08.03.2023

#MediaToo

«Mir geht es um Fakten und um Gerechtigkeit»

Der Radio-1-Chef Roger Schawinski verteidigt im Interview sein ausführliches Gespräch mit dem ehemaligen Magazin-Chef Finn Canonica – und nimmt Stellung zum NZZ-Vorwurf, zu zahm gefragt zu haben.
#MediaToo: «Mir geht es um Fakten und um Gerechtigkeit»
Sein Interview mit Finn Canonica wirft Wellen. (Bild: Keystone/Urs Flüeler)
von Matthias Ackeret

Herr Schawinski, wie war die Resonanz auf das Interview mit Finn Canonica auf Radio 1?
Die Resonanz ist gewaltig, mit unglaublich vielen Rückmeldungen. Ich fand es mutig, dass sich Finn meinen Fragen gestellt hat. Und ich empfand ihn als authentisch, reflektiert und gleichzeitig extrem betroffen über die ganze Affäre, vor allem über den Gastbeitrag von Anuschka Roshani im Spiegel.

Die NZZ wirft Ihnen vor, Sie seien Canonica gegenüber zu zurückhaltend gewesen für Ihre Verhältnisse und ihm kaum ins Wort gefallen. Stimmt dieser Eindruck aus Ihrer Warte?
Ich glaube, da bezieht man sich vor allem auf ein altes Image von mir und stützt sich nicht auf Sendungen der jüngsten Zeit. Zudem war es eine ganz spezielle Sendung, wie man sie in den letzten Jahren wohl auf keinem anderen Sender hören konnte.

Ihr Gespräch war sein erster öffentlicher Auftritt seit dem berühmten Spiegel-Artikel seiner ehemaligen Arbeitskollegin Anuschka Roshani. Benötigten Sie viel Überzeugungsarbeit, um ihn in die Sendung zu bekommen?
Finn hat mitbekommen, dass ich als erster Teile des Untersuchungsberichts veröffentlicht habe, der ihn weitgehend entlastet. Das hat ihn wohl überzeugt. Gekannt haben wir uns bisher kaum.


«Ich habe Aspekte, die sich aufs Hörensagen beziehen, gänzlich ausgelassen.»


Gab es Tabuthemen?
Nur solche, welche justiziable Themen berührt hätten.

Die NZZ bemängelt, dass Sie einige Vorwürfe aus dem Roshani-Artikel, wie die von Canonica angedichteten Affären oder die Verhöhnung als sexuell vernachlässigte Frau in Ihrem Gespräch weggelassen hätten. War dies Absicht?
Ich habe Aspekte, die sich aufs Hörensagen beziehen, gänzlich ausgelassen. Da steht wohl Aussage gegen Aussage. In einer Sendung liesse sich das nicht überprüfen.

Nachgefragt: Sie haben ja ein Gespür für prägnante Fragen. Canonicas Stellungnahme zu diesen Vorwürfen hätte die Hörerinnen und Hörer sicherlich interessiert. War es Ihnen am Ende zu peinlich?
Im Bericht von «Schweizer Journalist:in» berichten aktuelle Redaktionsmitglieder, dass die beiden, die sich seit zwanzig Jahren kennen, oftmals miteinander gefrotzelt haben. Das heisst, gewisse Aussagen sind nicht zum Nennwert zu nehmen, sondern waren eher scherzhaft gemeint, was beide Seiten wussten. Finn Canonica hat in einem Brief an seine Freunde erwähnt, dass Anuschka Roshani auch Witze über Juden gemacht habe. Auch darauf bin ich bewusst nicht eingegangen. Ich bedaure aber, dass ich einen wichtigen Aspekt in der Sendung unerwähnt gelassen habe, nämlich, dass sich Anuschka Roshani 2020 schriftlich beim Verleger Pietro Supino gemeldet hat, um den Job ihres Chefs, Finn Canonica, zu bekommen, weil sie für diese Aufgabe besser geeignet sei.


«Ich bekomme Reaktionen von Freunden aus Deutschland, die mich fragen, was denn in Zürich los sei.»


Bemerkenswert ist, dass sich der Tages-Anzeiger lediglich einmal zur ganzen Affäre geäussert hat. Gab es Reaktionen auf Ihr Interview aus dem Hause Tamedia?
Ich empfinde die Haltung der angeblich so rechercheorientierten Tagi-Redaktion je länger desto unerträglicher. Die NZZ hat am Montag ausführlich über die Sendung berichtet und erwähnt, dass sich der Fall nun viel komplizierter darstelle als bisher. Trotzdem ist man nicht ganz vom früheren Narrativ abgewichen, was offenbar besonders schwierig ist, weil man sich auch von der aktuell alles überstrahlenden MeToo-Diktion teilweise hätte distanzieren müssen. So verweist man in der Charakterisierung von Finn Canonica nochmals allein auf kritische Aussagen von Mitarbeitern im Magazin aus dem Jahr 2014. Hingegen geht man mit keinem Wort auf die exklusiven Recherchen von Schweizer Journalist:in bei der aktuellen Redaktion ein, die ein sehr positives Bild von Canonica belegen. Auch die in der Sendung präsentierte Aussage von Arthur Rutishauser, der seit 2017 der Vorgesetzte von Canonica gewesen ist, der erklärt hat, dass er in der ganzen Zeit keine einzige Klage erhalten habe, bleibt unerwähnt.

Was motiviert Sie eigentlich, sich in diesem Fall so zu engagieren?
Mir geht es um Fakten, um Gerechtigkeit und um Hintergründe. Es ist eine Affäre mit internationaler Ausstrahlung. Ich bekomme Reaktionen von Freunden aus Deutschland, die mich fragen, was denn in Zürich los sei. Als Journalist fühle ich mich gefordert, dies so akribisch wie möglich herauszufinden.

Sie waren einige Jahre Verwaltungsrat bei Kein & Aber, dem Verlag von Anuschka Roshanis Mann. Ist dies nun eine Reaktion auf Ihre frühere Tätigkeit?
Natürlich weiss ich dadurch etwas mehr als andere. So hat mir Verleger Peter Haag schon vor Jahren von der Hakenkreuz-Geschichte erzählt. Und Anuschka hat mir ihr neues Buch über ihre LSD-Erfahrungen zugeschickt, damit ich sie in eine Sendung einlade.

Wie geht es nun weiter in diesem Fall?
Ich hoffe, dass die Gerichte entscheiden. Vor allem in Deutschland gegen den Spiegel, der sich mit dem «Gastbeitrag» einen enormen Fauxpas geleistet hat, wie er während der Amtszeit von Stefan Aust, meinem langjährigen Bekannten aus Berliner Zeiten, dem letzten grossen Chefredaktor des Spiegels, mit Sicherheit nie passiert wäre.



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Kommentare

  • Peter Martin, 07.03.2023 15:14 Uhr
    Schawi wird zum Softi. Das war "Kuschelrock", wie es sonst nur Gredig produziert.
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