20.06.2000

Neue Auflagen für die Auflagen

Presseerzeugnisse müssen von der Post zu reduzierten Tarifen versandt werden. Nachdem es immer wieder vorgekommen ist, dass Verlage bei der Auflagenangabe grosses Phantasiepotenzial entfaltet haben, hat die Post ein Reglement erlassen, das nur noch Titel begünstigt, deren Auflage beglaubigt worden ist. Ein harter Brocken für die WEMF, die nun plötzlich statt wie bisher 650 2500 Titel unter die Lupe nehmen muss. Projektleiterin Christel Plöger berichtet über ihre Erfahrungen.
Neue Auflagen für die Auflagen

Frau Plöger, Sie haben bei der WEMF mehrere neue Mitarbeiter eingestellt, was hat dieses Bedürfnis nach zusätzlichen Kräften ausgelöst?

Weil die WEMF bedeutend mehr Auflagen beglaubigen muss. Aber ich bin froh, dass es uns gelungen ist, mit Verena Stappung, Roland Achermann und Rolf Schwarz sowie Jean-François Vergain in der Romandie so ausgezeichnete Kräfte gefunden zu haben.

Warum wollen denn plötzlich alle Verlage ihre Produkte beglaubigen lassen?

Seit dem 1. Januar 2000 gilt die reduzierte Posttaxe nur noch für beglaubigte Titel. Wobei die Verlage die Möglichkeit haben, ihre Auflage bei der WEMF oder bei einem Notar beglaubigen zu lassen.

Wie viele Titel müssen denn jetzt beglaubigt werden?

Vorher waren es rund 650 Zeitschriften und Zeitungen, die eine Beglaubigung wollten, neu sind es jetzt 2500. Und das ist natürlich nicht mehr von einer Person alleine zu bewältigen.

Geschieht die Beglaubigung nach denselben Kriterien wie bisher?

Ja, wobei es eine neue Kategorie gibt: die Mitgliedschaftspresse, welche als abonnierte Presse an Mitglieder verteilt wird. Beispiele dafür sind die "Coop-Zeitung" ("Cooperation") und der "Brückenbauer" ("Construire") der Migros.

Die waren vorher gar nicht beglaubigt?

Doch schon, aber unter dem Begriff Kundenzeitung. Unser Reglement machte eine andere Beglaubigung nicht möglich.

Dann hat man also das Reglement geändert?

Richtig, wir haben im Beglaubigungsreglement die Kategorie "Mitgliedschaftspresse" eingeführt. Die erwähnten Blätter erscheinen nicht mehr unter "Kundenzeitungen" mit dem Prädikat "gratis", sondern sie erscheinen in der Kolonne der "Mitgliedschaftspresse".

Gibt es für diese Publikationen ein vereinfachtes Beglaubigungsverfahren?

Es gibt eine vereinfachte Beglaubigung für Titel von Vereinen und anderen Körperschaften, die zwischen 1000 und 3000 Exemplare aufweisen. Wenn uns diese Organisationen ihre Statuten und die Mitgliederliste, den letzten GV-Bericht sowie die letzte Jahresabrechnung zustellen, dann erhalten sie eine Beglaubigung für 400 Franken (plus MwSt).

Die WEMF stattet diesen Herausgebern auch keinen Besuch ab?

Nein, die Beglaubigung geschieht aufgrund der zugestellten Fakten. Die Titel werden aber auch nicht im Berichtsband veröffentlicht. Sie tauchen nur in einer Liste der Post auf.

Wie viele Publikationen sind das denn?

In diese Kategorie gehören etwa 400 Titel.

Es bleiben also immer noch 2100, die nach dem traditionellen Prozedere beglaubigt werden. Bis wann muss denn diese Arbeit erledigt sein?

Bis zum 31. März 2001 muss alles über die Bühne gegangen sein.

Habt ihr irgendwelche Prioritäten?

Diejenigen Titel, die wir bereits vorher regelmässig beglaubigt haben, geniessen Vorrang, immerhin müssen deren Auflagen im Bulletin veröffentlicht werden.

Wie waren die Reaktionen der Verlage?

Es gibt schon solche, die verärgert sind und nicht einsehen, warum sie jetzt plötzlich beglaubigen sollen. Gelegentlich tun diese ihren Unmut am Telefon kund.

Was ist der Grund, weshalb die Post plötzlich eine Beglaubigung verlangt?

Es gibt eine Bestimmung, wonach die Post Publikationen, die im allgemeinen Interesse stehen, zu reduziertem Tarif transportieren muss. Es ist vor allem bei Fachzeitschriften Schindluder damit getrieben worden. Einige haben, um Taxen zu sparen, die gesamte Auflage inklusive Belegexemplare und Gratisversand zum reduzierten Tarif aufgegeben. Und die Post konnte nichts dagegen unternehmen, obschon alle wussten, dass die Abo-Zahlen nicht stimmen konnten.

Warum macht eigentlich die WEMF die Beglaubigung und nicht die Post?

Sie kamen auf uns zu, weil wir schon seit über 30 Jahren Auflagen geprüft und beglaubigt haben und deshalb über das entsprechende Know-how verfügen. Die Post müsste einen Apparat wie die WEMF aufbauen.

Sie haben eingangs erwähnt, dass man die Beglaubigung auch notariell durchführen kann. Warum das?

Die Post konnte das Monopol der Beglaubigung nicht der WEMF zuweisen, deshalb ist diese Möglichkeit offengelassen worden.

Und diese Beglaubigung geschieht gleich wie die durch die WEMF?

Nein, ein Verlag kann beim Notar eine Tagesauflage beglaubigen lassen.

Und das ist nicht im Sinne der Post?

Kaum, die Post hat eigentlich erwartet, dass die Beglaubigung bei einem Notar nach denselben Vorgaben erstellt wird wie bei der WEMF. Dabei wissen die Notare gar nicht, wie so was vor sich geht und worauf man achten muss. Bisher hat sich auch kein Notar bei uns erkundigt, wie man so was macht.

Dann wird die Post wohl früher oder später auf die WEMF zukommen und eine neue Beglaubigung für die Titel verlangen, die von einem Notar bearbeitet worden sind?

Das könnte durchaus der Fall sein, denn wir errechnen ja den Durchschnitt eines Kalenderjahres und registrieren nicht bloss eine Tagesauflage. Der Notar kann also höchstens neben der Druckmaschine stehen und zählen, wie viele Exemplare an diesem Tag gedruckt werden.

Es könnte also theoretisch so sein, dass ein Verleger am Tag X, an welchem der Notar erscheint, einige tausend Exemplare mehr drucken lässt?

Genau, das wäre möglich.

Haben Sie von solchen Fällen gehört?

Nein, bisher nicht, aber ich kenne einige, die es bei uns mit allerlei Methoden versucht haben und die jetzt bei einem Notar beglaubigen lassen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten Probleme, die mit dieser Beglaubigung einhergehen?

Am meisten Sorgen bereitet uns die Tatsache, dass viele Fragebogen chaotisch ausgefüllt werden. Es gibt nichts, was da nicht schon falsch angegeben worden wäre. Die Verifizierung der Fakten ist natürlich sehr aufwendig.

Gibt es auch schwarze Schafe?

Gewiss, aber die werden wir bis am 31. März 2001 aussortiert haben.

Aufgrund des Reglements werden wohl mehrere, vor allem kleinere Verlage Probleme kriegen mit der Erfüllung der Kriterien. Heisst das, dass Titel vom Markt verschwinden werden?

Zweifellos.

Ist es nicht problematisch, wenn die Post mittels Taxen Medienpolitik betreibt?

Ich weiss nicht, ob man das so sehen kann. Der Post blieb ja nichts anderes übrig als zu reagieren, wenn sie nicht will, dass weiterhin Missbrauch getrieben wird, um in den Genuss ermässigter Taxen zu kommen.

Ich sage nicht, dass es schade ist um jeden Titel, der verschwindet, aber gibt es nicht auch Härtefälle?

Wer soll denn beurteilen, welches objektivermassen interessante Titel sind? Für den einen mag es traurig sein, wenn die Publikation der Altpfadigruppe von Hintertupfingen nicht mehr erscheint, aber die Medienvielfalt wird nicht unter dieser Massnahme leiden. Ausserdem: Die Post hat bereits vor vier Jahren einmal eine Bereinigung vorgenommen. Blätter, die keine Auflage von 1000 Exemplaren erreichten und mindestens vier Mal pro Jahr erschienen, verloren den Anspruch auf reduzierte Taxen. Damals sind schon viele durch den Raster gefallen.


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