Seit Eric Gujer als Chefredaktor der NZZ übernommen hat, wird in der Schweiz über den Kurswechsel bei der «alten Tante» diskutiert. Jetzt wird das auch in deutschen Medien zum Thema. In einem Beitrag des Norddeutschen Rundfunks NDR wird die neue Tonlage als «Rechtspopulismus im intellektuellen Gewand» bezeichnet.
Die Aufmerksamkeit der deutschen Medien lässt sich wohl auch durch die Beliebtheit der NZZ in AfD-nahen Kreisen erklären. Eine Studie des Forschungsinstituts für Öffentlichkeit und Gesellchaft zeigte in einer Twitteranalyse, dass Rechtskonservative in Deutschland gerne NZZ-Artikel teilen. Die Schweizer Zeitung wird in diesen Kreisen auch mit dem Westfernsehen für die DDR verglichen – das damals für viele als einzige vertrauenswürdige Informationsquelle galt.
Liebe Bertelsmannstiftung, die DDR hatte das Westfernsehen, wir haben zum Glück die Schweizer Medien!https://t.co/58lpUsq0oA
— IQ_Stimulator (@IQ_Stimulator) 3. September 2017
MERKEL MUSS WEG!
— AfD Hzgt. Lauenburg (@AfD_RZ) 1. März 2018
Das ist kein Propagandaschrei politischer Kontrahenten, sondern eine wohlbegründete Forderung... https://t.co/F7HUgOVPqQ
Im Beitrag von NDR kommen nebst der ehemaligen NZZ-Redaktorin Sieglinde Geisel, die nach 20 Jahren gekündigt hat, auch Chefredaktor Eric Gujer, Kritiker Kaspar Surber von der «Wochenzeitung», aber auch Ringier-Kolumnist Frank A. Meyer zu Wort. Meyer hatte die NZZ in seiner «SonntagsBlick»-Kolumne immer wieder angegriffen, im NDR-Beitrag verteidigt er die «alte Tante» und lobt sie zur grossen Überraschung für ihre liberale Haltung.
Auf den Vorwurf des Kulturbruchs und des Rechtsrutschs entgegnet Gujer gegenüber NDR: «Ich mische mich in journalistische Diskussionen ein, das führt zu Meinungsverschiedenheiten.» Die politische Ausrichtung habe sich nicht geändert, eher habe die NZZ das publizistische Profil im Sinne des in den Statuten festgelegten bürgerlich-liberalen Kurses geschärft, so Gujer weiter.
WOZ-Redaktor Surber, der im vergangenen Oktober den vielbeachteten Artikel «Die Angst geht um an der Falkenstrasse» verfasst hat, sieht dies anders. Seiner Meinung nach ist es Strategie der NZZ, mit einem akzentuierten Rechtskurs in einer ökonomisch schwierigen Situation mehr Leser zu erreichen. Auch in Deutschland: «Die NZZ versucht in das freie Feld rechts der FAZ zu gelangen», so Surber zu NDR. (maw/ma)