. Ist dieser Vorwurf berechtigt?
Die Wissenschaft ist eindeutig. Der Klimawandel wirkt sich bereits auf Menschen aus und könnte irreversible Schäden verursachen. Niemand hinterfragt es, wenn Journalisten sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Warum sollen wir uns also nicht dafür stark machen, dass unsere Lebensgrundlage erhalten bleibt?
Ist es in Ordnung, wenn Journalistinnen und Journalisten an Klimademos teilnehmen oder Mitglied einer Organisation sind, die sich für den Klimaschutz engagiert?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber wenn man aktivistisch unterwegs ist, sollte man das transparent machen und das eigene Publikum darüber informieren.
«Es ist wichtig, den Menschen ins Zentrum der Geschichte zu rücken»
Was machen Journalistinnen und Journalisten bei der Berichterstattung zu Klimathemen falsch?
Ich höre immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, dass ihre Klimageschichten nicht so erfolgreich sind, wie sie sich das erhofft hätten. Man muss sich die Frage stellen, warum das so ist. Liegt es daran, dass die Geschichte zu trocken aufbereitet wurde? Kann es sein, dass sie zu negativ konnotiert ist? Es ist auch wichtig darüber zu diskutieren, wie wir die Komplexität der Klimakrise verständlich darstellen können.
Ja, wie denn?
Es ist wichtig, den Menschen ins Zentrum der Geschichte zu rücken, damit sich Lesende, Zuschauende und Zuhörende mit dem Thema besser identifizieren können. Es ist oft die Rede von den kommenden Generationen, die unter dem Klimawandel leiden werden. Aber er wirkt sich ja schon heute auf uns aus. Auch bei der Bildsprache sollten wir uns mehr Gedanken machen. Vielleicht sind Bilder wie das von einem vereinsamten Eisbären auf einer Eisscholle zu abstrakt und deshalb nicht die richtige Wahl. Autorinnen müssen sich gemeinsam mit Bildredaktoren überlegen, welche Narrative, welche Sprache und welche Formate geeignet sind. Das sind die inhaltlichen Herausforderungen. Es gibt aber auch strukturelle Probleme.
Und die wären?
Im Vergleich zu anderen Themen bekommen wissenschaftliche, darunter zur Klimakrise, auch innerhalb der Redaktion weniger Aufmerksamkeit. Wissenschaftsredaktorinnen und -redaktoren erzählen mir oft, dass ihre Geschichten nicht oder nur selten auf der Titelseite landen. Sie müssen sich sehr anstrengen, damit ihr Artikel prominenter platziert wird, wenn sie ihn ausserhalb von einem Grossanlass wie der jährlichen Weltklimakonferenz veröffentlichen wollen.
Medienschaffende nutzen verschiedene Begriffe, um das Phänomen zu beschreiben: Klimawandel, Klimaerwärmung, Klimakrise oder globale Erhitzung. Ist es angemessen, die Begriffe als Synonyme zu verwenden? Braucht es gar einheitliche Standards bei den Begrifflichkeiten?
Die Begriffe sind tatsächlich unterschiedlich konnotiert. Der Begriff «Klimakrise» zum Beispiel legt nahe, dass das Phänomen vom Menschen verursacht worden ist, und unterstreicht damit die Dringlichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. «Klimawandel» dagegen ist passiver. Ich finde nicht, dass wir uns auf einen Begriff festlegen müssen. Wir sollten aber darüber diskutieren, was die einzelnen Begriffe bedeuten und was sie beim Publikum auslösen. Das würde auch die Arbeit zwischen den Ressorts auf den Redaktionen vereinfachen.
«Die Idee ein eigenes Klimaressort zu schaffen, könnte auf Widerstand stossen»
Wie sollte die Arbeit zum Klimajournalismus auf den Redaktionen organisiert sein? Braucht es ein eigenes Klimaressort?
Viele Medienhäuser haben Wissenschaftsredaktorinnen oder sogar Wissenschaftsressorts, die sich schon lange mit dem Klimawandel beschäftigen. Die Idee ein eigenes Klimaressort zu schaffen, könnte auf manchen Redaktionen auf Widerstand stossen. In erster Linie sollte die Zusammenarbeit innerhalb der Redaktionen verbessert werden. Redaktoren aus Ressorts wie Sport, Wirtschaft und Kultur sollten sich mit ihren Kolleginnen aus dem Wissenschaftsressort zu Umwelt- und Klimathemen austauschen und gemeinsam an Geschichten arbeiten. Eine solche ressortübergreifende Zusammenarbeit habe ich selbst während der Coronapandemie erlebt. Erst in einem nächsten Schritt sollte man sich überlegen, ob es notwendig ist, ein neues Ressort zu schaffen.
Gibt es genug Fachwissen zu Umwelt- und Klimathemen auf den Redaktionen?
Es braucht sicher mehr Fachkompetenz. Und zwar in allen Ressorts. Der Klimawandel ist ja kein rein wissenschaftliches oder politisches Thema. Er berührt alle Aspekte unseres Lebens und sollte daher auch in Geschichten über Sport, Kunst, Reisen oder Ernährung berücksichtigt werden.
Und wie können sich Journalistinnen und Journalisten ohne einen wissenschaftlichen Hintergrund das Fachwissen aneignen?
Das Netzwerk Klimajournalismus Schweiz zum Beispiel, das ich mitbegründet habe, bietet Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit, mit Fachleuten aus Journalismus, Wissenschaft und Politik die neuesten Erkenntnisse und Lösungen zur Bewältigung der Klimakrise zu diskutieren. Das Ziel ist auch, dass die Mitglieder und Teilnehmenden das Wissen an ihre Kolleginnen und Kollegen weitergeben. Redaktionen sollten sich auch überlegen, ihre Journalistinnen und Journalisten an Vorträge und Workshops zu schicken oder selbst Inhouse-Schulungen zu organisieren.
Wie gross ist das Interesse an Klimathemen unter Medienschaffenden?
Das Interesse ist gross. In den letzten paar Monaten haben wir viele neue Mitglieder dazugewonnen, darunter Datenjournalisten, Fotografen und Filmemacher, Umweltjournalisten. Was uns besonders freut ist, dass sich immer mehr Journalistinnen und Journalisten für den Klimawandel interessieren, die bisher nicht viel mit dem Thema zu tun hatten.
*Sabrina Weiss ist Journalistin und Autorin in Zürich, mit den Schwerpunkten Wissenschaft, Umwelt und Gesundheit. Sie schreibt auf Deutsch und auf Englisch. Ihre Arbeiten sind unter anderem in der Neuen Zürcher Zeitung, Republik, Wired und National Geographic erschienen. Weiss ist Mitgründerin des Netzwerks Klimajournalismus Schweiz. An dem am Donnerstag stattfindenden Journalismustag in Winterthur hält sie eine Keynote mit dem Titel «Eine Prognose für den Klimajournalismus».